Die Liebe ist gerade etwas aus dem Takt. So sieht es zumindest Martha (Anna Mendelssohn mit Joep van der Geest) in "Ordinary Creatures".

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Für ein Roadmovie ist Österreich eigentlich zu klein. Zwar sollen schon Leute von Scheibbs nach Nebraska gekommen sein, aber das geht nur mit der Entgrenzung, die ein guter Song oder ein guter Schmäh mit sich bringt. Oder ein sehr guter Film. Ordinary Creatures von Thomas Marschall wurde in Niederösterreich und in der Gegend von Znaim (Znojmo) gedreht, führt also gewissermaßen eher von Hollabrunn nach Chvalovice als von Scheibbs nach Nebraska. Wenn man aber jemandem erzählen sollte, wo der Film spielt, dann könnte man antworten: überall und nirgends, an der Grenze zum Absurden, in der Weltprovinz des Kinos.

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Die Ortlosigkeit beginnt damit, dass die zwei Menschen, die in einem roten Volvo-Kombi durch die Gegend fahren, Englisch miteinander sprechen. Martha und Alex. Seine Muttersprache scheint Niederländisch zu sein, das kann man aus einem Telefonat mit seiner Mutter schließen. Zu Marthas Muttersprache gibt es keine Hinweise. Alex ist Schauspieler, bekommt aber zurzeit nur Aufträge für Hühnergeschrei. Martha ist Bloggerin, hat auf der Fahrt aber keinen Rechner dabei. Vielleicht ist das ja eine Art Paarurlaub. Oder ein therapeutischer Ausflug, denn die Liebe ist, so meint es jedenfalls Martha, gerade ein bisschen aus dem Takt.

Ohne Hektik

Man kommt zwischendurch immer wieder ins Spekulieren bei Ordinary Creatures. Das liegt daran, dass Thomas Marschall die ganze Geschichte höchst kunstvoll in der Schwebe hält. Es gibt zwar so etwas wie einen Spannungsbogen. Der hat damit zu tun, dass ein Hunderl namens Jacky O. unter die Räder des Volvos gerät, woraufhin sich ein grimmiger Mann (im Abspann als Grrrumpy Hunter bezeichnet) aufmacht, Alex und Martha zu verfolgen. Hektik kommt in diesem Film selten auf, am ehesten noch bei einer typischen Paarsituation, nämlich beim Aufgeben einer Bestellung bei einem Drive-through-McDonald’s irgendwo in der Pampa. Martha zeigt sich da von der komplizierteren Seite, das üppige Mahl regt dann aber den Geschlechtstrieb an.

In jeder Szene wartet Thomas Marschall mit einer Fülle von Ideen auf, ohne dass er jemals Druck machen würde: Ordinary Creatures entwickelt sich mit der Gemächlichkeit, die auch den "gewöhnlichen Tieren" eignet, die zwischendurch immer wieder zu sehen sind: Schnecken, Käfer, Schleimspurviecherl. Die Situationskomik bleibt hintersinnig, auch dann, wenn aus dem Nichts eine Eternal Eve auftaucht, die Alex und Martha zuerst zum Nacktbaden und dann zu tendenziell entwürdigenden Hippie-Ritualen verführt, bevor die flüchtige Bekanntschaft in einem Eklat endet.

Spuren des Wilden

Marschall hat das Drehbuch zu Ordinary Creatures gemeinsam mit der Performancekünstlerin Anna Mendelssohn geschrieben, die auch eine der beiden Hauptrollen spielt. Man kann nur andeuten, was da alles an Hintersinn sehr weit nach hinten in den Bedeutungsregistern des Films verräumt ist, also in den Bereich, den in der Natur die meist übersehenen Tiere bewohnen, auf die der Titel anspielt. Allein schon die Spuren des "Wilden", die so gar nicht in die meistens recht aufgeräumt wirkende Nutzlandschaft passen, die Alex und Martha durchqueren. Plötzlich sitzen sie dann in einem Restaurant im Safaristyle, in dem eine Stewardess bedient, die keine Silbe von sich gibt.

Der großartige Soundtrack von Jorge Sanchéz-Chiong und die originelle Auswahl an Songs erzählen die Geschichte auf ihre Weise auch immer mit, lassen sie ab und zu regelrecht pathetisch werden, dann aber auch wieder seltsam stimmig. Einmal nehmen Alex und Martha eine Fähre über einen Fluss, dazu ist ein Volksmusikchoral zu hören, der ein Lied vom Überführen singt. Das ist schon fast ein Todeszeichen, das Alex aber mit einem peinlichen Handy-Casting durchkreuzt. Das Lächerliche gilt als der Todfeind des Erhabenen. Wenn sich aber ein Film so brillant genau dazwischen zu bewegen weiß wie Ordinary Creatures, dann steht einem grenzenlosen Vergnügen nichts im Weg. (Bert Rebhandl, 20.5.2021)