Selten verstimmt: Profis wie die 2019 verstorbene Opernsängerin Jessye Norman scheinen auch mit steigendem Alter seltener Probleme mit ihrer Stimme zu haben als Laien.

Wer mit zunehmendem Alter schlechter hört, bekommt ein Hörgerät. Wer schlechter sieht, besorgt sich eine Brille. Aber was passiert, wenn die Stimme Probleme macht? Denn mit der Zeit machen die meisten Menschen auch hier eine Veränderung durch: Die Stimme wird brüchiger, leiser und meist höher. Das kann dazu führen, dass sich ältere Personen in einer Gruppe nicht mehr richtig mitteilen können, nicht gehört werden und sich dadurch mehr und mehr sozial isolieren.

Wie viele das betrifft, ist schwierig zu sagen, weil die Beeinträchtigung der Stimme oft als normale Alterserscheinung gilt und sich eher wenige Betroffene aus diesem Grund an Fachleute wenden. "Die Dunkelziffer ist sicher hoch", sagt Markus Gugatschka von der Medizinischen Universität Graz. Er leitet die Abteilung für Phoniatrie, die sich auf medizinische Aspekte der Stimme und des Sprechens spezialisiert. Einen Richtwert liefert eine US-amerikanische Studie, laut der etwa 20 Prozent der über 65-Jährigen von akuten oder chronischen Stimmbeschwerden berichten.

Erschwerte Bedingungen

Unter den Patientinnen und Patienten, die mit Stimmproblemen zu ihm kommen, macht Gugatschka vor allem zwei Gruppen aus. Die erste besteht aus Personen, die aus beruflichen Gründen viel sprechen, etwa Lehrerinnen und Lehrer. Bei ihnen sorgen äußere Faktoren wie große Klassen und schlechte Raumakustik im Klassenzimmer für erschwerte Bedingungen.

Markus Gugatschka leitet die Abteilung für Phoniatrie der Medizinischen Universität Graz.
Foto: Marija Kanizaj/LKH-Univ. Klinikum Graz

Der zweite Klassiker: "Wir haben häufig Patientinnen, die seit 30 oder 40 Jahren im Kirchenchor singen und die Töne nicht mehr treffen oder halten können." Sie wollen nicht nur ihr Hobby beibehalten, sondern auch den Anschluss an eine Gemeinschaft nicht verlieren. Bei "Hochleistungssportlern der Stimme" wie Opernsängern scheinen die Probleme seltener aufzutreten, genau untersucht wurde dies bisher aber noch nicht.

Hormonelle Ursachen

Wie kommt es zur altersbedingt schwächeren Stimme? Bei vielen Frauen beginnen die Veränderungen in der Menopause: Um das 50. Lebensjahr sinken der Östrogen- und der Progesteronspiegel. Das sorgt zunächst für eine hörbar tiefere Stimme, sie liegt in Sachen Frequenz durchschnittlich etwa 14 Hertz niedriger. Bei einem Ausgangswert von ungefähr 190 Hertz sind das fast zehn Prozent. Daneben leidet die Stimmqualität, Patientinnen berichten über schnelle Stimmermüdung. Schleimhäute und Muskulatur der Stimmlippen werden dünner und weniger gut befeuchtet.

Der langsamer verlaufende männliche Wechsel sorgt ebenfalls für hormonbedingte Änderungen. Während der Testosteronrückgang wenig Auswirkungen hat, scheint interessanterweise der Östrogenrückgang bei Männern Anfang 60 mit einer etwas höher werdenden Stimme zusammenzuhängen.

Daneben spielen andere körperliche Transformationen eine wichtige Rolle. Die Stimmlippen sind für das Erzeugen von Tönen entscheidend: Sie sitzen im Kehlkopf an der engsten Stelle im Atemweg. Der Spalt zwischen ihnen heißt Stimmritze. Um stimmhafte Töne zu erzeugen, ist es wichtig, die Stimmritze fast schließen zu können. Dann sorgt die vorbeiströmende Luft für das Schwingen der Stimmlippen.

Vor- und Nachteile des sensiblen Apparats

Wenn nun im gesamten Körper die Muskulatur abgebaut wird, betrifft das vor allem im Alter von 70 bis 80 Jahren auch die Stimmlippen: Sie werden schmäler und können nicht ausreichend schließen. Zur Kompensation spannen sich die Stimmlippen an – "wie bei den Saiten einer Gitarre", erklärt Gugatschka: Wenn die Saite bzw. die Stimmlippe stärker gespannt wird, sorgt sie für höhere Töne.

Im Video ist das Zusammendrücken, Schwingen und Entspannen der Stimmlippen beim Sprechen und Singen (im Rahmen einer Untersuchung mittels Endoskop und Kamera) zu erkennen.
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So kann auch bei Frauen die Stimme wieder höher werden. Bei Männern, die im Alter mit ungewöhnlich hoher Fistelstimme sprechen, wird das Phänomen als Greisendiskant bezeichnet.

Das kann Mitmenschen zum Spott anregen. "Stimme ist ein wichtiges Element der Identität", sagt Gugatschka und hofft auf mehr Bewusstsein für die Problematik der Altersstimme. Dass die Stimme so sensibel auf Änderungen reagiert, hat immerhin auch Vorteile: "Wenn jemand mit einem Karzinom in frühem Stadium kommt, liegt das oft daran, dass der Partner oder die Partnerin gesagt hat: ‚Deine Stimme klingt anders.‘"

Tipps für gesunde Stimmen

Präventiv lässt sich wenig gegen die Altersstimme unternehmen, wichtig ist allerdings die Flüssigkeitszufuhr: Befeuchtete Schleimhäute schwingen besser, und gerade im Alter hat man seltener Durst und trinkt weniger. Generell ist es für eine geschmeidige und gesunde Stimme wichtig, ausreichend zu trinken, nicht zu rauchen und sie nicht zu überlasten, sagt der HNO-Arzt: "Wer als junger Hobbysänger am Wochenende voll draufdrückt und die Stimmlippen verletzt, kann nachhaltig Schaden anrichten."

Wie kann nun die Therapie bei altersbedingten Veränderungen aussehen? Zuerst wird festgestellt, ob es an den Stimmlippen etwa Knötchen oder Lähmungen gibt. Ist die Stimmstörung eher schwach, empfiehlt man logopädische Therapie.

Wenn die Stimmlippen nicht ausreichend zusammenkommen und das Problem stark ausgeprägt ist, kann man mit einem ambulanten Eingriff Hyaluronsäure einspritzen. Dadurch wird die Stimme lauter und etwas tiefer. Dies hält vier bis sechs Monate an und müsste danach wiederholt werden – ist also leider etwas mühsamer, als regelmäßig an Brille und Hörgerät zu denken. (Julia Sica, 21.5.2021)