Die Zitterpappel-Kolonie Pando im US-Bundesstaat Utah ist mit rund 80.000 Jahren der älteste bekannte Organismus der Welt.

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Sie hat zwei Weltkriege überlebt, das Mittelalter überstanden und selbst die Streifzüge der Neandertaler miterlebt. Pando – so heißt eine 80.000 Jahre alte Zitterpappel-Kolonie im US-Bundesstaat Utah, die aus Ablegern eines einzigen Baumes besteht. Der Organismus dehnt sich auf 43 Hektar aus, besteht aus 47.000 genetisch identischen Bäumen und wiegt unglaubliche 5,9 Millionen Kilogramm.

Doch seit 2018 weiß man: Der Zitterpappel-Kolonie geht es schlecht. Die neuen Schösslinge werden von Maultierhirschen und anderen Pflanzenfressern abgegrast. Und auch Dürre und schlechtes Feuermanagement bedrohen das älteste und schwerste bekannte Lebewesen der Erde.

Pando fasziniert uns schon lange: Wie kann es ein Organismus schaffen, so alt zu werden? Und ist das bei allen Pflanzen so? Ruben Gutzat arbeitet am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er forscht unter anderem an epigenetischen Veränderungen in Stammzellen von Pflanzen.

Unterschiedliche Entwicklung

"Prinzipiell entwickeln sich Pflanzen sehr anders als Tiere", sagt Gutzat. Denn bei Tieren werden alle wichtigen Organe und Entwicklungsschritte bereits im Embryo angelegt. "Schlüpft" dieser, passiert eigentlich nur noch Wachstum. Bei Pflanzen ist das anders: "Es gibt einen kleinen Embryo im Samen. Erst wenn er rauskommt, werden Organe, Stämme oder Blätter angelegt."

So können sich Pflanzen an ihren Standort anpassen. Die Informationen für die Entwicklung kommen dabei von Stammzellen. Meist liegen diese tief eingebettet im Gewebe der Sprossachsen oder des Stammes. Mit ihnen hängt auch die enorme Regenerationskraft und somit die Fähigkeit zusammen, mitunter sehr alt zu werden: Bricht man einen Ast von einem Baum ab und steckt ihn in die Erde, bewurzelt sich dieser neu.

"Bei Pflanzen können sich normale Zellen relativ leicht wieder in Stammzellen umwandeln und so einen neuen Organismus wachsen lassen", sagt Gutzat. Um ein hohes Alter zu erreichen, muss es der Pflanzenorganismus außerdem schaffen, eine Population von Stammzellen über viele Jahre hinweg vor Mutationen zu schützen. Diese können etwa durch UV-Strahlung oder Parasiten ausgelöst werden.

Die Regenerationsfähigkeit von Stammzellen beschäftigt Gutzat in seiner Forschung. Eine große Herausforderung dabei sei, an die Zellen heranzukommen. "Pflanzenzellen haben eine Zellwand. Das macht es noch schwieriger. Außerdem kann man Pflanzenzellen im Gegensatz zu Tierzellen nicht im Labor kultivieren", sagt Gutzat.

Eine Fragestellung der Forschung lautet: Warum sind Pflanzen weitgehend resistent gegen Krebs? Während bei langlebigen Tieren Zellen mit der Zeit degenerieren oder mutieren und so zu Krebszellen werden, passiert das bei Pflanzenzellen nur selten. Auch hier helfen die Zellwände, die einzelne Zellen fixieren: Selbst wenn ein Tumor – etwas durch Pathogene – lokal entsteht, kann dieser nicht wandern.

Geschützte Stammzellen

Lange spekulierte man, dass die Fähigkeit, Stammzellen aus allen möglichen Zellen und somit Bereichen der Pflanze zu ziehen, auch Kehrseiten hat: Enthält eine Zelle eine gefährliche Mutation und wird dann zur Keimzelle, könnte diese Mutation an die nächste Generation weitergegeben werden.

Arbeiten des tschechischen Forschers Karel Říha und von Matthew Watson am Gregor-Mendel-Institut stellten diese Annahme auf den Kopf: Sie zeigten, dass alte Pflanzen nicht mehr Mutationen an ihren Nachwuchs weitergaben als junge. Das könnte heißen, dass manche Stammzellen auf gewisse Weise geschützt sind.

Regenerationsfähigkeit und Klonerzeugung sind jedenfalls zwei Mechanismen, die für ein langes Leben von Pflanzen hilfreich sein können. Während etwa einzelne Baumstämme absterben, besteht die Pando-Kolonie als Ganzes fort und ist über ein Sprossachsensystem, das als Rhizom bezeichnet wird, unterirdisch miteinander verbunden.

Sich selbst klonen

Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für eine äußert langlebige Pflanze ist Old Tjikko, eine 9550 Jahre alte Gemeine Fichte in Schweden. Der aktuelle Stamm wächst frühestens seit den 1930er-Jahren, doch die Fichte hat sich immer wieder selbst geklont – ein Prozess, der theoretisch bis ins Unendliche weitergehen kann. Als ältestes nicht-klonales Pflanzen-Individuum gilt "Methuselah": eine 4852 Jahre alte Kiefer in Kalifornien.

Doch nicht alle Pflanzen setzen auf Langlebigkeit. Sehr viele Pflanzen, etwa Kräuter, sterben nach einem, maximal zwei Jahren ab. Ihre Strategie lautet: die ganze Energie in eine schnelle Blüte stecken, so zur Fortpflanzung kommen und danach gleich sterben.

Langsame Anpassung

Im Gegensatz dazu geht Langlebigkeit meist mit einem langsameren Generationenwechsel einher. Die Folge ist eine langsamere evolutionäre Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen – genau das kann langlebigen Pflanzen aber zum Verhängnis werden.

Forschende rund um Stefan Dullinger an der Universität Wien zeigten in Modellierungen den Effekt auf Alpenpflanzen: Die einzelnen Individuen der untersuchten Arten leben zwischen fünf und 20 Jahre.

Die Langlebigkeit behindert die Erneuerung der Population, die sich somit nicht oder nur langsam an die sich verändernden Umweltbedingungen anpassen kann. Die Population überaltert, der Bestand nimmt ab, und ihre Verbreitung schrumpft.

Der Klimawandel wirkt sich aber nicht immer negativ auf langlebige Pflanzen aus. Old Tjikko scheint Gefallen an den wärmeren Temperaturen gefunden zu haben, erzählt Ruben Gutzat: Die Pflanze war lange ein Busch. Erst seit das Klima im 20. Jahrhundert wärmer wurde, nahm sie die Form eines prächtigen Baumes an. (Katharina Kropshofer, 24.5.2021)