Es ist aus israelischer Sicht gut nachvollziehbar, dass sich die Regierung und das Militär gegen eine rasche Waffenruhe mit der Hamas wehren. Jeder Tag, an dem die Luftschläge jetzt fortgesetzt werden, wird die militärische Kraft der militanten Islamisten im Gazastreifen weiter geschwächt, erkauft sich Israel zusätzliche Monate oder sogar Jahre der Ruhe an dieser Front. Für den Blutzoll unter Zivilisten trägt diesmal die Hamas die Hauptverantwortung; sie war es, die aus politischem Opportunismus mit den Angriffen auf israelische Städte begonnen hat.

Israelische Soldaten an der Grenze zu Gaza.
Foto: EPA/ATEF SAFADI

Wie nun zu sehen ist, hat die Hamas seit der letzten großen militärischen Konfrontation vor sieben Jahren fremdes Geld und eigene Energie hauptsächlich in die Aufrüstung gesteckt. Israel muss nun schauen, dass möglichst wenig davon übrig bleibt. Das weiß auch US-Präsident Joe Biden, der trotz aller Kritik am israelischen Premier Benjamin Netanjahu und des wachsenden Drucks vom linken Flügel der Demokraten Israel noch gewähren lässt.

Doch wenn die Waffen wieder schweigen – und das kann jederzeit geschehen –, müssen sich alle Seiten die Frage stellen, wie dieser Konflikt weitergehen soll. Israel wird die Hamas auch diesmal nicht vernichten, weil der Preis von Invasion und Besatzung viel zu hoch wäre. Die Hamas wird neue Waffen erwerben und neue Tunnel bauen; und in einigen Jahren kommt es dann zum nächsten blutigen Schlagabtausch. Ist das die Zukunft, die beide Seiten wollen?

Die langfristige Strategie der Hamas scheint klar: Wie anderen radikale Guerillabewegungen genügt es ihr, militärisch und politisch zu überleben – in der Erwartung, dass sich irgendwann einmal die Chance ergibt, Israel zu besiegen und dann von der Landkarte zu löschen. Sie denkt in Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten.

Gespaltenes Land

In Israel wird über die lange Sicht kaum gesprochen. Denn das Land ist gespalten. Eine große Mehrheit möchte nur in Sicherheit leben; dafür wäre sie bereit, einen Großteil der besetzten Gebiete aufzugeben. Für eine einflussreiche Minderheit aber ist der Friede weniger wichtig als die Herrschaft über das Westjordanland, das biblische Judäa und Samaria. Sie will keinen Verhandlungsprozess, der in einen Palästinenserstaat münden könnte. Für ihre Ziele ist die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen nützlich, denn die regelmäßigen Kriegshandlungen schwächen die moderateren palästinensischen Kräfte, mit denen ein Friedensschluss möglich wäre.

Angesichts der relativen Ruhe der vergangenen Jahre und der Friedensabkommen mit mehreren arabischen Staaten ist bei vielen Israelis der Glaube gewachsen, dass sie mit dem Status quo gut leben und auf Verhandlungen mit den Palästinensern verzichten können. Immer noch wirkt hier das Scheitern des Oslo-Prozesses nach.

Das Westjordanland besetzen, Gaza isolieren und die Hamas alle paar Jahre bekämpfen: Das ist der einzige Konsens in Israels Politik. Im jüngsten Wahlkampf kam der Konflikt mit den Palästinensern gar nicht mehr vor. Ein starkes Friedenslager, das bereit wäre, für eine Lösung zu kämpfen, ist nicht in Sicht.

Aber der Raketenkrieg mit der Hamas beweist: Der Status quo ist auch für Israel inakzeptabel. Nicht nur steigt auch die Zahl der Opfer auf israelischer Seite. Vor allem die Gewalt zwischen jüdischen und arabischen Jugendlichen zeigt, wie gefährlich eine Zukunft ohne Frieden ist. (Eric Frey, 19.5.2021)