Nach Monaten sperrt Österreich auf. Expertinnen und Experten halten die Öffnungsschritte für gerechtfertigt. Im Herbst könnten Mutationen aber zum Problem werden.

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Österreich öffnet: Gastronomie, Kultur- und Freizeitbetriebe sperren am Mittwoch wieder auf – für jene, von denen nur eine geringe epidemiologische Gefahr ausgeht, weil sie geimpft, genesen oder getestet sind. Doch wie schätzen Expertinnen und Experten die Öffnungsschritte ein?

Für den Komplexitätsforscher Peter Klimek spricht derzeit nichts gegen die Öffnungen. Die Infektionszahlen haben sich sehr gut entwickelt. Die effektive Reproduktionszahl sank seit April von 1 auf 0,8 ab – das liege zum Teil an den Impfungen, vor allem aber an saisonalen Effekten.

Die "leicht durchzuführenden Maßnahmen" wie Eintrittstests oder Masken in bestimmten Bereichen werden uns laut Klimek deshalb gut über den Sommer bringen. Aber: "Die Pandemie ist noch nicht vorbei." Durch die Reisetätigkeit im Sommer könnten eingeschleppte Fluchtmutationen im Herbst zum Problem werden. Es sei daher wichtig, das "Mutations-Surveillance" aufrechtzuerhalten.

Rasch reagieren bei Clustern

Vor zwei Monaten hielt der Epidemiologe Gerald Gartlehner die angekündigten Öffnungen für riskant. Nun sind sie für den Experten vertretbar, da die Infektionszahlen stark gefallen sind und sich rückläufig entwickeln. Zu Beginn der Öffnungen erwartet Gartlehner, dass die Zahlen wieder leicht ansteigen. Sollte es dann zu lokalen Clustern kommen, sei es wichtig, dass man "rasch lokal reagiert" – etwa mit Ausreisetests in diesen Regionen.

Grundsätzlich ist Gartlehner aber optimistisch. Er hält die begleitenden Maßnahmen wie Eintrittstests, Abstandsregeln und Maskenpflicht für sinnvoll. Mit zunehmendem Impftempo werde man sie auch schrittweise zurücknehmen können. Kommt es zu keinen Lieferausfällen bei den Impfungen, könnten die Eintrittstests zu Beginn des Sommers fallen.

Präventionskonzepte umsetzen

Der Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter sieht die Öffnungsschritte als wichtige Chance für die Bevölkerung, die Batterien wieder aufzuladen. Alle Öffnungsschritte gleichzeitig umzusetzen sei allerdings vielmehr eine "politische Entscheidung" gewesen. Ob es die richtige war, werde sich noch zeigen. Die nötigen Präventionskonzepte habe man aber längst parat, deren Umsetzung in die Praxis – beispielsweise in der Gastronomie oder im Freibad – funktioniere allerdings nur, wenn die Gesellschaft sie auch mitträgt.

Umso wichtiger sei es jetzt, die drei Kernmaßnahmen – Handhygiene, Abstandhalten, FFP2-Maske tragen – im Zuge der wiedergewonnenen Freiheit auch umzusetzen. Denn Hutter zufolge geht es nun nicht nur darum, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, sondern vielmehr um die Vermeidung von Infektionen – einerseits wegen der Mutationen, andererseits wegen Langzeitfolgen wie Long Covid.

Die Kernmaßnahmen seien jedenfalls das einzig wirksame Mittel. Hinzu kommt die sehr günstige epidemiologische Situation: die Saisonalität. Das richtig zu vermitteln ist aus Sicht des Experten aber eine Gratwanderung: "Wir können lockern, aber nicht völlig kopflos. Wir können lockern, aber es ist nicht wie früher."

Testen, tracen, isolieren

Aufgrund der sinkenden Zahlen hält auch die Virologin Dorothee von Laer "kontrollierte Öffnungsschritte" mit 19. Mai für "absolut gerechtfertigt". Das Testen, Tracen und Isolieren sei dabei aber entscheidend, sagt sie. Am Beispiel Schwaz habe sich gezeigt, wie rasch man bei spontan auftretenden, lokalen Clustern reagieren und damit eine Ausbreitung verhindern kann.

Da diese Maßnahmen ohnehin im Hintergrund mitlaufen, würden sie den Alltag kaum stören und Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten wieder möglich machen. "Das Testen und gegebenenfalls Isolieren muss konsequent weiterlaufen", sagt von Laer. "Schaffen wir das, glaube ich nicht, dass im Sommer größere Probleme zu erwarten sein werden."

Ausbreitung "im Keim" ersticken

Sorgen bereiten den Virologen mögliche Varianten, die die Impfung umgehen könnten. Die derzeit vorherrschende sogenannte britische Variante ist zwar infektiöser als der Wildtyp, die Impfung wirkt aber nach wie vor. Einbußen im Schutz gibt es hingegen bei der südafrikanischen Variante. Hinzu kommt nun die indische Variante, die laut von Laer mindestens genauso ansteckend sein dürfte wie die britische. Ob sie den Impfschutz umgehen kann, ist noch unklar.

Drei Faktoren tragen über den Sommer in dieser Hinsicht aber zur Entspannung bei: Die mRNA-Impfstoffe würden zumindest bei zwei der Varianten noch ausreichend schützen, der Impfschutz bei Geimpften sei noch frisch, und das warme Wetter helfe dabei, die Infektionszahlen zu senken. Da der Impfschutz gegen Herbst aber vermutlich abnehmen wird und sich Menschen dann wieder vermehrt in Innenräumen aufhalten, gelte es, die Entwicklungen schon nun genauestens im Auge zu behalten und zu testen und zu tracen. So könne man die Ausbreitung von Fluchtmutationen "im Keim" ersticken. (Eja Kapeller, Julia Palmai, 18.5.2021)