Das erste Mal, dass ich vom Großen Bärenkrebs hörte, war vor zwei Sommern im Cilento, wenn auch noch nicht unter diesem Namen. Das Cilento ist eine wilde, wunderschöne Gegend mit ebensolcher Küste etwa zwei Stunden südlich von Neapel. Meine Frau und ich waren eine Woche auf Urlaub dort und so begeistert vom lokalen Lokal, dass wir drei von sieben Abenden dort speisten (Fußnote 1). An einem dieser Abende erzählte uns Joar, der Koch, von einer fast mystischen Kreatur: der riesigen Cicala.

Das Wort Cicala bezeichnet in Süditalien meist jene Tiere, die auf Deutsch Heuschreckenkrebse und auf Englisch "squilla mantis" heißen, wegen der Ähnlichkeit, die sie mit Gottesanbeterinnen haben. Sie sind meist etwa fingerlang und zwei Finger dick und stecken in einem fast transparenten, aber erstaunlich harten und stacheligen Panzer, der es fast unmöglich macht, sie verletzungsfrei zu genießen. Dass sie trotzdem gegessen werden, liegt an ihrem phänomenalen Geschmack: Sie werden meistens mehr als Würze für die Sauce, in der sie gekocht werden, verwendet.

Pasta con Cicala (Heuschreckenkrebs).
Tobias Müller

Manchmal aber, so der Koch, habe man Glück, und es werde eine riesige Cicala gefangen, mit jeder Menge Fleisch, die wie ein Hummer gegessen werden könne – bloß dass sie deutlich besser schmecke als das berühmte Zangentier. Das lokale Strandlokal habe gelegentlich welche auf der Karte.

Meeresfrüchten gehört meine große kulinarische Liebe, und die Idee eines besonders schmackhaften versetzt mich in helle Aufregung. Trotz mehrmaligen Strandlokalbesuchs hatten wir aber in dem Sommer kein Glück. Ich vergaß den Zwischenfall – bis ich vor einigen Wochen bei meinem Fischhändler eine Kreatur entdeckte, die sehr nach einem riesigen Heuschreckenkrebs aussah: insektenartig, mit breitem Schwanz und zahlreichen Beinen, dafür aber einem Panzer, der nicht transparent war, sondern eher an den Steinbeißer aus der "Unendlichen Geschichte" erinnerte.

Der Bärenkrebs.
Tobias Müller

"Eine sehr große Cicala", bestätigte der Fischhändler auf meine erregte Nachfrage, "sehr selten. Mindestens 150 Jahre alt, vielleicht auch 200." Ich habe trotz des für Neapel exorbitanten Preises von 50 Euro für 700 g Krebs sofort zugeschlagen.

Weil mich die Idee, eine Kreatur zu essen, die mitunter noch vor Kaiser Franz Joseph geboren ist (Fußnote 2), doch beschäftigt hat, habe ich ein wenig recherchiert und versucht, die Altersangabe zu verifizieren.

Tobias Müller

Mein erstes Ergebnis war, dass es sich bei meinem Krebs mitnichten um einen riesigen Heuschreckenkrebs handelt, sondern um einen nur durchschnittlich großen Großen Bärenkrebs. Die beiden tragen auf Süditalienisch zwar den gleichen Namen – Cicala –, sind zwar verwandte, aber verschiedene Arten. Das zweite Ergebnis war, dass das Tier wohl eine Zehnerpotenz jünger war, maximal 20 Jahre: So alt sind durchschnittlich große Große Bärenkrebse nämlich laut einer der wenigen zu dieser Frage durchgeführten wissenschaftlichen Studien aus den späten 1990ern (mein Dank an dieser Stelle an Heinrich S., der fast alles weiß und den Rest offenbar nachschauen kann).

Ich schätze, dass viele Leute hier, so wie ich, schlicht davon ausgehen, der Große Bärenkrebs sei ein riesiger Heuschreckenkrebs, dann Hochrechnungen anstellen, wie lange die brauchen würden, um so eine Größe zu erreichen, und so bei dem – falschen – biblischen Alter landen.

Das mag dem Mythos der großen Cicala ein wenig schaden, dem Geschmack aber glücklicherweise nicht. Es ist lange her, dass ich etwas vergleichbar Gutes gegessen habe. Roh war sein Fleisch erstaunlich zart und mild im Geschmack, einmal vorsichtig gegart entwickelte es aber ein ganz köstliches, ausgeprägtes Krustentieraroma mit einer markanten, ein wenig spitzen Süße und einer geschmacklichen Komplexität, die sehr gut zum vermeintlichen Alter passte.

Bärenkrebsfleisch mit Pasta.
Tobias Müller

Weil dies mein erster Großer Bärenkrebs war, habe ich den Fischhändler gefragt, wie man das Ding denn am besten kocht, und die Antwort bekommen, die man in Süditalien fast immer auf diese Frage erhält: mit etwas Knoblauch, Öl, Tomatensauce und Pasta. Normalerweise ignoriere ich diesen Ratschlag gern. In diesem Fall war mir das Tier aber zu kostbar für irgendwelche Experimente. Ich habe mich daher streng an die Vorgaben gehalten.

Mir ist klar, dass die meisten Leser hier nicht so schnell einen Großen Bärenkrebs auftreiben können (er gilt, soweit Heinrich S. weiß, zwar nicht als bedroht, aber doch als selten). Ich finde aber, es schadet trotzdem nicht zu wissen, wie man einen kocht: Die Prozedur ist mehr oder weniger die gleiche wie bei häufiger vorkommenden Krustentieren, in Neapel wird Hummer- und Krebspasta genauso zubereitet – und die kann zumindest fast so gut sein.

Mittelmeer-Hummer, gespalten.

Wie man einen Großen Bärenkrebs (und andere große Krustentiere) zubereitet

Krustentiere haben eine für ihre Esser schwierige Eigenschaft: Einmal tot, beginnen sie umgehend, sich quasi selbst zu verdauen und matschig zu werden. Sie werden deswegen meist lebend verkauft, das Schlachten bleibt Aufgabe des Kochs. Ich habe mich daher lange nicht über die Zubereitung von großen Krustentieren getraut, und auch der Große Bärenkrebs hat mir, zugegeben, gehörig Respekt eingeflößt.

Foto: Tobias Müller

Die traditionelle Methode, sie in kochendes Wasser zu werfen, ist sowohl ethisch als auch kulinarisch bedenklich (ich finde, es laugt den Geschmack aus). Ich bin daher so vorgegangen, wie auch der große Harold McGee das empfiehlt.

Ich habe den Krebs etwa 40 Minuten vor Kochbeginn in den Tiefkühler gelegt – das lässt ihn in eine Art Winterschlaf fallen und von der folgenden Prozedur nichts mitbekommen. Einmal entschlafen, wird das Krustentier der Länge nach durchgeteilt.

Um es möglichst schmerzlos zu machen, beginnen Sie beim Kopf: Setzen Sie ein großes, schweres Messer oder Beil zwischen den Kopfantennen an und beginnen Sie, das Tier der Länge nach zu teilen. (Achtung: Muskelkontraktionen lassen hier mitunter den Schwanz in die Höhe schnellen.)

Fahren Sie fort, bis Sie zwei etwa gleich große Hälften haben. Mein Bärenkrebs hatte einen so dicken Panzer, dass ich beim Durchteilen auf dicke Handschuhe, eine Gartenaxt und den Stößel eines schweren Steinmörsers setzen musste. Für die Mühen wurde ich mit dem prächtigen Anblick von perlmuttfarben glänzendem Fleisch und grellgelben Krebseiern belohnt.

Tobias Müller

Während des Teilens ist eine gar nicht so kleine Menge schwärzlicher Flüssigkeit auf mein Brett gelaufen und hat sich in den Rinnen gesammelt. Nach einer Verkostung (Salzwasser mit einer Idee Krustentier) habe ich es aufgehoben und später in die Sauce gekippt.

Gratuliere: Sie haben den fordernden Teil geschafft. Der Rest ist einfach.

1. Bringen Sie einen Topf Wasser für die Pasta zum Kochen.

2. Bereiten Sie inzwischen eine Tomatensauce vor, in meinem Fall hieß das ein wenig Knoblauch und frisch gemahlenen Pfeffer kurz in Olivenöl anschwitzen, mit passierten Tomaten und Krebsflüssigkeit aufgießen und fünf bis zehn Minuten köcheln lassen.

Den Bärenkrebs mit der Schale nach unten in den Topf geben!

Geben Sie die Pasta ins kochende Wasser. Legen Sie das Krustentier mit der Schale nach unten in die Sauce, um es gegen allzu starke Hitze zu schützen, legen Sie einen Deckel auf den Topf und lassen Sie es auf niedriger Hitze köcheln, etwa sechs bis sieben Minuten. Wenden Sie das Ganze einmal und lassen Sie es fertig gar ziehen, bis die Pasta al dente ist, etwa weitere drei Minuten. Gehen Sie sanft mit ihm um, sie wollen das Tier keinesfalls übergaren.

Krebs aus der Sauce heben, Pasta abgießen und mit etwas gehackter Petersilie in der Sauce schwenken. Das Fleisch aus der Krebsschale lösen (geht mit den Fingern ganz leicht) und mit Pasta servieren. (Tobias Müller, 23.5.2021)

Tobias Müller

Fußnote 1: Selten habe ich in Süditalien so gut gegessen wie in der Malabar in Pisciotta. Dort kocht im Sommer Joar Torchia, ein junger Italo-Schwede (Mutter Schwedin, Vater Italo-Amerikaner), der einige Zeit in New York bei Estela und Hearth gearbeitet hat und seit ein paar Jahren zurück ist in einer seiner Heimaten. Der Mann schöpft aus dem Reichtum der großartigen lokalen Produkte und behandelt sie mit ausreichend Respekt vor der lokalen Kochkunst, ohne aber dem lokalen Kochfundamentalismus anheimzufallen, sich also von dümmlichen, als Tradition verkauften Regeln einschränken zu lassen, wie das sonst so oft in Italien der Fall ist. Das Ergebnis ist mitunter spektakulär gut. Wenn Sie in der Gegend sind, fahren Sie da hin!

Fußnote 2: Das einzig ähnlich Alte, das ich jemals gegessen habe, war eine 150 Jahre Islandmuschel, und auch da überkam mich zunächst ein mulmiges Gefühl. Einer rationalen Betrachtung hält so eine Skepsis meiner Meinung nach nicht stand. Die meisten Menschen essen, schätze ich, mit besserem Gewissen eine alte Milchkuh als ein Kalb. (Wobei die Islandmuscheln für ihre Verhältnisse fast jugendlich war, sie werden immerhin bis zu 400 Jahre alt.) Ich nehme an, ab einem gewissen Alter mischt sich bei Tieren einfach Respekt ein und das schlechte Gewissen, eine so lange Erfolgstory zu beenden.