Spanische Sicherheitskräfte am Strand von El Tarejal, wo viele Marokkaner ankommen.

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Die Lage an der Grenze zur spanischen Exklave Ceuta hat sich am Mittwochmittag beruhigt. Erstmals in mehr als zwei Tagen hinderte die marokkanische Gendarmerie die Menschen daran, an den Grenzzaun und an die Buhnen zu gelangen, die das nordafrikanische Königreich Marokko von der spanischen Garnisonsstadt trennen.

Insgesamt haben seit Montag über 8.000 Menschen die Grenzanlagen umschwommen und waren so in die 85.000-Einwohner-Stadt Ceuta gelangt. Lange schauten die marokkanischen Grenzschützer regungslos zu. Einige Videos zeigen gar, wie marokkanische Polizisten Grenzanlagen öffneten, um die Menschen durchzulassen. Die spanische Nationalpolizei, die Guardia Civil und die Armee waren völlig überfordert.

Spitalsbehandlung als Affront

"Spanien wusste, dass der Preis dafür, Marokko zu unterschätzen, sehr hoch ist", erklärt der Minister für Menschenrechte, Mustafa Ramid, in Rabat, der Hauptstadt Marokkos, und bestätigt damit, dass hinter den vielen Menschen, die nach Ceuta kommen, ein politisches Machtspiel seitens Marokkos steht.

Es geht der Regierung um den Führer der Befreiungsbewegung für die Westsahara, der Polisario, und Chef der sahrauischen Exilregierung, Brahim Ghali, der seit Mitte April in Nordspanien wegen Covid-19 behandelt wird. Marokko hält die ehemalige spanische Kolonie seit 1975 besetzt. Ghalis Behandlung ist für Rabat ein Affront. "Es gibt Handlungen, die haben Konsequenzen, die einer zu tragen hat", meldete sich die marokkanische Botschafterin Karima Benyaich bereits am Dienstag zu Wort, als sie einer Vorladung der Regierung Sánchez Folge leistete.

"Das ist keine Migrationskrise, sie ist von anderer Art", erklärte der spanische Regierungschef Pedro Sánchez in einer parlamentarischen Fragestunde am Mittwoch, nachdem er aus Ceuta zurückgekommen war. Seine Regierung hatte schnell gehandelt. Mittwochfrüh vermeldeten die spanischen Behörden, dass bereits 4.800 Menschen wieder abgeschoben worden seien. Viele von ihnen wurden direkt nach dem Grenzübertritt wieder zurückgebracht, ohne ihre Identität zu prüfen oder ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Asylantrag zu stellen.

Szenen aus Ceuta und Fnideq von den vergangenen Tagen
DER STANDARD

Illegale Pushbacks

Diese Praxis ist illegal und wurde in der Vergangenheit von der europäischen Justiz verurteilt. Mehrere NGOs kritisierten die Koalitionsregierung aus Sozialisten und der linksalternativen Unidas Podemos dafür scharf. Sánchez stört dies nicht. Er lobte seinen Innenminister für die "außerordentliche Arbeit" der Polizeieinheiten zusammen mit der Legion der spanischen Armee.

Dem Chef des konservativen Partido Popular (PP), Pablo Casado, ist dies nicht genug. Er warf Sánchez in der Fragestunde trotz des harten Durchgreifens "Schwäche" vor. "Ceuta ist seit 600 Jahren spanisch. Unsere Landleute verdienen so etwas nicht", erklärte er. Der Vorsitzende der rechtsextremen Vox, der stärksten Partei in Ceuta, Santiago Abascal, zog es vor, die Garnisonsstadt zu besuchen, statt an der Parlamentssitzung teilzunehmen. Er wolle "bei den Spaniern sein, die am meisten leiden", erklärte er.

Keine Lösung in Sicht

Trotz der angespannten Ruhe an der Grenze ist der diplomatische Konflikt mit Marokko bei weitem nicht ausgestanden. Das oberste spanische Strafgericht, die Audiencia Nacional, hat gegen Ghali erneut ein Verfahren wegen Folter, Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen und Ghali für den 1. Juni vorgeladen. Hinter der Klage steht eine Menschenrechtsorganisation aus dem von Marokko besetzten Teil der Westsahara. Es ist fraglich, ob der sahrauische Präsident der Vorladung Folge leisten wird. Er ist im Besitz eines algerischen Diplomatenausweises. (Reiner Wandler aus Madrid, 19.5.2021)