Ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung leidet einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung. In Österreich sind aktuell 1,2 Millionen Menschen davon betroffen. Laut OECD weist Österreich im internationalen Vergleich eine ungewöhnlich niedrige Beschäftigungsquote für Menschen mit psychischer Erkrankung auf. Die Invaliditätspensionen aufgrund psychischer Erkrankung haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen – zwei Drittel aller Frühpensionierungen sind davon betroffen –, und sie sind damit auch stärker gestiegen als jene für somatische Krankheiten. Die Invaliditätspension tritt bei psychischen Krankheiten darüber hinaus auch früher ein. Die Krankenstandsdauer wegen psychischer Erkrankung hat von 2007 bis 2016 um alarmierende 94 Prozent zugenommen.

Karin Gutiérrez-Lobos ist Fachärztin für Psychiatrie. Sie erhielt den Käthe-Leichter-Preis für ihr Lebenswerk als Wegbereiterin der Gendermedizin.
Foto: feel image - Fotografie e.U. Felicitas Matern

In Zusammenhang mit Fragen der Erwerbstätigkeit verdienen Menschen mit schweren psychischen Störungen besondere Beachtung – sind sie doch infolge ihrer psychischen Erkrankung häufig von beträchtlichen Funktionseinschränkungen mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit betroffen und benötigen meistens auch eine komplexe Betreuung.

Ein Teufelskreis über Jahrzehnte

Besonders Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen weisen ein Risiko für eine lange Dauer einer Erwerbslosigkeit auf. Dies beeinträchtigt jedoch die Möglichkeit, wieder in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren, insbesondere dann, wenn davon jüngere Personen betroffen sind, die erst über wenig Berufserfahrung verfügen. Wenn junge Menschen erst gar nicht in den Arbeitsprozess inkludiert werden oder schon früh krankheitsbedingt ausscheiden, so wird die Wiedereingliederung immer schwieriger und die dazu nötigen Maßnahmen komplexer.

So kann ein Teufelskreis aus weiteren sich gegenseitig belastenden Faktoren entstehen. Denn schon Arbeitslosigkeit an sich gilt als bedeutender Auslöser für psychische und physische Erkrankungen. Arbeit hingegen erhöht das Selbstwertgefühl, fördert das psychische Wohlbefinden. Darüber hinaus entstehen gerade bei jüngeren Personen mit psychischer Erkrankung oft gleichzeitig nicht mehr aufholbare Verluste bezüglich Transferleistungen.

Wer aber keinen Pensionsanspruch hat, ist auf Sozialleistungen angewiesen. Die Beschäftigung in einer tagesstrukturierenden Werkstätte oder Beschäftigungstherapie zieht keinen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch nach sich, sie wird in Form eines "Taschengeldes" entgolten und weist keine Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt auf.

Angebote für Rehabilitation

Nun ist in den letzten Jahren einiges umgesetzt worden, beispielsweise haben ambulante und stationäre Angebote zur psychischen Rehabilitation zugenommen. In einem Bericht des Rechnungshofs aus dem Jahr 2019 wird allerdings moniert, dass die Rahmenbedingungen dafür weitgehend unklar seien. Ambulante Rehabilitationsmaßnahmen seien für bestimmte Personengruppe aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht vorgesehen gewesen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist 2008 in Kraft getreten und von Österreich ratifiziert worden. Die Ziele sind Chancengleichheit, Inklusion und Selbstbestimmung für Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen und Sinnesbeeinträchtigungen. Darin heißt es, dass "die Vertragsstaaten das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit anerkennen; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird".

Erst platzieren, dann dort qualifizieren

Folgt man diesem Grundsatz, so sind mehrere Maßnahmen wie Grundsicherung, barrierefreier Zugang zu Sozialleistungen und die Implementierung zukunftsfähiger beruflicher Rehabilitationsstrategien notwendig, die eine dauernde Beschäftigung in einem normalen Arbeitsverhältnis ermöglichen. Dazu gehört der "First place then train"-Ansatz ("erst platzieren, dann qualifizieren"), auch unterstützte Beschäftigung genannt, deren Wirksamkeit in vielen, auch europäischen, Studien belegt werden konnte.

Place and Train bedeutet eine rasche Platzierung auf einem Arbeitsplatz des ersten Arbeitsmarkts mit Unterstützung durch einen Job-Coach und tariflicher Entlohnung. Denn in der beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen – und hier besonders auch mit Fokus auf schwere psychischen Erkrankungen– geht es in erster Linie um die frühzeitige Förderung von Kompetenzen, die Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglichen. (Karin Gutiérrez-Lobos, 9.6.2021)