Der EU-weite Emissionshandel kam lange Zeit nicht ins Laufen. Eigentlich hätte das System den Treibhausgasausstoß in Industrie und Energiewirtschaft durch vorher festgelegte Emissionsobergrenzen eindämmen sollen. Doch der Preis je Tonne CO2-Äquivalent grundelte auf dem mit Gratiszertifikaten überfüllten Markt am Boden herum. Auch mehrere Anpassungen brachten den Mechanismus nicht so richtig in Schwung – bis vor wenigen Monaten. Seit November ist der Zertifikatspreis rasant angestiegen – zeitweise auf über 55 Euro je Tonne CO2. Zum Vergleich: Vor einem Jahr lag der Wert gerade einmal bei knapp 20 Euro.

Wie kam es dazu? "Das fragen sich viele", fasst es Stefan Schleicher, Klimaökonom am Grazer Wegener Center zusammen. In dem Handelssystem herrscht immerhin nach wie vor ein Überschuss, der den Preisanstieg nicht logisch erscheinen lässt: "Es sind noch immer zu viele Zertifikate auf dem Markt", sagt der Experte.

56,38 Euro – so hoch war der Preis einer Tonne CO2 in der Vorwoche am EU-Zertifikatemarkt.
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Eine mögliche Erklärung für den Anstieg sieht Schleicher darin, dass nicht Betreiber der Anlagen selbst mit den Zertifikaten dealen, sondern Börsenprofis. "Die handeln mit Emissionsrechten genauso wie mit Schweinebäuchen." Sie versuchen also, aus der Volatilität und den Preisschwankungen, die auf jedem Markt existieren, Gewinne zu lukrieren.

Klimabekenntnisse mit Folgen?

Aber auch die vielen Klima-Ankündigungen der vergangenen Monate dürften den Preis nach oben treiben: Nicht nur die EU hat angekündigt, ihr Klimaziel anzuheben, auch die USA, China und viele weitere Staaten wollen deutlich weniger emittieren als bisher geplant. Die Erwartungen über künftige Entwicklungen könnten also bereits jetzt "eingepreist" werden, erklärt Schleicher. Mit anderen Worten: Zertifikate werden begehrter, weil Auflagen künftig steigen dürften.

Wie stark der Preis noch anziehen könnte, sei derzeit aus Sicht des Ökonomen nicht abschätzbar. Das hänge unter anderem auch davon ab, wie der Kommissionsvorschlag zum neuen Klimaziel aussehen wird. Dieser soll Mitte Juli vorliegen.

Bisher orientierte sich die Zuteilung der Zertifikate am alten Klimaziel der EU – also einer 40-prozentigen Emissionsreduktion bis 2030 im Vergleich zu 1990. Nun wird ein 55-prozentiges Minus angestrebt, die Zuteilungen könnten entsprechend nachjustiert werden.

Briten sind draußen

Eine gehörige Vorlage bekommt die EU ausgerechnet von jenem Land, das die Union verlassen hat: Großbritannien, dessen Zertifikate laut Schleicher nach dem Brexit aus dem Markt genommen wurden, hat nun ein eigenes Emissionshandelssystem auf die Beine gestellt. Der Preis lag Mitte der Woche bei umgerechnet knapp 59 Euro.

Auch darüber hinaus haben sich die Briten, die heuer den Weltklimagipfel ausrichten, einiges vorgenommen: Sie wollen ihren Ausstoß bis 2035 im Vergleich zu 1990 um 78 Prozent senken. (Nora Laufer, 20.5.2021)