Der Raketenkrieg zwischen dem Gazastreifen und Israel dominiert derzeit das Bild der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung. Die Terrororganisation Hamas hat ihn mit ihren relativ primitiven, aber inzwischen weit nach Israel reichenden Raketen begonnen und und setzt ihn trotz der schrecklichen Opferbilanz der eigenen Bevölkerung – denn Israel bombardiert systematisch und mit vielen zivilen Opfern – fort. Der Konflikt geht jedoch viel tiefer, wie nicht zuletzt die jüdisch-arabische Gewalt in Israel selbst zeigt. Jene Stimmen auf beiden Seiten und von außen, die eine Friedenslösung in einem Konflikt einfordern, der sich fast über das ganze 20. Jahrhundert erstreckt, haben keine Chance.

Frage: Die Rede ist von einem "neuen" Gaza-Krieg. Welche hat es vorher gegeben?

Antwort: Seit die Hamas 2007 im Gazastreifen die Macht übernommen hat, gab es mehrere Kriegsrunden, immer mit dem israelischen Ziel, die Raketenkapazitäten im Gazastreifen auszulöschen. Die erste große israelische Militäraktion (Operation "Cast Lead") zog sich drei Wochen über den Jahreswechsel 2008/2009 hin. Die Operation "Pillar of Defense" im November 2012, die Israel mit der Tötung eines hohen Hamas-Kommandeurs begann, dauerte eine Woche.

Die bisher massivste Operation, "Protective Edge", dauerte von 8. Juli bis 26. August 2014. Wie bereits 2009 kam es dabei auch zu einer israelischen Bodenoffensive. Auf israelischer Seite gab es mehr als 70 Tote (zumeist Soldaten), im Gazastreifen mehr als 2.250. Etwa zwanzig Palästinenser wurden von der Hamas umgebracht, wegen angeblicher Kollaboration mit Israel.

Frage: Woher hat die Hamas eigentlich ihre Raketen und andere Waffen?

Antwort: Von außen, aber auch aus eigener Produktion, mit iranischer technischer Hilfe. Klar ist, dass iranische Fajr-Raketen in den Gazastreifen geschmuggelt wurden, natürlich in zerlegtem Zustand. Laut Hamas-Angaben selbst wurden auch russische Panzerabwehrgranaten in den Streifen gebracht: Manches dürfte mit Hilfe der libanesischen Hisbollah seinen Weg aus dem syrischen Krieg in den Gazastreifen gefunden haben. Die Produktion der einfachen Kassam-Raketen begann vor rund zwanzig Jahren, sie hatten damals eine Reichweite von nur wenigen Kilometern. Nach dem israelischen Abzug 2005 zog die Produktion an, wie man schon 2008 sehen konnte. Die erste M-75 – sie reicht bis an Tel Aviv heran, 75 Kilometer – flog 2012, 2014 wurden bereits bis zu 160 Kilometer erreicht. Und heute gibt es die M302 mit 200 Kilometern Reichweite.

Frage: Seit wann hat Israel das Abwehrsystem "Iron Dome"?

Antwort: Die Entwicklung begann angesichts der steigenden Bedrohung 2005, in Betrieb genommen wurde das System 2010, erstmals zum Einsatz gekommen ist es 2011. "Iron Dome" wird von der israelischen Rüstungsindustrie produziert. Laut einem israelischen Militärsprecher werden 90 Prozent der Raketen aus dem Gazastreifen abgefangen.

Frage: Wie kommt es, dass die Hamas den Gazastreifen regiert?

Antwort: Der Gazastreifen war seit 1967, seit dem Sechs-Tage-Krieg, von Israel besetzt. 2005 verließ ihn Israel und löste die dortigen jüdischen Siedlungen auf – unilateral, das heißt ohne politische oder sicherheitstechnische Arrangements mit der Palästinenserbehörde.

Im Jänner 2006 gab es Parlamentswahlen in den gesamten Palästinensergebieten – im Westjordanland und im Gazastreifen -, die die islamistische Hamas gewann und die Fatah, die Partei der PLO (Palestinian Liberation Organisation), verlor. Westliche Staaten – auch jene der EU – weigerten sich, mit der Hamas zu kooperieren, die die Forderung nach Anerkennung des Existenzrechts Israels nicht erfüllte.

Eine gemeinsame palästinensische Hamas-Fatah-Regierung scheiterte, 2007 warf die Hamas die Fatah aus dem Gazastreifen und übernahm die alleinige Macht. Die Fatah regierte weiter im Westjordanland.

Frage: Warum ist die Hamas ausgerechnet im Gazastreifen so stark?

Antwort: Sie wurde dort 1987, zu Beginn der Ersten Intifada – des Palästinenseraufstands gegen die israelische Besatzung -, gegründet, als palästinensischer Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft. Das Thema Islamismus hatte damals, lange vor Al-Kaida und IS, noch nicht die Brisanz von heute, und eine politische Konkurrenz zur säkularen PLO von Palästinenserführer Yassir Arafat (1929-2004), die Israel jahrelang auch terroristisch bekämpfte, hatte sogar für Israel eine gewisse Attraktivität. Inzwischen gibt es im Gazastreifen noch radikalere Gruppen als die Hamas.

Der Gazastreifen und das Westjordanland haben sich unterschiedlich entwickelt. Sie waren auch vor 1967 keine administrative Einheit: Ersterer wurde im israelisch-arabischen Krieg 1948/49 von Ägypten, Letzteres von Jordanien erobert.

Frage: Wie entstand die Fatah-dominierte Palästinenserbehörde?

Antwort: Nach dem siegreichen Golfkrieg gegen den Irak 1991 führte die neue regionale und – nach dem Fall der Sowjetunion – geopolitische Situation zwischen Israel und der PLO zum Oslo-Friedensprozess, benannt nach dem Ort von Geheimverhandlungen vor 1993. Die Hamas lehnte ihn ab, er kam ja einer Anerkennung Israels gleich. Aber auch Israel musste die PLO als Vertreter der Palästinenser erst anerkennen.

Im Laufe des Oslo-Prozesses wurden in den 1990er-Jahren Teile der seit 1967 von Israel besetzten Palästinensergebiete unter palästinensische Verwaltung gestellt und politische Institutionen in Ramallah geschaffen. Arafat wurde erster Präsident der Autonomiebehörde, nach seinem Tod folgte Mahmud Abbas.

Frage: Wurde er gewählt?

Antwort: Ja, im Jänner 2005: Und seitdem hat es keine Präsidentenwahlen mehr gegeben. Die letzten Parlamentswahlen waren 2006. Die Begründung, warum nicht gewählt wurde, war stets die innerpalästinensische Spaltung. Mitte Jänner 2021 rief Abbas nach einer Einigung mit der Hamas endlich Wahlen auf allen Ebenen aus, Ende April sagte er sie wieder ab. Die Fatah hätte sie wohl verloren.

Als Grund nannte Abbas aber die Unmöglichkeit, in Ostjerusalem wählen zu lassen, das Israel 1980 als Teil seiner Hauptstadt annektierte. Bis zur israelischen Eroberung von 1967 war Ostjerusalem wie das Westjordanland von Jordanien annektiert gewesen – ebenfalls nicht völkerrechtlich anerkannt.

Frage: Was ist aus dem Oslo-Friedensprozess geworden?

Antwort: Laut Plan von 1993 hätte es bis 1999 eine "Endstatus"-Lösung für die Palästinensergebiete geben sollen. Darunter wurde, auch von Partnern Israels wie den USA, ein Palästinenserstaat verstanden.

Schon in den 1990er-Jahren, obwohl weiter Teilvereinbarungen umgesetzt wurden, entgleiste der Oslo-Prozess: Die Hamas überzog Israel mit einer Terrorwelle, Israel baute trotz des Friedensprozesses an den jüdischen Siedlungen im Westjordanland weiter – zur Frustration der Palästinenser, die das Land ja als ihr zukünftiges Staatsland sahen.

2000, im letzten Amtsjahr von US-Präsident Bill Clinton, der an sein politisches Vermächtnis dachte, scheiterten "Endstatus"-Verhandlungen in Camp David. Danach brach, von Arafat zumindest geduldet, die Zweite Intifada los. Es gab verschiedentlich Versuche zur Wiederbelebung eines Friedensprozesses, alle fruchtlos. 2011 versuchte Abbas vergeblich, die Anerkennung "Palästinas" als Staat im Uno-Sicherheitsrat zu erreichen. Daraus wurde 2012 eine Anerkennung als "Beobachterstaat" durch die Vollversammlung.

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Jerusalem mit dem Felsendom am Tempelberg ist eines der umkämpften Zentren im Nahostkonflikt.
Foto: AP Photo/Lefteris Pitarakis

Frage: Was hat es mit dem Friedensplan von US-Präsident Donald Trump von 2020 auf sich?

Antwort: Trump entsprach mehreren israelischen Wünschen: Er erkannte ganz Jerusalem (das heißt inklusive Ostjerusalem) als israelische Hauptstadt an und verlegte die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Er erkannte auch die Annexion der Golanhöhen, die Israel 1967 von Syrien eroberte, an. Und er stellte klar, dass er israelische Teilannexionen im Westjordanland gutheißen würde. Dennoch wird in dem Plan auch ein Palästinenserstaat erwähnt, der jedoch diesen Namen kaum verdienen würde. Im Sommer 2020 beschlossen die Vereinigten Arabischen Emirate mit der Begründung, so die israelischen Annexionen zu stoppen, die Normalisierung mit Israel. Laut Israels Premier Benjamin Netanjahu sind sie jedoch nur aufgeschoben. (Gudrun Harrer, 20.5.2021)