Israel wirft der in Gaza herrschenden Hamas vor, ihre Stellungen inmitten von Wohngebieten zu verstecken. Dies führe zu vielen Opfern.

Foto: AFP / Mahmud Hams

Es war die siebte Nacht in Angst. Wieder wurden die Menschen in Gaza und in Israel aus dem Schlaf gerissen und gezwungen, Zuflucht zu suchen. Wobei es diese Zuflucht in Gaza zumeist nicht gibt. Es fehlt laut humanitären Organisationen an Schutzräumen. Seit Ausbruch der Kämpfe sind nach palästinensischen Angaben 197 Menschen in Gaza getötet worden, darunter 58 Kinder.

Rund 38.000 Menschen im Gazastreifen sahen sich in den ersten fünf Tagen des militärischen Konflikts gezwungen, ihre Häuser zu verlassen, schätzt die UNRWA, das UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästina.

Insgesamt 48 Schulen der UNRWA wurden in Notquartiere umgewandelt, um die Binnenflüchtlinge zu beherbergen. In den Schulen gebe es Nahrung und medizinische Versorgung, die im Gazastreifen weiter stark grassierende Covid-19-Pandemie drohe in den überfüllten Notquartieren aber zum Problem zu werden, sagt ein UNRWA-Sprecher. "Wir tun unser Bestes."

Die Bevölkerung steht von zwei Seiten unter Beschuss: einerseits durch die israelische Armee, andererseits durch fehlgezündete Raketen der Hamas. Laut israelischen Schätzungen sind bisher über 460 Raketen der Terrororganisation auf dem Gebiet des Gazastreifens niedergegangen. Für die Menschen sei die Situation extrem belastend, sagt der Arzt Yasser Abu Jamei, Leiter des Gaza Community Center für seelische Gesundheit. Viele Bewohner des Gazastreifens seien noch vom letzten Krieg im Jahr 2014 traumatisiert, die aktuelle Eskalation "weckt schlimme Erinnerungen", sagt er – auch wenn sie diesmal bisher nicht mit einer Bodenoffensive seitens Israel verbunden ist. Erwachsene leiden unter Panikattacken und psychosomatischen Beschwerden, Kinder würden beginnen bettzunässen.

Schwierige Versorgungslage

Die Eskalation erschwere auch die im abgeriegelten Gazastreifen ohnehin schwierige Versorgungslage mit lebenswichtigen Gütern. In manchen Gebieten sei die Trinkwasserversorgung unterbrochen, im ganzen Gazastreifen gebe es nur rund sechs Stunden pro Tag Strom, berichtet das UN-Hilfswerk Ocha.

Jeder einzelne Tag der militärischen Eskalation wird in der niederländischen Stadt Den Haag derzeit genau beobachtet. "Wir schauen uns das mit großer Ernsthaftigkeit an", sagte Fatou Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Die Ankläger ermitteln derzeit gegen Israel und die Hamas, sie werfen den beiden Seiten mutmaßliche Kriegsverbrechen im letzten Gazakrieg 2014 vor und haben auch die aktuelle Eskalation im Blick. Auch die Frage, ob die Terrorgruppen sogenannte menschliche Schutzschilde einsetzen, spielt dabei eine wichtige Rolle.

"Menschliche Schutzschilde"

Israel erhebt diesen Vorwurf regelmäßig, wenn die Armee wegen der Bombardierung ziviler Ziele kritisiert wird. So auch am Samstag, nachdem in den sozialen Medien Kritik an der Tötung von Zivilisten im Flüchtlingslager Al-Shati im Norden des Gazastreifens aufgekommen war. Laut Israels Armee richtete sich der Beschuss gegen mehrere Führungsfiguren der Terrorgruppen, die sich dort in einer Wohnung eingerichtet hatten.

"Die Hamas benützt Zivilisten absichtlich, um sich hinter ihnen zu verstecken und ihre Aktivitäten zu verbergen", erklärt die Armee. Zivile Opfer seien daher in manchen Fällen nicht zu vermeiden. Man versuche aber, Opferzahlen zu minimieren, indem man Bewohner zuvor telefonisch verständige oder per "Dachklopfen", also dem Abwurf nichtexplosiver Munition, vorzuwarnen. Amnesty International kritisierte das Dachklopfen als ineffizient oder sogar schädlich, da Menschen durch die Warnabwürfe verletzt werden könnten.

Hoffnung auf Waffenruhe

Eine in Gaza lebende Publizistin, die anonym bleiben möchte, hält die "menschlichen Schutzschilde" im STANDARD-Gespräch für ein vorgeschobenes Argument. Die Hamas verstecke sich nicht gezielt hinter Zivilisten, meint sie. Der Gazastreifen sei einfach dermaßen dicht besiedelt, dass sich die Einrichtungen der Hamas zwangsläufig unweit von Wohnhäusern und zivilen Einrichtungen befinden.

Dieses Argument lässt Itai Brun, Experte für Militärstrategie am Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv, nicht gelten. Sich hinter Zivilisten zu verstecken sei "eine typische Strategie von Terrororganisationen", sagt er. Die Hamas hätte sehr wohl die Möglichkeit, Militärbasen außerhalb der bewohnten Gebiete zu errichten.

Die Menschen in Gaza jedenfalls würden derzeit vor allem ein Ende der Kämpfe herbeisehnen, sagt der Arzt Abu Jamei. "Sie hoffen stark auf eine Waffenruhe. Leider wurden sie bis jetzt enttäuscht." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 17.5.2021)