Von Anfang an hat Sebastian Kurz versucht, das öffentliche Bild der Affäre zu beeinflussen.

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Zurzeit beherrscht ein Thema die innenpolitische Diskussion in Österreich: Der Bundeskanzler wird als Beschuldigter in einem Strafverfahren geführt. Es geht um eine mögliche Verletzung der Wahrheitspflicht bei seiner Aussage im Untersuchungsausschuss. Etliche Kommentatoren und Experten haben sich bereits über den möglichen Verlauf des Verfahrens gegen Sebastian Kurz (ÖVP) geäußert. Er selbst rechnet mit einer Anklage und steuert medial aktiv dagegen.

Was der Kanzler und sein Team dabei betreiben, ist ein Musterbeispiel für Litigation-PR – prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit. Losgelöst von der rechtlichen Beurteilung der Vorwürfe und der politischen Bewertung der Angelegenheit, zeigt der Fall prototypisch, wie diese Strategie erfolgreich eingesetzt werden kann.

In den USA seit Jahrzehnten üblich

Litigation-PR ist eine Spezialisierung in der Öffentlichkeitsarbeit bei Zivil- und Strafverfahren, die medial im Fokus stehen. In den USA ist es schon seit Jahrzehnten üblich, dass in solchen Verfahren neben der rechtlichen Beratung durch Rechtsanwälte auch Kommunikationsexperten hinzugezogen werden. Auch in Österreich wird professionelle Litigation-PR inzwischen vermehrt eingesetzt.

Das Ziel der Litigation-PR ist, einer medialen Vorverurteilung entgegenzuwirken und die Reputation des Mandanten zu schützen. Schon die Berichterstattung über eine Hausdurchsuchung oder den Start von Ermittlungen kann erhebliche Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen haben.

Der Betroffene kämpft im Verfahren parallel an zwei Fronten. Er muss sich nicht nur dem gerichtlichen Verfahren stellen, sondern auch dem "Gerichtssaal der Öffentlichkeit". Denn auch wenn in Berichten stets auf den offenen Verfahrensausgang und die Unschuldsvermutung verwiesen wird, bildet sich in der Öffentlichkeit binnen kürzester Zeit eine Meinung. Nachdem Zivil- und Strafverfahren Jahre dauern können, bleiben die Folgen negativer Berichterstattung für den Betroffenen oft sogar dann, wenn er vor Gericht gewinnt oder freigesprochen wird.

Kurz war vom Start weg proaktiv

Für das Bild in der Öffentlichkeit sind dagegen schon die ersten Tage entscheidend. Das hat auch der Fall Kurz sehr anschaulich gezeigt. Die Strategie in der Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskanzlers war vom Start weg proaktiv. Er hat die Medien selbst darüber informiert, dass er von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt wird. Als Lehrbuchbeispiel gelungener Litigation-PR kann sein Sonntagsinterview in der "Kronen Zeitung" dienen. Ein repräsentatives Setting im Kreisky-Zimmer. Die Fotos zum Interview strahlen Selbstbewusstsein und Souveränität aus.

Inhaltlich wischt Kurz die Vorwürfe beiseite. Er arbeite in der Krise rund um die Uhr für Österreich, während die Opposition ihn ständig anzeige, um ihn loszuwerden. Er selbst sei "jung, aber trotzdem erfahren genug", um das Kalkül dahinter zu erkennen. Er könne damit umgehen, seine Mutter aber sei "extrem traurig und besorgt". Die Opposition wird in scharfen Worten kritisiert. Das Niveau im U-Ausschuss habe alles Bisherige unterboten.

Die Sorge der Mutter

Der Bundeskanzler zeichnet damit ein emotionales Bild, in das sich das Publikum einfühlen kann. Die Opposition, die mit Schaum vorm Mund Vorwürfe gegen den jungen Kanzler konstruiert. Die Sorge der Mutter um ihren Sohn. Die Stärke des Kanzlers als Staatsmann, der unermüdlich für sein Land arbeitet.

Das ist das Ergebnis gezielter Litigation-PR, die im Fall Kurz sehr effektiv eingesetzt wird. Kritiker mögen anmerken, dass diese wenig subtil ist und sich inhaltlich fernab der eigentlichen Vorwürfe abspielt. Aber die Message des Kanzlers ist beim breiten Publikum angekommen. Im "Gerichtssaal der Öffentlichkeit" zählt vor allem das vermittelte Bild. Über den Fall selbst haben dann – zeitlich oft Jahre später – die Gerichte zu entscheiden.

Reputationsschaden abwenden

Wie der Fall Kurz zeigt, kann mit professioneller Litigation-PR für den Betroffenen viel gewonnen werden. Die mediale Vorverurteilung kann damit verhindert oder zumindest erheblich abgeschwächt werden. Das wiederum kann für das weitere berufliche Fortkommen – und die Umfragewerte – entscheidend sein.

Professionelle Litigation-PR ist für Betroffene in Verfahren mit öffentlicher Aufmerksamkeit ein Muss. Die rechtliche Beratung allein kann den Reputationsschaden für den Betroffenen oft nicht verhindern. Über diese Risiken müssen Rechtsanwälte ihre Mandanten aufklären und Kommunikationsexperten bei Bedarf hinzuziehen.

Deutlich weniger Einfluss hat Litigation-PR hingegen auf das eigentliche Verfahren vor Gericht. In einer Umfrage der Universität Mainz haben Richter und Staatsanwälte mehrheitlich angegeben, dass sie die mediale Berichterstattung über Verfahren, an denen sie beteiligt sind, verfolgen beziehungsweise zumindest wahrnehmen. Einen Einfluss auf die Frage der Schuld oder Strafhöhe verneinen aber rund 95 Prozent der Befragten. Richter und Staatsanwälte können mediale Begleitgeräusche durchaus einordnen und – wie es ihre Pflicht ist – unabhängig entscheiden. (Martin Kollar, Johannes Kaiser, 20.5.2021)