Die Alpenidylle des Pustertals wurde zum Ort einer Langzeitstudie zu altersbezogenen Krankheiten, die in Bruneck schon drei Jahrzehnte läuft.

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Nur wenige Bewohner ziehen aus dem Pustertal weg. Die Menschen sind in ihrer Südtiroler Region verwurzelt, die Mobilität ist äußerst gering. Man pflegt einen gesunden Lebensstil: traditionelle Ernährung und viel Sport. Hier trifft man nicht selten über 80-Jährige auf Skiern. Gleichzeitig sind andere Gesundheitsparameter durchaus mit anderen Populationen Europas vergleichbar.

Faktoren wie diese machen das Städtchen Bruneck im Pustertal zum idealen Ort, um altersbezogene Gesundheitsrisiken langfristig zu beobachten und ihre Vorhersagbarkeit zu erforschen. Die Brunecker Mediziner Johann Willeit und Friedrich Oberhollenzer initiierten 1990 im örtlichen Krankenhaus die unter dem Namen Bruneck-Studie bekannt gewordenen Forschungen. Im Zentrum des Interesses standen ursprünglich vor allem Atherosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zweitlängste Langzeitstudie

Mehrmals verlängert und mit erweitertem Forschungsfokus läuft die Langzeitstudie bis heute – und ist damit die zweitlängste ihrer Art. Mittlerweile liegen die Daten aus Bruneck über 150 wissenschaftlichen Arbeiten zugrunde, Forschungseinrichtungen rund um den Globus sind beteiligt.

Die Bandbreite der Studien reicht heute von Herzinfarkt und Schlaganfall über Diabetes, Krebs und Rheumaerkrankungen bis zu Schlafproblemen, Parkinson und Demenz. Das Krankenhaus Bruneck wurde per Kooperationsvertrag zur Forschungsaußenstelle der Medizinischen Universität Innsbruck.

Die Bruneck-Studie ist zudem ein Ausgangspunkt für das auf Gefäßalterung spezialisierte Forschungszentrum VASCage an der Med-Uni Innsbruck, das im Rahmen des Comet-Programms der Förderagentur FFG vom Wirtschafts- und Innovationsministerium unterstützt wird.

"Vorbild für Bruneck war die Framingham-Studie in den USA, die 1948 mit der systematischen Untersuchung der Bevölkerung auf Herzerkrankungsrisiken startete. Sie ist die einzige, die noch länger läuft als die Bruneck-Studie", sagt Stefan Kiechl, Direktor der Uniklinik für Neurologie der Med-Uni Innsbruck. "In Framingham werden bereits die Kinder der ursprünglichen Probanden untersucht."

Untersuchung alle fünf Jahre

In Bruneck startete man 1990 mit 1000 Teilnehmern in der Altersgruppe zwischen 40 und 79 Jahren. Alle fünf Jahre werden die Probanden eingehend untersucht. "Von diesen ursprünglichen Studienteilnehmern sind heute noch 350 am Leben", sagt Kiechl.

"Vor fünf Jahren wurde deshalb bereits eine neue Kohorte rekrutiert. Nun werden alle Bewohner Brunecks über 65 in eine Erweiterung der Studie aufgenommen – damit stehen wir heute bei deutlich mehr als 1000 Probanden."

Auch für die Studienteilnehmer ergeben sich Vorteile. Die Untersuchungen sind nicht nur kostenlos, Beratung und Prophylaxe haben etwa dazu geführt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen über die Jahrzehnte signifikant zurückgingen. Von der Brunecker Bevölkerung wurde die Studie von Anfang an gut angenommen, die Teilnehmer hätten sich, so Kiechl, durchaus privilegiert gefühlt.

Zellreinigung

Zu den vielfältigen Forschungen auf Basis der Bruneck-Daten gehören etwa Untersuchungen, wie Telomere – schützende Strukturen am Ende der Chromosomen des Menschen – mit der Entstehung von Krankheiten zusammenhängen. Die Telomere verkürzen sich mit jeder Zellteilung, sie reflektieren den Alterungsprozess auf zellulärer Ebene.

"Es ist etwa belegt, dass Telomere bei Gefäßerkrankungen, die zu Schlaganfall oder Herzinfarkt führen, eine Rolle spielen", sagt Kiechl. "Wir konnten aber zeigen, dass eine kürzere Telomer-Länge mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergeht." Gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung bremsen die Verkürzung der Telomere, unter bestimmten Bedingungen können sie sich sogar wieder verlängern.

Aufmerksamkeit erregte auch die Untersuchung der Effekte von Spermidin auf den Alterungsprozess. Das kleine Molekül spielt in der Autophagie – dem natürlichen Prozess der Zellreinigung – eine wichtige Rolle.

"Wir konnten zeigen, dass Probanden, die mehr Spermidin – das etwa in Obst, Gemüse oder Nüssen vorhanden ist – zu sich nehmen, durchschnittlich länger leben", erklärt Kiechl. "Mit genug Spermidin kann man die Zellreinigung im Alter auf das Niveau der eines jungen Menschen bringen."

Bessere kognitive Leistung

Eine aktuelle Studie mit ähnlichem Ansatz untersucht den Einfluss von Spermidin auf die kognitive Leistung im Alter. Auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild: "Menschen, die viel Spermidin zu sich nehmen, leiden seltener unter Gedächtnisstörungen", sagt Kiechl.

Ebenfalls aktuell ist ein wissenschaftlicher Befund, wonach Menschen, die hohe Mengen von Nicotinamid, das auch als Vitamin B3 bekannt ist und etwa in Keimlingen, Rindfleisch oder Erdnüssen zu finden ist, zu sich nehmen, seltener an Herzerkrankungen leiden. "Hier untersuchen wir, ob die Substanz auch therapeutisch bei Herzinsuffizienz einsetzbar ist."

Ab 2022 steht erneut ein Untersuchungsdurchgang in Bruneck an. Dabei wird auch ein neues Krankheitsbild Thema sein – langanhaltende Corona-Krankheiten, sogenanntes Long-Covid. Kiechl: "Auch hier wird der große Vorteil sein, dass nicht betroffene Spitalspatienten untersucht werden, sondern ein repräsentativer Bevölkerungsanteil." (Alois Pumhösel, 19.5.2021)