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Für Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gilt die Unschuldsvermutung.

Foto: REUTERS/LEONHARD FOEGER

Als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vergangenen Mittwoch das Ermittlungsverfahren gegen ihn bekanntmachte, ging er davon aus, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auch einen "Strafantrag" einbringen werde. Einige Tage später rudert man seitens der ÖVP zurück: Am Sonntag veröffentlichte das Kanzleramt eine Stellungnahme von Hubert Hinterhofer, Professor für Strafrecht an der Universität Salzburg. Laut dem Gutachten, das von ÖVP-Anwalt Werner Suppan in Auftrag gegeben wurde, lässt sich aus der Mitteilung der WKStA "ein für eine Anklage notwendiger dringender Tatverdacht nicht entnehmen". Die "Verurteilungswahrscheinlichkeit" reiche für eine Anklage nicht aus.

"Spekulationen" der WKStA

Laut Hinterhofer beruhen die mutmaßlichen Falschaussagen, die dem Kanzler vorgeworfen werden, auf "spekulativen Erwägungen der WKStA". Die Schlussfolgerungen seien "unterstellend und hypothetisch". Sie können daher "einen dringenden Tatverdacht, der für eine Anklage erforderlich wäre, nicht tragen". Eine Verurteilungswahrscheinlichkeit sei auf Basis von "Spekulationen" darüber, wie die wahre Sachlage gewesen sein könnte, "von vornherein zu verneinen".

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Das Gutachten des Salzburger Universitätsprofessors Hubert Hinterhofer, das von der Kanzlei von ÖVP-Parteianwalt Werner Suppan in Auftrag gegeben wurde.

Der Vorsatz für die Falschaussage müsse nicht nur vom Strafgericht zweifelsfrei festgestellt werden. Auch die Staatsanwaltschaft sollte bei einer Anklageerhebung gute Gründe für die Annahme eines solchen Vorsatzes haben, schreibt Hinterhofer und äußert "starke Zweifel", dass Kurz vorsätzlich falsch ausgesagt hat. Ihm hätte nämlich klar sein müssen, "dass eine Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss unweigerlich eine Strafanzeige nach sich gezogen hätte". Zur Frage des Vorsatzes fänden sich in der "Mitteilung der WKStA bezeichnenderweise auch keine Ausführungen".

Rosinenpicken

Robert Kert, Professor für Strafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, teilt Hinterhofers Meinung nicht. Sein Gutachten stelle zu hohe Anforderungen an die Mitteilung der WKStA. "Womit wir es hier zu tun haben, ist ja noch kein Strafantrag, der entsprechend genau formuliert sein muss. Man kann jetzt noch nicht den Maßstab anlegen, den man an eine Anklage stellen würde", sagt Kert dem STANDARD. Laut Kert werden im Gutachten bestimmte Dinge aus dem Schriftstück der WKStA herausgepickt, "die vielleicht nicht zu 100 Prozent überzeugend sind".

Aufgrund des Gesamtbilds sei jedenfalls ein Tatverdacht gegeben, der nun erörtert werden müsse. "Wir stehen hier ganz am Anfang", sagt Kert. Das Ermittlungsverfahren diene ja gerade dazu herauszufinden, ob sich der Verdacht bestätigt.

Bis zu einem halben Jahr könne es dauern, bis die WKStA entscheidet, ob sie Anklage erhebt, glaubt Kert. "Auch wenn das nicht das komplizierteste Verfahren ist: Ermittlungen gegen den Kanzler stellen die Behörden vor eine besondere Herausforderung." Die Justiz werde genau arbeiten, damit die Vorwürfe im Falle einer Anklage auch entsprechend abgesichert seien. Ein Gutachten ist jedenfalls für Kert nicht der richtige Platz für eine Beweiswürdigung: "Diese Aufgabe liegt zunächst bei der Staatsanwaltschaft und dann beim Gericht." (Jakob Pflügl, 17.5.2021)