Benutzen einander zwanghaft für jeweils eigene Interessen: Julie (Maresi Riegner) und der Diener Jean (Itay Tiran).

Foto: Susanne Hassler-Smith

Signifikante Duschszenen gibt es viele. Eine kommt nun noch dazu. In Mateja Koležniks "Fräulein Julie" am Akademietheater landen der Diener Jean und die titelgebende Tochter des Hauses bei körperlichen Annäherungsversuchen unverhofft auf der Badewannenkante, wo nur wenige Zentimeter hinter dem Duschvorhang sich Jeans Verlobte Kristin als unfreiwillige Ohrenzeugin verschanzt. Einblick in August Strindbergs Drama (1888) erhält das Publikum hier über das Badezimmer des Herrschaftshauses, das in einem Bühnenkasten mittig steht und von Scheinwerfern umstellt ist, die Sonne geben.

Der Raum und seine Funktionsweise sind der gedankliche Ausgangspunkt in Koležniks Inszenierungen. Bekannt wurde sie mit den Förderband-Bühnenbildern, in Österreich etwa mit "Der Henker" (Akademietheater) oder "Sommergäste" bei den Salzburger Festspielen. Bei "Fräulein Julie" ist das mit handfesten Armaturen, Riesenboiler, Klappfenstern und Klo geräumig entworfene Bad (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) das Zimmer der Erkenntnis.

(Un-)Sichtbarkeit

Hier sticht ins Auge, was sich in den über eine Glastür nur unzureichend einsehbaren hinteren Gängen und Räumen andeutungsweise abspielt. Der alte Schlüssellochtrick, exzellent ausgeführt. Und es gibt auch etwas zu verbergen. Denn Julie (Maresi Riegner), die mit existenzieller Aussichtslosigkeit hadernde Tochter des Grafen, sieht einzig im Diener Jean (Itay Tiran) die Option für eine Zukunft und wirft sich ihm wider ihren Stand an die Brust. Umgekehrt könnte der gebildete und ehrgeizige Jean das Startkapital für ein neues Leben gut gebrauchen, und so werfen sich zwei Menschen aus kläglichen Absichten aneinander – und wissen es auch.

Diesen tragischen Machtkampf der gegenseitigen Instrumentalisierung zoomt Koležnik in ihrer stark gekürzten Bühnenfassung herbei. Dabei operiert sie mit der (Un-)Sichtbarkeit von Szenen. Während im Originaltext Kristin den Hauptact verschläft und nur aus dem vorgefundenen Gelage ihre Schlüsse ziehen kann, wird sie (Sarah Viktoria Frick) hier – "eingesperrt" im Badezimmer – zur Ohrenzeugin des Stelldicheins. Einmal kriegt sie auf die Glasscheibe der Tür eine nackte Arschbacke serviert. Ein Zuhörerpart, den Frick mit allen Feinheiten des Entsetzens und doch zurückgenommen ausspielt.

Tonebene

Das Badezimmer wird auch zur Reinwaschzone, in der sich die blutigen Handtücher infolge Selbstverletzung (vorweggenommener Selbstmord) häufen. Die Grafentochter sieht keinen Horizont, an den sie glaubt. Als Kind einer höchst unglücklichen Ehe, die ihr die Fantasie für ein Leben als erwachsene Frau vollends geraubt hat, hält Julie (Riegner) in einem achtlos getragenen Satinhängerkleid ihre Daueranspannung wippend unter Kontrolle. Keine "gesunde" Körperhaltung ist von ihr zu kriegen. Dafür lächerliche Attacken und Liebesmanöver, die keinen Halt mehr kennen.

Das Kammerspiel, wie es hier steht, muss man in historischer Zeit ab den 1920er-Jahren ansiedeln, immerhin trällert Radiomusik von hinten hervor. Expressionistische Stummfilmmusik. Und zum letzten Aufwisch am Schluss eine heilige Messe! Die betrogene Kristin, schon immer sehr gläubig, findet so die für sie gültige Antwort auf die Misere.

Es gurgelt

Die Tonebene ist zentral und hebt den Suspense aus dem Hinterhalt: Tritte sind verstärkt zu hören, Weinflaschen werden effektvoll entkorkt, Stimmen kündigen sich an. Und Wasser gurgelt in kurzen Abständen ins Waschbecken, in die Badewanne und auch durch die Klospülung, deren Abflussrohre gut sichtbar unter dieser Badezimmer-Bühnenkammer installiert sind.

Der knappe Raum erzeugt eine Verdichtung, die ihre absoluten Qualitäten offenbart. Jede kleinste Geste zählt. Itay Tiran als Jean braucht sich nur ein wenig zu biegen, um vom Diener zu einem Humphrey Bogart zu werden, der zu allem fähig zu sein scheint. Diese Qualitäten des Ensembles hat Koležnik ausgekostet und hinterlegt so eine filigrane Momentaufnahme, die wie eine Zeitlupenstudie wirkt. (Margarete Affenzeller, 21.5.2021)