Eine Frau geht durch das Camp Roj. Die Aufnahme stammt von März.

Foto: AFP/DELIL SOULEIMAN

Sie zählen offenbar zu jenen, die vor Jahren nach Syrien gereist sind, um dort die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zu unterstützen: Kürzlich entschied die dänische Regierung, drei Frauen und insgesamt 14 Kinder zurück ins Land zu holen – in Europa kein Einzelfall. Immer wieder werden IS-Anhängerinnen mit Kindern aus kurdisch geführten Lagern in Syrien in ihre Heimatländer gebracht. Das geschah im Dezember etwa auch in Deutschland, als drei Frauen und zwölf Kinder zurückgeholt wurden.

Österreich geht hier einen anderen Weg. Im Oktober 2019 wurden die zwei Kinder der mutmaßlich toten IS-Anhängerin Sabina S. nach Wien geflogen. Seither wurde niemand mehr zurückgeholt.

Ein Dutzend Personen

Derzeit geht das Außenministerium von rund einem Dutzend Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft aus, die sich in kurdisch geführten Lagern in Nordostsyrien befinden. Rund die Hälfte davon sind Kinder. Darunter ist auch die Salzburgerin Maria G., die sich 2014 mit 17 Jahren freiwillig nach Syrien aufmachte, um sich dort dem sogenannten "Islamischen Staat" anzuschließen. Sie lebte dann längere Zeit mit ihren beiden kleinen Kindern im Lager al-Hol, wurde mittlerweile aber in ein anderes Lager verlegt. Gegen sie liegt ein internationaler Haftbefehl vor. In Österreich würde sie ein Prozess erwarten.

Immer wieder sah es so aus, als ob Bewegung in die Sache kommen würde. Zuerst verlangte das Außenministerium einen DNA-Nachweis der beiden Kinder. Nach mehreren Anläufen kam ein Testkit im Lager an, die Verwandtschaft wurde festgestellt. Dann geschah länger nichts. Vor einigen Monaten wurden dann sogar Notpässe für die Kinder ausgestellt, berichtet Johann Eder, der Anwalt der Familie. Diese seien aber nie überbracht worden und seien mittlerweile wieder abgelaufen. Dabei sei sogar schon ein Flug und das ganze Prozedere organisiert gewesen. "Es geht nichts voran. Man folgt auch nicht dem deutschen Beispiel", sagt Eder.

Sporadischer Kontakt

"Wir haben sporadisch zu unserer Tochter Kontakt, ungefähr einmal pro Monat", sagt Maria G.s Mutter im Gespräch mit dem STANDARD. Mit dem Außenministerium habe es im März den letzten Kontakt gegeben. Die Enkelkinder sind mittlerweile fünf und drei Jahre alt und seit über zwei Jahren im Lager. Nachdem ein Bub einen Unfall mit Verdacht auf Schädelbasisbruch hatte, hatte es kurz so ausgesehen, als ob eine Rückholung möglich wäre. Doch die Verletzung stellte sich als doch nicht so gravierend heraus wie zuerst angenommen. Bald wird der ältere seinen sechsten Geburtstag haben. "Ich weiß nicht wie sich die Regierung das mit der Schulpflicht vorstellt", sagt die Mutter. Die Kinder sind, so wie Maria G., österreichische Staatsbürger.

Zumindest eine weitere österreichische IS-Anhängerin soll sich mit ihren Kindern STANDARD-Informationen zufolge ebenfalls im Lager Roj befinden. Das Außenministerium will zu individuellen Fällen aus Datenschutzgründen keine Stellungnahme abgeben, wie es auf STANDARD-Anfrage heißt. Todesfälle seien keine bekannt. Was die Rückholungen allgemein betrifft bleibt man vage: "Die Rückholung von Erwachsenen bedarf einer Einzelfallprüfung in Abstimmung mit den zuständigen österreichischen Stellen. Dabei ist eine Abwägung zu treffen zwischen dem Recht auf Schutz der Betroffenen einerseits und der öffentlichen Sicherheit andererseits."

Prekäre Zustände

Die Zustände in den überfüllten Lagern sind prekär. Einerseits wegen der schwierigen Versorgung, andererseits weil viele Gefangene immer noch der islamistischen Terrorideologie anhängen. Wer sich davon abgewandt hat, lebt mitunter gefährlich.

Insgesamt handelt es sich bei den (potenziellen) Rückkehrern um unterschiedliche Gruppen: Darunter sind wie vor ideologisierte Gefährder, aber auch Personen, die sich vom IS abgewandt haben. Und dann gibt es noch die Kinder, die von ihren Eltern mitgenommen wurden oder erst im Kriegsgebiet auf die Welt gekommen sind.

Laut letztem Verfassungsschutzbericht Ende 2019 waren insgesamt 326 aus Österreich stammende sogenannte Foreign Terrorist Fighters (FTF) bekannt, die sich aktiv am Jihad in Syrien und dem Irak beteiligten oder dies vorhatten. Unter diesen Personen seien vermutlich 69 Personen in der Region gestorben und 93 wieder nach Österreich zurückgekehrt. 62 wurden an der Ausreise gehindert. Auch der Wiener Terror-Attentäter wurde zum Beispiel als "FTF" eingestuft, weil er plante, nach Syrien zu reisen. 102 Personen dürften sich nach damaligem Stand noch im Kriegsgebiet befunden haben.

Experten und auch die kurdische Verwaltung warnten immer wieder davor, dass IS-Anhängerinnen und Anhänger, sollte die Möglichkeit einer koordinierten Rückholung nicht genützt werden, eventuell untertauchen und unentdeckt zurückkommen und somit zu einem neuen Sicherheitsproblem werden könnten. Einschlägige Hilfsorganisationen stehen zudem im Verdacht, mit Spendengeldern Freikäufe von ausländischen IS-Anhängerinnen oder gar Kämpfern zu organisieren. (Vanessa Gaigg, 14.6.2021)