Der Mensch ist nicht für ein Leben auf fernen Planeten gemacht. Das ließe sich aber womöglich ändern, sagt der Genetiker Chris Mason.

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Was Aufenthalte im All dem menschlichen Körper abverlangen, weiß Chris Mason sehr genau. Als leitender Genetiker einer bisher einzigartigen Zwillingsstudie der US-Weltraumbehörde Nasa hat er sich eingehend mit den physiologischen Effekten von Weltraummissionen beschäftigt. Bis heute untersucht er den ehemaligen Astronauten Scott Kelly regelmäßig, der 2015 und 2016 insgesamt 340 Tage durchgängig auf der Internationalen Raumstation (ISS) verbrachte, während sein eineiiger Zwillingsbruder Mark auf der Erde blieb. Der Vergleich ihrer physiologischen Daten brachte zahlreiche Veränderungen ans Licht, die nur bei Scott im Weltraum aufgetreten waren und zum Teil auch nach der Rückkehr zur Erde fortbestanden. Vorteilhaft war kaum eine davon. Dafür aber wissenschaftlich aufschlussreich.

Die medizinischen Erkenntnisse dieses Experiments sind für Mason der Ausgangspunkt für die Frage, wie sich das menschliche Leben verlängern ließe. Der Genetiker meint damit aber nicht etwa die Lebensdauer auf individueller Ebene, sondern den Fortbestand unserer Spezies in ferner Zukunft: Wie kann die Menschheit auf lange Sicht überleben?

Der Weg zur Weltraumkolonie

Masons provokante Antwort: indem künftige Generation, optimiert durch gezielte Eingriffe ins Erbgut, die Erde hinter sich lassen und neue Lebensräume im Universum erschließen. "Die Erde ist unser bestes Zuhause, aber sie hat ein Ablaufdatum", sagt Mason. "Das ist eine kosmologische Tatsache. Die Sonne wird unseren Planeten irgendwann unbewohnbar machen und letztlich zerstören."

In seinem neuen Buch The Next 500 Years (MIT Press)legt Mason, der an der Cornell University in New York arbeitet, seine Vision für die menschliche Kolonisierung des Weltraums in zehn Schritten vor – und kombiniert dabei wissenschaftliche Fakten mit futuristischen Ideen und einem fast schon religiös anmutenden Credo: dass es unsere unumstößliche Pflicht sei, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um das Aussterben der Menschheit zu verhindern.

Christopher Mason, "The Next 500 Years – Engineering Life to Reach New Worlds". € 28,80 / 296 Seiten. MIT Press, Cambridge, MA 2021
Cover: MIT Press

Masons Gedankenexperiment beginnt mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zu Scott Kelly. Im ersten Kapitel seines Buchs beschreibt er die vielfältigen Folgen von dessen fast einjähriger ISS-Mission. Neben den bekannten problematischen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf Knochen und Muskeln veränderten sich etwa Kellys Immunsystem, die mikrobielle Zusammensetzung im Darm und die Netzhaut der Augen. Die Genaktivität des Astronauten entwickelte sich signifikant anders als bei seinem Zwillingsbruder auf der Erde, und es kam aufgrund der deutlich höheren Strahlenbelastung vermehrt zu Schäden im Erbgut seiner Zellen.

Designte Astronauten

Ein Großteil der genetischen Veränderungen normalisierte sich innerhalb von sechs Monaten nach Kellys Rückkehr zur Erde wieder. Alle nicht. Dabei war er "nur" auf der Internationalen Raumstation rund 400 Kilometer über der Erde, wo das schützende Magnetfeld unseres Planeten noch wirkt. Bei einem Flug zum Mars oder gar noch weiter wären die gesundheitlichen Risiken ungleich größer. Für Mason geben die Ergebnisse der Studie dennoch Anlass zu Optimismus: "Der Körper ist extremem Stress ausgesetzt, wenn er unseren Planeten verlässt – aber er hat auch eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich an neue Gegebenheiten anzupassen und sich wieder zu erholen."

Genau das ließe sich mithilfe neuer molekularbiologischer Werkzeuge aber noch verbessern, meint der Genetiker: "Wir tun technologisch und medizinisch alles, um Astronauten vor den vielen Gefahren der Raumfahrt zu schützen. Aber eine biologische Verteidigungsstrategie blieb bisher ungenutzt, obwohl sie auf der Erde längst eingesetzt wird: Genom-Editierung. Mason schlägt vor, in den kommenden Jahrzehnten ausführlich zu erforschen, wie etwa die Gen-Schere CRISPR/Cas9 genutzt werden könnte, um menschliche Zellen besser gegen hochenergetische Teilchenstrahlung und andere schädliche Folgen von Raumflügen zu wappnen.

Ethische Implikationen

Das ist keineswegs Science-Fiction: Die Methode, die präzise Eingriffe ins Erbgut erlaubt, hat die Genetik in den vergangenen Jahren revolutioniert und vielversprechende Anwendungen hervorgebracht. CRISPR wird schon in ersten Therapien bei Menschen mit genetischen Erkrankungen eingesetzt, die ansonsten unheilbar wären. Im Labor ist es Wissenschaftern auch gelungen, ein Gen in menschliche Zellen einzuschleusen, das Bärtierchen – extrem widerstandsfähige kleine Lebewesen – vor Strahlenschäden schützt.

Spekulatives und ethisch problematisches Terrain betritt Mason freilich, wenn er weiter in die Zukunft blickt: Ihm schwebt eine Menschheit vor, die ihre Evolution selbst in die Hand nimmt und sich durch radikale Eingriffe ins Erbgut für ein Leben auf fremden Himmelskörpern maßschneidert. Wenn es nach ihm geht, könnte es schon im 22. Jahrhundert Menschen geben, die genetisch besser für ein Leben fern der Erde gerüstet sind.

Doch wo verläuft die Grenze zwischen informierter Zustimmung zu sinnvollen medizinischen Anwendungen und Experimenten am Menschen? Was ist mit Nachkommen geneditierter Astronauten? Und droht nicht, neben ungeahnten physiologischen Folgen, die Gefahr einer genetischen Klassengesellschaft oder gar eugenischer Bestrebungen? Derartige Fragen schneidet Mason in seinem Buch zwar an, kommt jedoch immer wieder zum selben Schluss: Unethisch wäre es, nicht jede Chance zu ergreifen, die Menschheit vor dem Aussterben zu bewahren. (David Rennert, 22.5.2021)