Wien – Rund um die drohende Anklage von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss lässt der Wiener Verfassungsrechtler Heinz Mayer "einen Spin des ÖVP-Chefs" nicht gelten: Dass ihm dort Abgeordnete der Opposition seine Worte derart im Mund umdrehen wollten, sodass sie entsprechende Anzeige bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft erstatten konnten. Jede Auskunftsperson habe vor U-Ausschüssen zur rechten Hand eine Vertrauensperson, zur linken Verfahrensanwalt und Verfahrensrichter sitzen, die alle drei über die Rechtmäßigkeit von Befragungen wachen, erläutert dazu der Experte – "andernfalls müssen sie einschreiten". Und Mayer meint: "Wenn es tatsächlich zu einem Strafantrag gegen Kurz kommen sollte, würde er sich wohl wünschen, dass er jetzt vor einem U-Ausschuss säße."

"Wenn es tatsächlich zu einem Strafantrag gegen Kurz kommen sollte, würde er sich wohl wünschen, dass er jetzt vor einem U-Ausschuss säße", meint Experte Mayer.
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Bekanntlich wurde Kanzler Kurz vergangenen Juni mehrere Stunden lang im U-Ausschuss gelöchert, auch zu den umstrittenen Bestellungen für die staatliche Beteiligungsgesellschaft Öbag – im Zuge dessen spielte er seine Rolle bei den Besetzungen herunter, immer wieder berief er sich auf Erinnerungslücken. In den vor kurzem publik gewordenen Chats mit dem nunmehrigen Öbag-Alleinvorstand Thomas Schmid fanden sich allerdings einstige Zusagen von Kurz wie etwa: "Kriegst eh alles was Du willst". Konkret nahm Kurz damals in den U-Ausschuss Lucas Weigerstorfer, Mitglied seines Kabinetts, als Vertrauensperson mit.

Sachlichkeit oberstes Gebot

Angesichts der oftmaligen Berufung auf Erinnerungslücken sei es "politisch nachvollziehbar", dass U-Ausschuss-Mitglieder "ihren Ärger darüber ausgedrückt" hätten, erklärt Mayer. "Damit hat Kurz zu der von ihm beklagten 'aufgeheizten Stimmung' in dem Gremium selbst viel beigetragen." Doch Staatsanwälte und Richter müssten bei ihren Einvernahmen "stets sachlich bleiben". Sehr wohl aber fließe dabei "in ihre Entscheidungsfindungen mangelnder Auskunftswille von Befragten ein" – was für Anklage oder Einstellung von Verfahren beziehungsweise Freispruch oder Schuldspruch entscheidend sei.

Für eine Anklage müssen die Ermittler Kurz zuerst "bedingten Vorsatz" nachweisen, denn für einen Strafantrag und eine etwaige spätere Verurteilung reicht eine objektiv falsche Aussage allein nicht aus. Bedeutet: Der Kanzler müsste eine Falschaussage zumindest für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben, den U-Ausschuss falsch zu informieren.

Absprachen statt Auskunft?

Doch reicht dafür schon der ausstehende Wille, Erinnerungslücken rund um die Öbag-Bestellungen anhand eigener Termine und Aufzeichnungen nachzugehen, aus? Verfassungsrechtler Mayer sagt: Weil die Korruptionsstaatsanwaltschaft in ihrem Bericht für ihr Ermittlungsverfahren von Kurz und seinem ebenfalls beschuldigten Kabinettschef Bernhard Bonelli fast wortidente Aussagen ausgemacht habe, "deutet das auf Absprachen vor ihren Auftritten im U-Ausschuss hin". Sein Fazit lautet daher: "Eine wirkliche Demenz des Kanzlers wäre in dem Fall nicht gegeben – was die Chancen für Anklagen wegen Falschaussage eindeutig erhöht." (Nina Weißensteiner, 18.5.2021)