Malerische Orte zwischen Leithaberg und Neusiedler See lernt man kennen, wenn man mit Winzerin Birgit Braunstein wandern geht.

Foto: Birgit Braunstein

Auf einem Bein, das Gesicht gen Sonne gestreckt, die Lungen mit warmer Frühlingsluft gefüllt, stehen sie da. Zwanzig Menschen aus den verschiedensten Winkeln Österreichs, unterschiedlichsten Alters. Den Kirschbaum im Rücken, vorneweg die Rebzeilen des Leithaberges. Ganz unten glitzert der Neusiedler See. Nur das Sausen des Windes ist zu hören. Ein Lächeln umspielt die Münder. Die Augen sind zu.

Wer sich erst in diesem Moment der Gruppe annähert, könnte den Anblick seltsam finden. Schließlich trifft man nicht alle Tage auf so ein stumm lächelndes Trüppchen in den Weingärten von Winzerin Birgit Braunstein. Das passiert nur dann, wenn die Purbacher Winzerin mit ihren Mitorganisatorinnen wieder eine ihrer Wein-Qigong-Kräuter-Wanderungen unternimmt. So wie das nächste Mal am 13. Juni und ansonsten auf Anfrage.

Sehnsucht nach Lebensfreude

"Gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie, ist die Sehnsucht nach Lebensfreude und danach, mit der Natur in zu Kontakt treten, besonders spürbar", sagt Braunstein. Die Idee Qigong, Kräuter und Wein zu kombinieren, ist allerdings schon älter. Sie entspringt der Freundschaft der drei Frauen Orphelia Herdits, ihres Zeichens Kräuterpädagogin, Beatrix Simak, Qigong-Trainerin, und Birgit Braunstein, Demeter-Winzerin.

Allesamt sind sie wohnhaft und tätig in Purbach beziehungsweise Schützen im Burgenland, am Fuße des Leithagebirges. "Orphelia und ich haben uns vor langer Zeit kennengelernt, als wir für unsere Kinder die erste Waldorfschule des Burgenlandes gegründet habe. Beatrix habe ich durch Shiatsu und Qigong kennengelernt", sagt Braunstein.

"Beatrix und ich haben oft Wanderungen gemeinsam mit Orphelia unternommen. Ihr Wissen über Kräuter ist unglaublich, und jede Woche sieht die Natur anders aus." Bald haben sich die drei Frauen überlegt, Menschen auf diese Reise mitzunehmen. "Eigentlich wollten wir unseren Mitspaziergängern helfen, bewusster zu erleben und sich zu öffnen. Wenn man sich darauf einlässt, begegnet man der Natur ganz anders. Und dann auch den Menschen", sagt Braunstein. Und so wandelte erstmals 2019 ein Grüppchen gemeinsam mit den drei Freundinnen, einen Nachmittag lang, am Leithaberg.

Ein Berg und drei Sichtweisen

Winzerin Birgit Braunstein ist es wichtig aufzuzeigen, was biodynamisches Arbeiten im Weingarten bedeutet und welchen Unterschied das im Geschmack bewirkt. Mit kleinen "Achtsamkeitsaufträgen" schickt sie die Gruppe zwischen ihre Rebzeilen, hält diese an, die Blätter, den Stock anzugreifen. Die Weinblätter sind spürbar kräftiger, elastischer und weisen ein anderes Grün auf als die Nachbarn aus dem angrenzenden konventionell bewirtschafteten Weingarten.

Der Boden in Braunsteins Parzellen ist mit Klee und Kräutern bedeckt, das reichert den Boden an, im Gegensatz zum Nachbarweingarten. Hier heizt die Sonne die ungeschützte Erde auf. Der jüngste Wanderteilnehmer, dem Wein noch nicht so interessant erscheint wie Erde und das Graben darin, findet einen Regenwurm. Auch das ist ein Zeichen für einen guten, lockeren Weingartenboden.

Alles fließt

Danach ist Beatrix Simak an der Reihe. Nach einer halben Stunde Gehzeit durch die Weingärten startet sie die erste Einheit. "Qigong ist sanfte Bewegung. Es geht darum, den Energiefluss anzuregen und Blockaden zu lösen", sagt die Trainerin. Qigong funktioniert auch indoor, aber natürlich sei es noch schöner an einem Ort wie diesem, wo Sonne ist und die Energie bereits fließt, bewusst zu atmen.

Kräuterpädagogin Orphelia Herdits erzählt inmitten einer Blumenwiese, wie aus Taubnesselblüten, Löwenzahn, Giersch, jungen Lindenblättern und Vogelmiere ein wunderbarer Kräutersalat entsteht. Und dass es früher ein eigener Beruf war, aus den getrockneten Stämmen der Prachtkönigskerzen Spazierstöcke zu drehen.

Nachdem sich einige Wanderer einen Königskerzen-Spazierstock in seiner Rohform angeeignet haben, geht es weiter mit der Wanderung. Hinunter zum See, wieder hinauf durch ein kleines Buchenwäldchen, quer durch Rebzeilen, vorbei an wilder Malve, Luzernen und handtellergroßen pannonischen Pusteblumen, auf die Kräuterexpertin Herdits unermüdlich aufmerksam macht.

Endstation Seen-Sucht

Nach stundenlangem Seelebaumelnlassen, Füßebewegen und Kräuterschauen ist die Kehle doch trocken. Und es dürstet nach Wein. Noch bevor dieser Gedanke komplett ausgereift ist, tut sich hinter der Hügelkuppe ein großer Steintisch auf. Dort steht Alexandra Braunstein, die Schwägerin der Winzerin und Betreiberin des Restaurants Braunstein im Ort. In die Weingläser kommt Biodynamisches vom Berg, den man gerade begangen hat.

Die Kräuter, von denen Kräuterpädagogin Herdits meinte, man könne doch welche mitnehmen, landen auf dem bunten Blattsalat. Knuspriges Brot und lebendiger Wein tun ihr Übriges für die Freude, die sich nach einem schönen Tag in einer wilden Menschen-Mischung aus Weinliebhabern ohne Wildkräutererfahrung oder Qigong-Pros, die dafür noch nie im Weingarten waren, einstellt.

Danach ist auch wieder genug Kraft gesammelt für die letzte Einheit Qigong: den Kirschbaum im Rücken, das Gesicht Richtung See und Sonne gewandt, die Augen geschlossen. (Nina Wessely, RONDO, 23.5.2021)