In Amritsar in Nordindien hat die Polizei einen Taxidienst aus den Dörfern zu den Impfzentren eingerichtet.

Foto: AFP / Narinder Nanu

Zwei, drei Stunden maximal, auf so viel Schlaf kommt Ritu Prasad Pandey aktuell pro Tag. Neben ihrem Vollzeitjob in einem Finanzunternehmen und der Betreuung von zwei Kindern kümmert sich die Wahl-New-Yorkerin seit einigen Wochen auch um Menschen im ländlichen Indien. Denn viele ihrer Familienangehörigen leben im Dorf Ramauli in Bihar. Das ist einer der ärmsten Bundesstaaten des riesigen Subkontinents, der gerade von einer neuen Welle an Corona-Infektionen heimgesucht wird.

Während der zweiten Welle sind schon die Spitäler in den Städten wie Delhi und Mumbai heillos überfordert. In ländlichen Regionen wie in Bihar gibt es so gut wie keine Versorgung. Doch langsam verbreitet sich das Virus auch dort.

Von New York aus organisiert Pandey gemeinsam mit ihrer Familie ein Fundraising. Ständig kommen neue Whatsapp-Nachrichten auf ihr Telefon: Wieder braucht jemand eine Sauerstoffflasche oder ein Spitalsbett, oft fehlt es auch am Transport. "Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit", sagt sie dem STANDARD via Skype. Erst vor wenigen Tagen konnte sie gemeinsam mit der lokalen NGO "Valmiki Vikas Manch" ihres Schwiegervaters hundert Sauerstoffdurchflussmesser für die Region organisieren. Das war erst ein großer Erfolg, erzählt sie. Doch dann stellte sich heraus, dass in den paar Spitälern dort niemand die komplexeren Maschinen bedienen kann.

"Wir haben keine Zeit, es perfekt zu machen", stellt sie klar. So sei es kein Problem, Sauerstoffgeräte zu bedienen. Dazu gäbe es hunderte Youtube-Videos. Aber gewisse Dinge können nur geschulte Ärztinnen und Ärzte machen. In vielen der staatlichen Spitäler auf dem Land fehlt schlicht das Personal.

Mehr als die Hälfte aller gezählten Infizierten in der vergangenen Woche im Bundesstaat Maharashtra zum Beispiel gingen auf Fälle aus dem ländlichen Bereich zurück. Im bevölkerungsreichsten Staat Uttar Pradesh im Norden waren es sogar zwei Drittel. Und in Bihar, wo Pandey und die NGO ihrer Familie aktiv sind, sind es drei Viertel.

Cluster eindämmen

Die hunderten Freiwilligen, die sich in der NGO engagieren, gehen von Dorf zu Dorf, um überhaupt einmal ein Bewusstsein für das Virus zu schaffen. Sie klären über Maskentragen und Abstandhalten auf. Und auch wie man Leichen von am Virus Verstorbenen Corona-sicher versorgt. Außerdem haben sie die lokale Herstellung von Masken mitorganisiert.

Es gibt bereits einige Corona-Cluster in Bihar. Noch geht es aber darum, das Virus einzudämmen. Denn wenn es einmal außer Kontrolle ist, dann gibt es kaum medizinische Versorgung. "Ich wünschte, wir hätten schon vor einem Jahr begonnen", sagt Pandey. "Jetzt können wir einfach nicht schnell genug sein."

Ein großes Problem ist außerdem der Krankentransport in ländlichen Regionen Indiens. Das Ambulanzsystem ist schon in den großen Städten überfordert. 50 Minuten beträgt die Durchschnittszeit, die man auf einen Rettungswagen wartet, erklärt Shikhar Agrawal von der Organisation Help Now dem STANDARD. Gemeinsam mit seinen zwei Kollegen Aditya Makkar und Venkatesh Amrutwar hat er vor zwei Jahren ein Ambulanz-Start-up in Mumbai gegründet, um diese Zeit drastisch zu reduzieren. In den vergangenen Monaten haben sie den Service auf Delhi, Pune und Bengaluru ausgeweitet. Die Transporte sind eigentlich privat zu zahlen, doch aktuell führen sie Menschen, die sich das nicht leisten können, auch gratis.

Patienten stornieren Ambulanzen

Immer öfter ist es in den vergangenen Wochen passiert, dass Patienten ihre Ambulanzen wieder stornieren, weil im Spital kein Bett verfügbar ist, erzählt Agrawal. Anfragen aus dem ländlichen Raum und anderen Städten, dass sie ihren Service in ihrer Gegend ausweiten sollen, gibt es viele, sagt er. Aber es ist nicht so leicht, das umzusetzen. "Wir haben Monate gebraucht, um uns allein für diese vier Städten vorzubereiten." So schnell gehe das nicht.

Aufgrund der Versäumnisse in der Pandemiebekämpfung fallen inzwischen die Beliebtheitswerte von Premier Narendra Modi. Erstmals in seiner siebenjährigen Amtszeit gibt es mehr Menschen, die mit seiner Politik unzufrieden sind, als solche, die zufrieden sind.

"Es gibt viel Wut und Ärger", sagt auch Pandey. So brauche es keine Forschungsarbeit, um festzustellen, dass etwas schiefgelaufen ist. Doch aktuell hält sie Schuldzuweisungen für Zeitverschwendung. Sie überlegt lieber, wie sie die Transportprobleme in Bihar lösen kann. Sie denkt darüber nach, einige Autos zu mieten und diese als Ambulanzen zu nutzen. Frei nach ihrer Devise: Es muss nicht perfekt sein, Hauptsache, irgendetwas passiert. (Anna Sawerthal, 20.5.2021)