Raketen aus Gaza-Stadt – seit Jahren von der Hamas kontrolliert – wurden auch am Mittwoch Richtung Israel abgefeuert.

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Die Waffenruhe kommt – die Frage ist nur, wann. "Freitag oder Samstag" sei realistisch, meint der israelische Militärexperte Ely Karmon am Institut für internationale Terrorismusabwehr in Herzliya. Es hänge vor allem davon ab, wie groß der Druck aus Washington sei – und der Schaden in Gaza. US-Präsident Joe Biden drängte seinerseits bei einem Telefonat mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu auf eine sofortige Deeskalation.

Im israelischen TV war Mittwochabend von einer Waffenruhe schon am Donnerstag die Rede. Die Quelle dafür waren bloß Gerüchte. Die offiziellen Ansagen der politischen und militärischen Führung in Israel sprachen eine andere Sprache. Die Raketen aus Gaza auch: In Ashkelon, Ashdod, Beersheva und den vielen Dörfern an der Gazagrenze läuteten weiter die Sirenen.

Kein Ende in Sicht

Zwar gab es zuletzt öfters mehrstündige Raketenpausen – ein Ende des Beschusses ist aber nicht in Sicht. Niemand wagt daran zu denken, wie hoch die Opferzahl in Israel wäre, finge das Abwehrsystem Iron Dome nicht 90 Prozent der Raketen und Drohnen ab. Der ständige Alarm ist Terror genug. Nicht alle haben Zugang zu Bunkern. Meist sind es die ohnehin Benachteiligten, die jedes Mal, wenn die Sirene heult, um ihr Leben zittern.

Eine dieser Gruppen brachte der thailändische Außenminister in einer Konferenz mit seinem israelischen Amtskollegen am Mittwoch zur Sprache: Es sei erschütternd, wie schlecht die thailändischen Landarbeiter in Israel geschützt seien, sagte er. Am Tag zuvor waren zwei Menschen aus Thailand bei einem Raketeneinschlag in einem grenznahen Moshav (Siedlung) ums Leben gekommen.

30 Sekunden bis zu Schutzraum

In erhöhter Gefahr sind auch viele Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen: In den am stärksten vom Beschuss betroffenen Städten haben die Menschen nur 30 Sekunden, um den Luftschutzraum zu erreichen. Wer keinen Bunker in oder neben der Wohnung hat, muss körperlich fit sein, um zu überleben.

Die Sehnsucht nach Waffenruhe ist nicht nur in Israel groß. Im Gazastreifen kamen laut palästinensischen Angaben bisher 219 Menschen ums Leben, in Israel zwölf.

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Wovon hängt es nun ab, wann die Menschen auf beiden Seiten endlich Ruhe haben? Aus israelischer Sicht vor allem vom kalkulierten Schaden, und das in zweifacher Hinsicht. Einerseits vom gefühlten Schaden, den die Beziehungen mit Washington nehmen könnten, wenn der Waffenkonflikt weitergeht. Andererseits vom Schaden an der militärischen Infrastruktur in Gaza.

Netanjahus Strategie

Das ist aus israelischer Sicht der wichtigste Faktor. Alle rechnen damit, dass der Konflikt in ein paar Jahren wieder aufflammen wird. Die Frage ist nur, ob es früher oder später passiert. Jedes Arsenal, jede Munitionsfabrik, die vernichtet wird, verlängert die Waffenpause, so lautet die Rechnung. Ministerpräsident Netanjahu formulierte es am Mittwoch so: "Wir versuchen, die Zeit der Ruhe für Israel zu maximieren."

Wie sehr die Hamas geschwächt wurde, will man im israelischen Militär nicht sagen. "Produktionsstätten sind leichter zu erreichen, Abschussrampen deutlich schwieriger", sagt Armeesprecher Arye Shalicar zum STANDARD. Am schwierigsten sei es, die Hamas-Führungsriege personell zu schwächen.

Militärexperte Karmon beziffert das Arsenal der Terrorgruppen vor dem aktuellen Konflikt mit bis zu 14.000 Raketen. Davon sind laut israelischen Angaben bis Mittwochmorgen 3750 Raketen Richtung Israel abgefeuert worden. Es bleibt unklar, wie hoch die Verluste durch den Beschuss der Lager waren. Die Hamas setze zunehmend auf dezentrale Lagerung, um das Risiko zu streuen, sagt Karmon. Entscheidend ist auch, dass die Produktion gedämpft wird. Laut Karmon wurden die Hamas-Raketen fast zur Gänze in Gaza produziert – aus Metall und Elektronikteilen, die für zivile Zwecke ins Land gebracht werden.

Übergang geschlossen

In Gaza wird es länger dauern, bis zerstörter Wohnraum wiederaufgebaut ist. Nun geht es um die Erstversorgung der vielen Verwundeten, Vertriebenen und Waisen. Für einen Moment gab es in Hilfsorganisationen ein Aufatmen, als Israel am Dienstag einen Grenzübergang öffnete. Doch es währte nur kurz. Ein Terrorist feuerte eine Granate auf den Grenzposten, ein israelischer Soldat wurde leicht verletzt. Seither ist der Übergang geschlossen.

"Wenn ein Waffenstillstand kommt, dann wird er brüchig sein", schätzt Karmon. Es sei denkbar, dass den Menschen auf beiden Seiten eine Woche Ruhe vergönnt ist, danach könnten wieder Raketen fliegen. Es reiche nicht, sich auf Bedingungen zu einigen, sie müssten auch eingehalten werden. Ein Waffenstillstand brächte also lediglich ein Aufatmen. Von einer Entspannung kann keine Rede sein. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 19.5.2021)