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Tausende Marokkaner umschwimmen die Grenzzäune Ceutas, Marokkos Gendarmerie lässt sie gewähren.

Foto: AP Photo/Javier Fergo

So etwas hat selbst Spanien, das an der Außengrenze der Europäischen Union liegt, noch nicht gesehen. Seit Montag gelangten über 6.000 Marokkaner in die spanische Exklave Ceuta an der Küste Nordafrikas. Sie umschwimmen die beiden Grenzbuhnen und somit den Grenzzaun in Benzú im Westen und Tarajal im Osten der Stadt. Die marokkanische Gendarmerie, die normalerweise den Zugang zu den letzten Stränden Marokkos und damit zu den Buhnen verhindert, schaut regungslos zu. So viele Migranten wie am Montag und Dienstag kamen noch nie an einem Tag in Spanien an, weder in Ceuta und Melilla noch auf den Kanaren oder an der südspanischen Küste.

Es bilden sich immer längere Schlangen, um nach Ceuta zu gelangen. Die spanische Polizei kann die Menschen nicht aufhalten. Viele von ihnen sind junge marokkanische Männer. Doch es kommen auch immer wieder ganze Familien, manche mit Kleinkindern und selbst mit Babys. 1.500 derer, die nach Ceuta gelangten, sind, so erste Schätzungen der Behörden, unbegleitete Minderjährige.

Westsahara als Ursache

Das spanische Innenministerium verhandelt mit den Behörden in Rabat die Rücknahme der Menschen, so wie es ein Abkommen von 1992 vorsieht. Medien stellen die Frage, warum die marokkanischen Grenzschützer untätig zuschauen.

Die Antwort liegt für alle spanischen Medien, egal welcher politischer Couleur, auf der Hand. Der Ansturm sei die Reaktion Marokkos, "nachdem das Land seine Proteste wegen der Aufnahme des Führers der Polisario verstärkt hat", schreibt etwa die größte Tageszeitung El País. Es geht um den Chef der Befreiungsbewegung für die Westsahara und Präsident der in Flüchtlingscamps in Algerien ansässigen sahrauischen Exilregierung, Brahim Ghali. Seit Mitte April liegt der 73-Jährige in einem Krankenhaus in Nordspanien. Er wird dort auf Bitte von Algerien wegen einer Covid-19-Erkrankung behandelt. Ghali ist für Marokko der Staatsfeind Nummer eins.

Rabat beansprucht die ehemalige spanische Kolonie Westsahara seit 1975 für sich. Als Madrid die Einreise Ghalis genehmigte, drohte Marokko ganz unumwunden mit Repressalien. Anders als bei früheren Massenanstürmen auf die Grenzzäune in Ceuta und Melilla kommen aktuell ausschließlich Marokkaner.

Bei der Aufnahme Ghalis handle es sich "lediglich um eine humanitäre Angelegenheit", erklärte am Montag die spanische Außenministerin Arancha González Laya. Am Dienstagabend wurde zudem bekannt, dass Spaniens Justiz ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Ghali wiedereröffnet hat, weil dieser sich nun im Land befinde.

Premier Pedro Sánchez wurde am Dienstag in Ceuta erwartet, wo er sich ein Bild von der angespannten Lage machen wollte. Der Regierung in Rabat stellte Madrid 30 Millionen Euro in Aussicht, damit sie weitere Migration in die Exklave verhindert. Neben der Westsahara geht es Rabat auch um Ceuta und Melilla selbst – für Marokko sind diese Städte "besetzte Gebiete". Mittels der Untätigkeit der Grenzpolizei erinnert Rabat Madrid immer wieder gerne daran, wie prekär die Lage der Exklaven ist. Diplomatenkreisen zufolge beorderte Marokko zudem seinen Botschafter aus Madrid zurück. (Reiner Wandler aus Madrid, 18.5.2021)