Ich genieße das Schwimmen in der Natur, es geht mir nicht um die Kälte an sich.

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Es war schon ein wenig Übermut dabei, als ich letzten Herbst beschlossen hatte: Ich schwimme diesen Winter durch. Egal welches Wetter herrscht, bei Regen, Eis oder Schnee. Selbst wenn die Donau zufrieren sollte. Dann hacke ich mir einfach ein Loch.

Dass ich es jetzt tatsächlich geschafft habe, kommt mir fast wie ein Wunder vor. Warum? Weil Eisschwimmen zwar jeder kann, der keine gesundheitlichen Probleme hat, aber trotzdem bleibt es eine Herausforderung. Egal wie oft man sich schon überwunden hat, man steht immer wieder am Ufer und zweifelt. Möchtest du jetzt tatsächlich deine warme Jacke ausziehen? Und ins kalte Wasser steigen?

Die Temperaturen purzelten kontinuierlich, die Tage wurden trüb und grau. Oft war ein Hundewetter, an dem man lieber daheimbleibt. Ich bin trotzdem zwei- bis dreimal in der Woche mit der U-Bahn zur Alten Donau gefahren. Manchmal wurde mir schon auf dem Weg flau im Magen. Es kam mir absurd vor, ins unter fünf Grad kalte Wasser abzutauchen (da beginnt nämlich offiziell das Winterschwimmen). Ich habe es einfach gemacht. Je weniger man nachdenkt, desto besser. Ich habe mir kein einziges Mal erlaubt, einen Rückzieher zu machen. Das hat mich mental gestärkt.

Es klingt pathetisch, aber Eisschwimmen ist das Beste, was mir passieren konnte. Gerade an stressigen Tagen fühlten sich die Minuten im eisigen Wasser wie Wellness an. Winterbaden ist eine Art Reset-Button, das System fährt runter und startet neu durch. Man ist total im Moment, genießt die unterschiedlichen Lichtstimmungen. An manchen Tagen ist alles grau in grau, an anderen strahlt die Sonne besonders hell. Am schönsten ist die unfassbare Ruhe im Wasser. Ich erinnere mich noch genau, wie zum ersten Mal Schnee auf den Stegen gelegen hat und mein Handtuch festgefroren war, als ich aus dem Wasser kam. Aber auch an die erste dünne Eisschicht und welche sphärischen Geräusche die Schollen erzeugen. Damit hatte ich nicht gerechnet, es war wie ein schräges Konzert – und ich mitten drinnen.

Nichts für Angeber!

Ich war noch keinen Winter so viel draußen, habe die Natur so hautnah miterlebt wie durchs Eisschwimmen. Es war toll zu sehen, wie viele Freundinnen und Freunde mitmachen wollten. Weil man aus Sicherheitsgründen nicht allein Eisschwimmen gehen soll, war ich meist zu zweit, hatte kurze, aber intensive Begegnungen, auch mit Menschen, die ich sonst gar nicht so regelmäßig getroffen hätte. Es verbindet, sich gemeinsam zu überwinden. Es ist schön, die Euphorie danach in den Gesichtern zu sehen. Wir waren oft krebsrot vor Kälte, aber glücklich.

Was ich auch gelernt habe: Eisschwimmen ist nichts für Angeber. Obwohl es die auch gibt: nervige Männergruppen, die nackt ins Wasser laufen und dabei Brunftschreie ausstoßen. Braucht natürlich kein Mensch. Seriöse Eisschwimmer, die ich kennengelernt habe, waren stille, bescheidene Menschen. Ihnen geht es darum, die eigenen Grenzen auszuloten, und dazu braucht es Konzentration auf sich selbst. Man muss im Wasser genau beobachten, wie es einem geht.

Winterschwimmen ist eine Art Reset-Button.
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Wie lange halte ich es heute aus? Ich habe mich auf zehn Minuten trainiert. Einmal wollte ich es wissen und blieb in rund drei Grad kaltem Wasser 14 Minuten. Danach war mein Kreislauf im Keller, es flatterte vor meinen Augen. Manchmal waren meine Fingerkuppen ein paar Tage lang taub. Aber das ist normal, habe ich mich erkundigt. Es geht darum, langsam, aber kontinuierlich zu trainieren. Kleine, aber beharrliche Schritte zu machen. Übermut tut selten gut.

Beim Winterschwimmen habe ich aber auch gemerkt, dass Kälteempfinden etwas sehr Abstraktes ist. Man stellt sich vor, dass man eine Gänsehaut bekommt. Aber das ist erst der Anfang. Die Kälte hämmert auf die Haut wie Nadelstiche. Es fühlt sich an wie Fahrradfahren im Winter ohne Handschuhe. Nur am ganzen Körper. Oder wie früher als Kind, als man vom Rodeln oder Schneemannbauen die Finger gar nicht mehr bewegen konnte. Beim Schwimmen in eiskaltem Wasser reduziert sich der Blutfluss in den Extremitäten, damit die wichtigen Organe wie Herz, Nieren, Lunge und Gehirn weiterhin versorgt werden können. Arme und Beine scheinen dem Körper nicht so zentral, deshalb fühlen sie sich relativ schnell taub an.

Ich erinnere mich gut an meinen ersten Afterdrop. Die Blutgefäße weiten sich wieder, das kalte Blut der Extremitäten fließt zurück in den Rumpf. Die Temperatur im Körperinneren sinkt ab, obwohl man an Land ist. Am Anfang war das befremdlich. Wie ein Alien sitzt die Kälte plötzlich tief in einem. Kriecht den Rücken hoch. Breitet sich gnadenlos in den Adern aus. Da hilft keine noch so warme Kleidung. Die Kälte ist einfach da. Man muss sich mit ihr anfreunden. Sie ist stärker als man selbst. Man darf sie nicht als Feind betrachten, ich lasse sie einfach zu. Wir haben eine Art Zweckfreundschaft geschlossen.

Ich habe aber auch erfahren, wie angenehm warm es in einer U-Bahn sein kann, wie nervös und grantig ich werde, wenn ich unterkühlt auf den Bus warte, der sich verspätet. Meine kälteste Wassertemperatur war minus 0,8 Grad. Ich war mit dem Extremschwimmer Josef Köberl im Natur-Eis-Palast am Hintertuxer Gletscher. Erstaunlicherweise ist mir das gar nicht so schwergefallen, ich war aber auch nur maximal zwei Minuten im Wasser. Arme und Beine wurden sofort taub, die größte Herausforderung war, mit gefühllosen Füßen eine Metallleiter hochzuklettern, um die Gletscherspalte wieder zu verlassen. Vor ein paar Wochen war ich bei gemütlichen 11 Grad im Wasser. Ich dachte, das wäre eine gemähte Wiese. Aber ich musste mich extrem überwinden, mehr als im eisigen Gletscher. Beim Eisschwimmen kann man sich nicht auf seinen Erfolgen ausruhen. Die Tagesverfassung zählt, das Kälteempfinden ist immer anders. Man wird nicht immun gegen Kälte. Man sieht sie nur nicht mehr als radikale Bedrohung.

Ein Gefühl von Freiheit

Einer der schönsten Momente war ein Eisbad im zugefrorenen Augstsee bei strahlend blauem Himmel. Köberl hat ein Loch ins Eis gehackt, und wir sind zum Sonnenuntergang abgetaucht. Zum Aufwärmen war ein russisches Saunazelt aufgebaut. Die Sterne standen schon hoch am Firmament, als wir wieder durch den Schnee zum Auto gestapft sind. Das Beste am Eisschwimmen ist für mich ein Gefühl der unendlichen Freiheit: Ich kann jetzt zu jeder Zeit überall ins Wasser gehen. Ich muss nicht mehr wie früher auf den Sommer warten, sondern kann einfach losschwimmen. Wie im Dezember in Altaussee: Ein Schwan hat nicht wenig gestaunt, dass jemand trotz leichten Schneetreibens um 22 Uhr noch ein entspanntes Bad nimmt.

Trotzdem bin ich noch immer überzeugte Warmduscherin. Warum sollte ich mich zu Hause überwinden? Das ist mein Safe Space. Ich genieße das Schwimmen in der Natur, es geht mir nicht um die Kälte an sich. Und ich finde, man muss auch nicht daheim trainieren, es geht auch so mit dem Eisschwimmen. Obwohl ich schon gemerkt habe, dass ich die Heizung um ein bis zwei Grad heruntergedreht habe und dass ich eigentlich meist barfuß in der Wohnung unterwegs war. Ich hatte es ja für ein Gerücht gehalten, dass man im Alltag kälteunempfindlicher wird. Aber irgendwie scheint es zu stimmen.

Wie schaut es mit der Gesundheit aus? Keine Ahnung. Ich habe kein braunes Fett entwickelt, zumindest nicht so viel, dass sich meine Figur verändert hätte. Okay, ich bin nicht krank geworden. Aber ich trage auch sonst keine FFP2-Maske und bin deutlich mehr unter Menschen. Also eigentlich kann ich dazu nichts sagen. Es hat mir einfach enorm Spaß gemacht, und ich werde nächstes Jahr wieder dabei sein, wenn die Kälte hereinbricht.

Die große Frage ist für mich gerade: Wie wird der Sommer? Ist mir jetzt ständig heiß? Macht Schwimmen in geheiztem Wasser noch Freude? Ich werde es ausprobieren. Und vielleicht einfach mehr in der Nacht baden gehen. Eisschwimmen verdirbt nämlich auch ein wenig: Man ist Ruhe und Einsamkeit gewohnt. (Karin Cerny, 19.5.2021)