Längst nicht immer tritt die französische Polizei so martialisch auf wie hier auf einer Demonstration in Paris.

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Viele Polizistinnen und Polizisten machen ihrem Ärger Luft.

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Stéphanie Monfermé erlag im April in der geruhsamen Pariser Vorstadt Rambouillet der Messerattacke eines selbsternannten Jihadisten. Eric Masson wurde Anfang Mai von einem Dealer im Stadtzentrum von Avignon kaltblütig erschossen. Beide waren Polizisten. Und ihre Ermordung steht nicht allein: Im vergangenen Jahr sind 4.931 Polizisten in Ausübung ihres Berufs mehr oder weniger schwer verletzt worden. Dabei war es wegen der Covid-Krise eher ein "ruhiges" Jahr, wie ein Vertreter des Polizistenverbandes Alliance am Mittwoch vor der Pariser Nationalversammlung erklärte.

Dort hatten sich zahllose Polizisten versammelt, um gegen die zunehmende Gefährlichkeit ihres Berufsalltags zu protestieren. Da sie an sich nicht demonstrieren dürfen, beließen sie es bei einer stehenden Versammlung, zu der nicht nur die "Flics" geladen waren, sondern auch betroffene Bürger.

Zunehmende Aggression

Vertreter der Polizeigewerkschaften Alliance, Unité SGP, Unsa und SCSI erzählten, sie seien seit Beginn der Gelbwesten-Proteste mit zunehmend aggressiven Demonstranten konfrontiert. Wenn sie wegen eines Deliktes in eine Banlieue-Siedlung gerufen würden, empfange sie oft ein Steinhagel.

Solche Aussagen aus dem Polizistenalltag sind an sich nicht politisch gemünzt. Die Demo wurde dennoch von vielen Parteien vereinnahm – zuerst von der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Wohl wissend, dass ihre bloße Teilnahme zu einem Handgemenge führen würde, schickte die derzeit auf Staatsmännigkeit bedachte Präsidentschaftskandidatin ihren Stellvertreter Jordan Bardella ins Feld; andere Rechtsextremisten wie Éric Zemmour hielten sich ebenfalls bereit.

Präsident Emmanuel Macron, der bei den Präsidentschaftswahlen von 2022 auf ein Duell mit Le Pen setzt, entsandte darauf Innenminister Gérald Darmanin zur Polizeidemo. "Die Wut der Polizisten ist legitim", twitterte der Minister. "Ich werde dabei sein."

Umstrittener Besuch

Darmanins Präsenz war umstritten, weil Regierungsvertreter in Frankreich normalerweise nicht an Demos teilnehmen. "Und schon gar nicht gegen ihre eigene Untätigkeit", spottete der konservative Europaabgeordnete François-Xavier Bellamy. Die Polizeigewerkschafter nahmen in der Tat auch die Regierung ins Visier, weil sie eine zu lasche Justizpolitik verfolge: "Festgenommene Delinquenten kommen meist wieder auf freien Fuß und später mit einer bedingten Haftstrafe davon", erklärte Olivier Hourcau von der Gewerkschaft Alliance, die Justizminister Eric Dupont-Moretti ausdrücklich von der Demo ausgeladen hatte.

Die Linke zögerte, ob sie an der Polizeidemo teilnehmen sollte. Während die "Unbeugsamen" von Jean-Luc Mélenchon davon absahen, markierten die Chefs der Sozialisten, Kommunisten und Grünen schließlich Präsenz. Oliver Faure, Fabien Roussel und Yannick Jadot verlangten eine Aufstockung der 250.000 Polizisten und Gendarmen im Land. Macron hatte kürzlich behauptet, er habe seit seiner Wahl bereits mehr als 6.000 Posten geschaffen – eine Zahl, die von der Opposition in Abrede gestellt wird.

Linke demonstriert Betroffenheit

Mit ihrer Teilnahme wollte die Linke auch signalisieren, dass sie nicht prinzipiell gegen die Polizei sei. Im Herbst hatte sie noch gegen Polizeigewalt im allgemeinen und die Verprügelung eines schwarzen Musikproduzenten demonstriert.

Polizisten kritisierten dagegen am Mittwoch vor allem den Verlust des polizeilichen Gewaltmonopols. Schockvideos zeigten bei der Demo brutale Attacken auf Ordnungshüter. Und das nicht nur in "heißen" Vorstädten, sondern auch bei simplen Kontrollen von Automobilisten oder Maskenverweigerern.

Ob die statistisch verbürgte Häufung der Gewaltakte auf eine allgemeine Reizbarkeit in Covid-Zeiten zurückgeht oder ob sich darin ein langfristiger Gesellschaftstrend äußert, muss sich weisen. Sicher ist schon jetzt, dass die Präsidentschaftskampagne 2022 in Frankreich im Zeichen der Sicherheit stehen wird. Das Thema ist Wasser auf Le Pens Mühlen. Die Konservativen versuchen Schritt zu halten, indem sie etwa die Senkung der Strafmündigkeit auf 15 Jahre verlangen. Le Pen konterte, das nütze nichts, wenn die Verurteilten nicht wirklich hinter Schloss und Riegel kämen.

Macron ist in der Sicherheitsdebatte in der Defensive. Sein Minister Darmanin spricht zwar von der "Verwilderung der Sitten" – und damit vielen Wählern aus der Seele. "Aber was tut er über diese Worte hinaus?", fragte ein Polizist an der Demo in die Mikrophone. (Stefan Brändle aus Paris, 19.5.2021)