Der (an dieser Stelle sei erinnert, dass sich in diesem Blog alle Substantive geschlechtsneutral verstehen, sodass auch "das" erfasst ist) Coronavirus ist kein Freund großer Worte, sondern jemand, der Fakten schafft. Im Buch "Corona und die Welt von gestern" gibt Robert Pfaller dem Virus eine Stimme. Dabei präsentiert dieser in Ich-Form und guttuend pointiert seine Sicht der Dinge: Es geht wie immer um Macht und Geld und was die Leute so reden. Die Leute sagen, Corona mache die Reichen reicher und die Armen ärmer. Ich aber sage Ihnen: Sehen Sie sich doch einmal die seltsamen Verhältnisse an, die Sie da für Ihresgleichen hergestellt haben! Ist es denn nicht in Wahrheit so, dass fast alles, was derzeit daherkommt, egal was es ist, die Reichen reicher und die Armen ärmer macht?", gibt das Virus zu bedenken. Nicht ich bin Ihr Feind! Sie selbst sind es, schauen Sie doch lieber mal in den Spiegel statt ins Mikroskop!

Und: Sie verpulvern Milliarden, um einen Impfstoff zu finden, der vor mir schützen und Ihre Mortalitätsraten senken soll. Die vom philosophierenden Virus angesprochenen Milliarden kamen und kommen aus den Forschungsbudgets der Pharmaindustrie, aber nicht zu knapp auch aus den von uns gefüllten Steuertöpfen. Letztere Variante erfolgte und erfolgt sowohl im Rahmen der Forschung als auch beim Erwerb der Covid-19-Arzneimittel. Aber unabhängig davon, wer zahlt: Die Rechte am geistigen Eigentum (IPs) liegen – wie stets – originär beim Erfinder beziehungsweise Schöpfer. Für die Erfindungen der Pandemiebekämpfung wurden beziehungsweise werden laufend Patente angemeldet und in der Regel auch erteilt. Mit einem Patent geht ein (bis zu) 20-jähriges Monopol zur Verwertung der Erfindung einher. Das heißt, dass ohne Gestattung des Patentinhabers niemand die Erfindung (industriell) benutzen darf.

Zeigst du mir deines, geb ich dir ein Patent

Das mit einem Patent einhergehende Ausschließungsrecht soll eine Win-win-Situation herstellen: Der Erfinder hat in seiner Patentschrift die Details der Erfindung offenzulegen, sodass die Allgemeinheit weiß, wie die Erfindung funktioniert, und daraus Anregungen für weitere Erfindungen erhalten kann. Für die "freiwillige Offenlegung" der Erfindung erhält der Patentinhaber dann im Gegenzug gesetzlichen Patentschutz. Der Schutz setzt natürlich voraus, dass tatsächlich ein erfinderischer Schritt erfolgte und dass die Erfindung weltweit neu ist. Das Angemeldete darf also nicht bloß eine naheliegende Ableitung von schon Bestehendem sein und darf auch auf der ganzen Welt nicht schon irgendwie bekannt sein. Für eine Patenterteilung sind also strenge Voraussetzungen zu erfüllen.

Wenn die Patentämter die Prüfung ohne Beanstandung abschließen und das Patent erteilen, gibt es für den Patentinhaber ein exklusives Recht auf die Verwertung der Erfindung. Der Schutz muss jedoch für jeden einzelnen Staat beantragt werden, was jeweils Patentgebühren auslöst. Der Patentinhaber muss auch jährlich Patentgebühren zur Aufrechterhaltung des Patents leisten. Diese Gebühren steigen über die Dauer der Patentlaufzeit an. Und grundsätzlich ist der Spaß am Patent für den Inhaber nach 20 Jahren vorbei. Dann beginnt der Spaß für alle anderen: Soweit das Patent noch technisch oder wirtschaftlich relevant ist, können es alle frei verwerten. Und aufgrund der detaillierten Beschreibung in der Patentschrift wissen auch alle, wie die Erfindung funktioniert. Im Arzneimittelbereich hat sich ein eigener Wirtschaftszweig rund um abgelaufene Patente gebildet, die sogenannte "Generika"-Industrie.

"Was kümmert mich Patentschutz?", fragt das Coronavirus.
Zeichnung: Daniel Jokesch

Auch wenn aufgrund des katastrophalen Covid-19-Managements der Regierungen vorhersehbar ist, dass Covid-19-Arzneimittel auch noch als Generika relevant bleiben werden, ist mit einer Patentfreiheit erst in Jahrzehnten zu rechnen. Bis dahin: Wenn es nach Aussage mancher von Ihnen gerecht ist, jedem das Seine zu geben, so müssen Sie doch zugeben: Ich [das Coronavirus] bin gerecht. Denn ich nehme jedem das Seine: den Jungen das Vergnügen und den Alten die Gesundheit und das Leben [ – und allen das Geld]. Und das auf der ganzen Welt und ohne Unterschied?! Nein, denn die Covid-19-Medikation teilt wieder mal die Welt in Klassen, und Patente mutieren dabei zu Kampfinstrumentarien. Die mangelnde Impfgerechtigkeit zeigt wieder, wie schnell wir ein unumstößliches Faktum aus den Augen verlieren: We are seven billion on one world!

Covid-19-Zwanglizenzen als gerechtes Korrektiv?

Eine der tragenden Säulen der World Trade Organization (WTO) ist das Abkommen über Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS). TRIPS legt ein umfassendes Regelwerk über den internationalen Schutz von IPs, insbesondere von Patenten, fest. Das Abkommen ist verbindlich und gibt besonders jenen Ländern, die bisher keine beziehungsweise nur sehr unvollständige Regelungen über den Schutz des geistigen Eigentums hatten, zwingende Mindestregelungen vor. Im Ergebnis wurde dadurch das IP auch Ländern aufgedrückt, die ganz andere Sorgen hatten und haben. Und das scheint nun auch bei Covid-19 zum Bumerang zu werden: Alle Länder und insbesondere Entwicklungsländer haben die IPs durchzusetzen, selbst wenn sie eigentlich andere (Covid-19-)Überlebenssorgen haben.

Wiederholt blieben Verhandlungen der Mitgliedsländer der WTO über die Aussetzung der Patente auf Coronavirus-Impfstoffe erfolglos. Indien – selbst einer der größten Impfstoffhersteller – und Südafrika hatten die Patentaussetzung angeregt. Mittlerweile wird von mehr als 100 Ländern gefordert, den Patentschutz diesbezüglich auszusetzen, um die Impfstoffproduktion anzukurbeln und die ganze Welt zu versorgen. Überraschenderweise haben nun auch die USA die Unterstützung zur Aussetzung angekündigt. Dass das mit Millionen – in den USA ja nicht zugelassenen, aber (auch aufgrund der IPs) nicht weiterverkaufbaren – Astra-Zeneca-Impfstoffdosen in den US-Lagern zu tun haben könnte, kann natürlich nicht ausgeschlossen werden.

Die "drohende Enteignung" durch Aussetzung des Patentschutzes hat nicht nur Bestürzung in der Pharmabranche ausgelöst, sondern auch bewirkt, dass die Aktienkurse einiger Patentinhaber ordentlich nachgegeben haben. Aber muss es gleich die ersatzlose Aussetzung des Patentschutzes sein, oder gibt es auch einen Zwischenweg? Das österreichische Patentgesetz kennt Zwangslizenzen bereits seit 1897. Die WTO hat 2001 mit der Doha-Erklärung die Möglichkeit der Zwangslizenzierung eingeführt. Die Idee hinter der Zwangslizenz ist, den Patentinhaber zu zwingen, die Nutzung der patentierten Technologie zu gestatten. Deshalb sieht das Patentgesetz vor, dass jedermann einen Anspruch auf eine nicht ausschließliche Lizenz hat, wenn eine patentierte Erfindung nicht in angemessenem Umfang ausgeübt wird und der Patentinhaber nicht alles Erforderliche zu einer solchen Ausübung unternommen hat. Dabei wird – auch in Österreich – ein strenger Maßstab angelegt. Eine Zwangslizenz ist daher nur durchsetzbar, wenn ein schutzwürdiges Interesse allgemeiner Art besteht und nicht nur ein (wirtschaftliches) Interesse des Lizenzbewerbers. Das öffentliche Interesse betrifft dabei vor allem Aspekte der Volksgesundheit, den Schutz von Personen und von Infrastruktur und den Umweltschutz.

Der Wunsch nach Gratislizenzen

Dass ein Arzneimittel gegen Covid-19 im Interesse der Volksgesundheit ist, ist wohl nicht zu bestreiten. Schlagend könnte eine Zwangslizenz daher dann werden, wenn der Patentinhaber nicht die Kapazitäten zu einer Produktion in ausreichendem Umfang hat und – und das ist wichtig – auch nicht bereit ist, Lizenzen an Dritte zu erteilen, oder überzogene Lizenzforderungen stellt. Praktisch kam es aber bisher selten zur Zwangslizenz. Und auch unser Virus hatte ja bereits erkannt: Es geht wie immer um Macht und Geld! Einer Zwangslizenz hat nämlich eine Anfrage beim Patentinhaber voranzugehen. Nur wenn der Patentinhaber einer Lizenz zu angemessenen – also monetären – Bedingungen nicht zugestimmt hat, kann es zu einer Zwangslizenz kommen. Die Erteilung einer Zwangslizenz muss dann auch mit der Festlegung einer angemessenen Vergütung und weiteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einhergehen.

Wenn das Instrument der Zwangslizenz zu angemessenen Bedingungen auch ein wirksames Gegenmittel gegen monopolbedingte überzogene Forderungen von Patentinhabern bieten mag, zeigt sich, dass damit faktisch nicht den weltweiten Engpässen bei der Produktion beigekommen werden kann. Und in manchen Ländern fehlt es schlicht an Geld, um Zwangslizenzen zu angemessenen Gebühren abgelten zu können. Dazu kommt politischer und ökonomischer Druck der Staaten mit Patentindustrien gegen weniger entwickelte Staaten, sodass dem Mechanismus der Zwangslizenzen keine praktische Bedeutung zukommt und zukommen wird.

Soweit ersichtlich, lizenzieren die wenigen Erfinder der wirksamen Covid-19-Vakzine ohnehin bereitwillig und in breiten Maßstab die Rechte an die verschiedensten Hersteller. Natürlich gegen das entsprechende Entgelt. Der Ruf nach den Zwangslizenzen könnte daher seinen Grund im Wunsch nach Gratislizenzen haben. Dass die Signale, die mit solchen Gratislizenzen ausgesendet würden, die Gesellschaft fit für die nächste Pandemie machen würde, darf bezweifelt werden: Wer wird Geld in Forschung investieren, deren Ergebnis – wenn erfolgreich – dann enteignet wird? Anderseits darf auch nicht außer Acht gelassen werden, welche Steuer-Fantastilliarden ja bereits in die Forschung gegen Covid-19 geflossen sind. Mit diesem von uns allen geblasenen Rückenwind sollten sich die Pharmaunternehmen dann nicht am fertigen Produkt gesundstoßen dürfen, oder?

Politische Unfähigkeit zulasten der Patentinhaber?

Aber liegt die Covid-19-Vakzin-Knappheit wirklich im IP begraben? Oder liegt die Impfstoffknappheit gar nicht an den Patentinhabern beziehungsweise Herstellern? Liegt das Problem nicht vielleicht ausschließlich an der Unfähigkeit der Regierenden, ein effizientes, korruptions- und missbrauchsfreies Corona-Impfmanagement aufzusetzen? Unser Bundeskanzler hatte ja vorhergesagt, bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist. Dann hätte die Regierung auch vorhersehen können, dass der Einsatz von Ärzten und die Verimpfung eines früher oder später entwickelten Impfstoffs geplant werden müssen. Und sie hätte auch vorhersehen können, dass nicht am Tag nach der Zulassung Milliarden Dosen produziert sein können.

Inzwischen kennen wir wohl tatsächlich alle jemanden, der an Covid-19 gestorben ist oder der als Hochrisikopatient verzweifelt mit seiner Familie einer Impfung entgegenzittert. Und das, während blutjunge, gesunde Uni-Angehörige, die schon seit einem Jahr keinen Studenten mehr gesehen haben und auch in absehbarer Zeit nicht sehen werden, als Bildungspersonal durchgeimpft wurden. Zweifellos wird derzeit die Geduld der langmütigsten Einwohner über Gebühr strapaziert. Bewusst "Einwohner" und nicht Bürger genannt, weil es sachlich nicht rechtfertigbar ist, zwar sämtliche Pflichten – vom Steuer- über das Covid-19- bis eben hin bis zum Patentrecht – allen in Österreich aufhältigen Personen vorzuschreiben, aber viele Rechte Staatsbürgern vorzubehalten. Der Prozentsatz derjenigen, welche den Nationalrat wählen und daher auch über das Patentrecht und die Vertretung bei der WTO mitbestimmen, nimmt nämlich von Wahl zu Wahl ab. Daher muss nicht nur über neue Formen der Wahl und Öffentlichkeitsbeteiligung über das Internet nachgedacht werden, sondern auch darüber, wer sich daran aktiv und passiv beteiligten darf.

Geld verdienen für künftige Arznei

Mag es auf den ersten Blick sehr solidarisch erscheinen, den Pharmafirmen Patententrechte "wegzunehmen", ist nicht auszuschließen, dass diese punktuelle Impfstoffsolidarität im Ergebnis für die Weltgesundheit nach hinten losgehen könnte. Man würde der Pharmaindustrie nämlich wohl unrecht tun, wenn man sie für die Probleme in der Covid-19-Impfstoffversorgung verantwortlich macht. Und Gewinne mit hilfreichen Produkten zu machen darf nicht an sich verwerflich sein. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Anzahl der neu zugelassenen Arzneimittel jedes Jahr sinkt. Gleichzeitig steigen die Kosten für die Zulassungsverfahren stetig an. Daher muss die Pharmaindustrie mit weniger Arzneispezialitäten mehr Geld verdienen, um die Forschung und Entwicklung neuer Heilmittel zu finanzieren. Und werden dann Patente ausgesetzt, wird die Finanzierung noch schwieriger. Ist eine Finanzierung aber nicht gesichert, verlangt unsere Marktwirtschaft – artikuliert durch Aktionäre und Investoren –, dass eine solche Forschung zu unterbleiben hat, mag sie auch noch so viele Krankheiten heilen.

Folge ist, dass gewisse Krankheits- beziehungsweise Gesundheitsbereiche von der Pharmaindustrie mit kaum mehr Forschungsbudget ausgestattet werden, namentlich zum Beispiel die Dermatologie. Dort bedient nun die Kosmetikindustrie die Bedürfnisse. Das erfolgt meist mit influencendem Marketing statt mit wirksamen Erfindungen. Aber auch im Marketing ist viel IP zur Durchsetzung gegen Dritte zu finden. In diesem Sinne schließen wir IP-Rechtler mit Robert Pfallers mutierendem Virus: Und was mich betrifft: Ich lerne dazu! Bei Ihnen hingegen bin ich mir da im Moment noch nicht so sicher. Aber falls Sie es doch tun wollen – sehen Sie, es ist doch offensichtlich: Ich bin nicht die Pest! Ich habe ein ganz natürliches, eigennütziges Interesse daran, dass Sie leben. Denn schließlich lebe ich ja von Ihnen. Begreifen Sie es doch: Ich bin Ihr Komplize. Ihr Partner! Ihr Parasit!" (Max Mosing, Daniel Jokesch, 26.5.2021)