Nein, die Grünen sind in dieser Koalition nicht glücklich geworden, und sie sind es jetzt weniger denn je. Mit der ÖVP unter Sebastian Kurz ein gemeinsames politisches Geschäft zu betreiben ist – vor allem in grünen Kreisen – nahezu rufschädigend. Wer sich in die Arme der türkisen Familie begibt, läuft Gefahr, darin umzukommen – politisch gesehen. Es könnte leicht sein, dass einem die Wähler das übelnehmen, wenn man unbeirrt mit jemandem zusammenarbeitet, der so offensichtlich von der Arroganz der Macht befallen ist, der keinen Respekt vor demokratischen Einrichtungen zeigt, der sich über parlamentarische Gremien lustig macht, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und der versucht, sich über das Gesetz zu erheben und dessen Vertreter zu bekämpfen.

Keine leichte Situation für die Grünen, möchte man meinen. Sie stehen vor einem Riesendilemma: Was tun im Falle einer Anklage gegen den Kanzler? Sollen sie ihm die Treue halten und sich damit zum Verbündeten, quasi zum Komplizen machen? Oder sollen sie die Koalition sprengen und Neuwahlen riskieren, um sich selbst die Treue zu halten?

Die Grünen haben eine Entscheidung getroffen: sich alles offenzuhalten. Es gibt derzeit offenbar bewusst keine Festlegung, was die Partei im Falle eine Anklage tun wird, und es wird diese Entscheidung so rasch nicht geben. Das wird über die Wochen nicht leicht zu argumentieren sein. Mit einer Entscheidung über eine Anklage kann aller Voraussicht nach erst nach den Sommermonaten gerechnet werden. Diese unklare Lage birgt zumindest ein paar strategisch interessante Optionen in sich: Die Grünen werden versuchen, die missliche Lage des Kanzlers zu ihrem Vorteil auszunützen.

Die Grünen sind in ihrer Koalition mit der ÖVP nicht glücklich geworden.
Foto: Christian Fischer

Signal der Grünen

Die ÖVP ist in dieser Koalition vieles schuldig geblieben, vor allem im Umweltbereich. Jetzt wäre es aus grüner Sicht an der Zeit, zu liefern: Am 14. Juni findet der Bundeskongress der Grünen statt, noch ist kein Antrag auf Ende der Koalition eingebracht worden. Wie die Stimmung bei diesem höchsten grünen Entscheidungsgremium ist, kann die ÖVP zumindest ein wenig beeinflussen.

Das ist das Signal der Grünen an den großen Partner: Es wäre dringend angeraten, endlich zu liefern und die großen umweltpolitischen Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die die ÖVP bisher aus Rücksichtnahme auf Wirtschaft und Industrie verschleppt hat.

In den vergangenen Tagen haben sich die Grünen überraschend deutlich positioniert: Sie haben die zweifelhaften Methoden der ÖVP benannt und kritisiert. Dass Kurz, Blümel und Co keinen Respekt vor dem Rechtsstaat haben, dass Gesetze gebogen und Laptops spazieren getragen werden, dass die Unwahrheit und die angebliche Vergesslichkeit als politisches Instrument eingesetzt werden, liegt für sie auf der Hand.

Wer daran zweifelt, dass Kurz und seine Freunde in der Lage sind, sich Respekt vor demokratischen Einrichtungen anzueignen, wird den Grünen vermutlich zu einem Ende der Koalition raten. Abgesehen von moralischen und strategischen Überlegungen spricht ein gewichtiges Argument dagegen: Die Grünen haben die Leitung des Justizressorts inne. Sie haben es in der Hand, eine unabhängige Justiz und ein unbeeinflusstes Verfahren gegen Kurz, Blümel und andere Vertreter der neuen ÖVP zu garantieren – egal, was rauskommt. Es wäre fahrlässig, diese Möglichkeit jetzt aufzugeben. (Michael Völker, 18.5.2021)