Durch Echtzeitmonitoring und niederschwellige Hilfsangebote könnte eine deutlich bessere Versorgung bei psychosozialen Problemen gelingen.

Foto: imago images/Bildgehege

Die meisten von uns vereint ein Gefühl der Abgeschlagenheit, Trostlosigkeit oder Einsamkeit. Andere wiederum kämpfen mit Depressionen, Ängsten oder sogar Suizidgedanken. Die Auswirkungen der Pandemie auf unsere Psyche sind längst noch nicht abschätzbar. Dass es jedenfalls zu einem massiven Anstieg von Belastungsstörungen kommen wird, davon sind Experten überzeugt.

Aus diesem Grund widmet sich die derzeit stattfindende European Health Week (EPHW) den Folgeschäden der Pandemie für die psychische Gesundheit. Die EPHW ist eine Initiative der Europäischen Vereinigung für öffentliche Gesundheit (EUPHA) in Kooperation mit dem WHO-Regionalbüro für Europa und den nationalen Public-Health-Gesellschaften. Das Ziel: europaweit das Bewusstsein für die öffentliche Gesundheit schärfen.

Außerdem soll die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten und den nationalen Public-Health-Gesellschaften gefördert werden, heißt es seitens der Gesundheit Österreich (GÖG), die gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH) zahlreiche Veranstaltungen organisiert. "Damit stärken sie Gesundheitsförderung und Prävention und unterstützen uns in den Bemühungen, die gesundheitlichen und sozialen Folgeerscheinungen der Pandemie einzudämmen", erklärt Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne).

Monitoring fehlt

Unter dem Motto "Covid-19 und psychische Gesundheit in Österreich" wurden konkrete Ergebnisse einer Langzeitstudie präsentiert. Wie geht es also den Österreicherinnen und Österreichern im Zuge der Pandemie?

Aktuell sei die Belastung "schwer objektiv zu beziffern", sagt Sophie Sagerschnig von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), was auch daran liegt, dass sich der Zugang zu Daten schwierig gestaltet. "Viele Datenquellen sind nicht so verfügbar, wie wir sie brauchen würden", sagt sie. Der Aufbau eines Echtzeitmonitorings der psychischen Belastungen im Zusammenhang mit Covid-19 lässt deshalb auch noch auf sich warten, obwohl die Erstellung eines Konzepts vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde. Sagerschnig arbeitet seit November daran.

Momentan wird vor allem mit Informationen von psychosozialen Hotlines oder Erhebungsdaten aus den "Austrian Corona Panel"-Umfragen, Daten zu ausgesprochenen Annäherungs- und Betretungsverboten, Arbeitsmarktdaten, Informationen zur psychiatrischen Bettenauslastung oder Leitstellenprotokollen von Einsatzorganisationen gearbeitet. Auch Sagerschnig rechnet damit, dass die Pandemie mit all ihren Facetten – Eindämmungsmaßnahmen, Social Distancing und so weiter – ihre vollen Auswirkungen erst noch zeigen wird.

Junge stark betroffen

Um konkrete Daten über die gesellschaftlichen Belastungsreaktionen zu gewinnen, wurden im Zuge der Studie "Sars-CoV-2: Mental Health in Österreich" bis Ende 2020 zwölf repräsentative Befragungen von jeweils rund 1.000 Personen im Abstand von drei Wochen durchgeführt. Das Ergebnis: 15 bis 20 Prozent der Befragten berichten über eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit.

Insbesondere betroffen ist die Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen. Sie war bereits vor der Pandemie belasteter, die Covid-Maßnahmen haben den Effekt weiter verstärkt, da junge Erwachsene vergleichsweise stark von den Einschränkungen betroffen waren. Zu den weiteren Risikogruppen zählen sozioökonomisch schlechter gestellte, ebenso psychisch Vorerkrankte sowie Personen, die an Covid-19 erkrankt sind. Letztere sind länderübergreifend belastet, da eine Infektion mit einer gewissen Stigmatisierung verbunden ist.

Kapazitäten ausgelastet

Unterstützung wünschen sich Betroffene in Form von niederschwelligen Hilfsangeboten, Beratungen oder finanziellen Leistungen. Experten beobachten eine verstärkte Nachfrage bei ambulanter psychischer Versorgung – vor allem bei den Jungen. Obwohl das Angebot, vor allem in der Bundeshauptstadt, im internationalen Vergleich gut aufgestellt ist, haben sich Wartezeiten deutlich verlängert.

Alexander Grabenhofer-Eggerth von der GÖK-Kompetenzgruppe "Public Mental Health" betont, dass etwa die Jugendpsychiatrien schon vor der Krise kapazitätsmäßig voll ausgelastet gewesen seien. Wenn jetzt wieder das gleiche Niveau erreicht werde, zeige das aber nicht, dass die Probleme nicht angewachsen seien, denn "was am Anschlag war, kann nicht mehr ansteigen". Außerdem bezeichnet Grabenhofer-Eggerth die Pandemie als eine Art Brennglas für die Lücken und Defizite im Gesundheitssystem. (Julia Palmai, 20.5.2021)