Ein bis zwei Flaschen Bier will ein 23-jähriger Angeklagter in einem Club getrunken haben, bevor er mit fünf weiteren Menschen bei sich weiterfeierte. Schwere Vorwürfe einer Frau haben ihn nun vor Gericht gebracht.

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Wien – Angeklagter Bojan B. verspätet sich wegen eines Staus vor der Sicherheitsschleuse zwar um sechs Minuten, erscheint aber recht selbstbewusst und ohne Verteidiger vor Richter Stefan Renner. Dem 23-Jährigen werden Freiheitsentziehung und Körperverletzung vorgeworfen – bei einer Strafandrohung bis zu drei Jahren benötigt er auch keinen Rechtsvertreter. Darüber hinaus ist der einmal Vorbestrafte davon überzeugt, dass die Staatsanwaltschaft falsch liegt und die Anklage nicht stimmt.

Naturgemäß bekennt B. sich daher "eigentlich gar nicht schuldig". Er sei am 7. August mit zwei Freunden in einem Club gewesen, dort habe er die 23 Jahre alte A. gesehen, die er nach eigenen Angaben flüchtig kannte. "Dann habe ich von einer Freundin eine Nachricht bekommen. Sie schrieb, entschuldigen Sie, Herr Rat, dass ich das jetzt so sage: 'A. möchte mit dir ficken.'"

Ein bis zwei Corona

A. und zwei ihrer Freundinnen seien an einem Tisch gesessen, der Angeklagte und seine beiden Freunde setzten sich dazu, man verstand sich gut. "Was haben Sie getrunken?", will der Richter wissen. "Ein oder maximal zwei Corona, da ich wusste, dass ich noch Auto fahren muss." – "Und die anderen?" – "Die Mädels hatten eine Flasche auf dem Tisch stehen. Ich glaube Wodka, aber ich weiß es nicht mehr genau."

Gegen ein Uhr beschloss man, zu sechst in B.s Wohnung zu wechseln. A. sei dort auf seinem Schoß gesessen, man habe sich gut verstanden und auch geküsst, schildert der Angeklagte. Die Frau habe ihm auch gesagt, sie wolle in seiner Wohnung schlafen. "Ich habe mir gedacht: 'Die Nacht wird super enden'", gibt B. zu.

Die anderen vier wollten dann irgendwann zwischen drei und vier Uhr morgens aufbrechen, sie gingen, unvermittelt habe dann auch A. gesagt, sie wolle jetzt gehen. "Das habe ich nicht verstanden. Erst will sie noch bei mir schlafen und dann plötzlich weg", erklärt der Angeklagte dem Richter. "Na ja, dann hat sie sich halt umentschieden", gibt Renner zu bedenken. "Eh, kann sie, aber ich wollte mit ihr reden, warum sie sich von einer auf die andere Sekunde umentschieden hat."

"Ich habe es nur gut gemeint!"

Zu diesem Behufe sei er ihr in den Vorraum gefolgt und habe sie vor der Eingangstüre an der Schulter gepackt und habe sie nach hinten gezogen. "Dabei ist sie über meinen Fuß gestolpert und hingeflogen. Es kann sein, dass sie sich dabei verletzt hat, aber das wollte ich nicht." Dann habe die Frau zu weinen und schreien begonnen, was er gar nicht verstand. "Ich habe es nur gut gemeint!", beteuert er vor dem Richter. "Was?", will der wissen. "Ich wollte nur erfahren, warum sie plötzlich gehen will!", wiederholt der Angeklagte. Am Ende will er damals "A., weißt was, wenn du nicht willst, dann geh einfach!" gesagt haben, worauf die Frau die Wohnung verließ. Die Eingangstür sei die ganze Zeit unversperrt gewesen.

Renner hält ihm die Aussagen A.s und der beiden anderen Männer bei der Polizei vor: Demnach seien der Angeklagte und A. einige Minuten im Schlafzimmer gewesen, danach sei die Stimmung zwischen den beiden frostig gewesen. B. bestreitet, das Wohnzimmer verlassen zu haben. "Warum sollen Ihre Freunde lügen?", wundert sich Renner. "B. ist nicht wirklich ein Freund von mir. Und S. macht immer das, was andere sagen", erklärt der Angeklagte. Er vermutet eine Verschwörung: "Vielleicht hat A. mit den beiden anderen Männern noch was unternommen und sich von denen vergewaltigen lassen?", stellt er ein gar nicht angeklagtes Delikt in den Raum.

Ex-Schwiegermutter als Kupplerin

Zeugin A. schildert einen völlig anderen Verlauf der Nacht. Ihre Ex-Schwiegermutter habe sie gefragt, was sie von B. halte, sie habe wahrheitsgemäß "Hässlich ist er nicht" geantwortet. Daraufhin habe die Ex-Verwandte dem Angeklagten die Nachricht geschickt, was sie erst am nächsten Tag erfahren habe. Interessantes Detail: B. und A.s Ex-Schwiegermutter waren einmal zusammen.

Sie habe den ganzen Abend keinen Alkohol getrunken, in B.s Wohnung habe sie mit dem Angeklagten "die ganze Zeit geredet und geflirtet". Sie sei auf seinem Schoß gesessen, auch Küsse seien ausgetauscht worden. Irgendwann forderte sie den Angeklagten auf, für musikalische Untermalung zu sorgen. B. habe gesagt, sein Bluetooth-Lautsprecher sei im Schlafzimmer, sie solle ihm suchen helfen.

In dem Raum habe er sie gepackt, auf das Bett gestoßen, gewürgt und am Hals geküsst, behauptet die Zeugin. Sie forderte ihn auf, damit aufzuhören, was er getan habe. Zurück im Wohnzimmer, habe sie sich dann entfernt von B. platziert – nachdem der Angeklagte mit einer ihrer Begleiterinnen zu streiten begonnen habe, sei es ihr zu viel geworden und sie sei gegangen.

"Du wirst mir gehören!"

"Als ich zur Tür gehen wollte ist er mir nach, gestolpert und auf mich gefallen. Ich denke, dabei habe ich mich am rechten Ellbogen verletzt", erzählt A. weiter. Sie sei schon fünf Minuten auf der Straße gewesen, habe aber kein Taxi gefunden, ihr Handy-Akku sei leer gewesen. Plötzlich sei B. aufgetaucht, habe sie gegen die Hauswand gedrückt, gewürgt und angekündigt: "Wo willst du hin? Du wirst mir gehören!"

Sie habe Angst gehabt und sei zurück in die Wohnung gegangen – einerseits, um B. zu beruhigen, andererseits weil dort die vier anderen Menschen gewesen seien. Ihre zwei Begleiterinnen und einer der Männer seien dann aufgebrochen. Sie sei mit B. und dessen Freund im Stiegenhaus gestanden. "Haben Sie zu dem Freund etwas gesagt?", fragt der Richter. "Nein, ich hatte Angst und konnte nicht sprechen. Ich habe mit den Augen Zeichen gemacht, dass er mich nicht alleine lassen soll, aber er hat das nicht verstanden."

Schreie im Stiegenhaus

Nach A.s Darstellung sei auch der Freund nach unten gegangen, oben habe B. an ihr gezerrt und versucht, sie die Stiegen hinunterzuschubsen. Sie habe geschrien, dass hätten sowohl die anderen unten als auch die Nachbarn gehört, ist sie überzeugt, Dann habe B. sie von hinten gepackt und zurück in den Vorraum gezerrt, beim Versuch, sich festzuhalten, habe sie die Gegensprechanlage beschädigt.

B. habe sie dann wieder geschlagen, ihr unter ihr Kleid gegriffen und sie betastet. Dann habe er sie gegen einen Spiegel geschmissen, der kaputtging, sie sei zu Boden gestürzt und habe kurz das Bewusstsein verloren. Als sie wieder zu Sinnen gekommen sei, habe B. die Eingangstür versperrt und den Schlüssel eingesteckt. Anschließend sei er in die Küche gegangen und mit dem rechten Arm hinter dem Rücken wieder herausgekommen.

Schwur auf Allah

"Ich schwöre bei Allah, ich werde ganz schnell machen, es wird dir gar nicht weh tun", soll der Angeklagte dann gesagt haben. Sie sei davon ausgegangen, dass B. ein Messer hinter dem Rücken verberge und sie töten wollte. Gesehen habe sie allerdings keine Waffe. Diesen Teil der Aussage hält der Angeklagte für völlig absurd: "Ich sag Ihnen was, ich bin serbisch-orthodox!", klärt der Österreicher den Richter auf. A. sagt, sie sei bosnische Muslimin, und vermutet, B. habe sich wegen der ethnischen Konflikte in Ex-Jugoslawien auf Allah bezogen.

Der Richter weist die Zeugin auf Abweichungen zu ihrer Aussage bei der Polizei hin. Dort hatte sie nämlich berichtet, B. habe ihr im Schlafzimmer zwischen die Beine gegriffen, was sie vor Gericht nicht erwähnt hat. Umgekehrt sprach sie bei der Exekutive nicht von einem Übergriff im Vorraum. Nun sagt sie, es sei zweimal passiert und sie sei davon ausgegangen, dass er Sex mit ihr haben wollte.

"Ich finde das ekelhaft"

"Ich finde das ekelhaft, dass er mit meiner Ex-Schwiegermutter was hatte und jetzt was von mir wollte", stellt A. klar. "Die Frage ist, warum werden Sie dann mit ihm intim und küssen ihn, wenn Sie das ekelhaft finden?", wundert sich Renner. "Wir haben uns am Anfang gut verstanden. Aber im Hinterkopf hatte ich immer, dass ich nicht mit ihm schlafen will", erklärt ihm die Zeugin.

Da die anderen nach ihren Schreien nach oben gerannt seien und an die Eingangstür klopften, die B. dann öffnete, habe sie entkommen können. Die Polizei müssten wohl Nachbarn gerufen haben. Im Spital wurden bei ihr eine Rissquetschwunde, oberflächliche Verletzungen am Hals und Prellungen an Knie, Schulter und Ellbogen festgestellt. Sie sei derart erschüttert gewesen, dass sie nach dem Vorfall sieben Monate im Krankenstand gewesen sei und deshalb ihren Job verloren habe, verrät die Zeugin noch. Laut ihrer Privatbeteiligtenvertreterin, die als Schadenersatz 2.000 Euro von B. fordert, laboriere A. auch heute noch an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

"Sein Stolz war gekränkt, denke ich mir"

Einer der anwesenden Männer bestätigt als Zeuge, dass der Angeklagte und B. für einige Minuten in einem anderen Raum gewesen seien. "Danach hat man gemerkt, dass irgendwas zwischen ihnen nicht in Ordnung war", erinnert sich der ebenfalls 23-Jährige. Ebenso, dass A. die Wohnung verließ, B. ihr nachgegangen sei und beide zurückkehrten. "Sein Stolz war gekränkt, denke ich mir", mutmaßt der Zeuge. Nachdem die Polizei gekommen sei, habe A. ihm erzählt, dass der Angeklagte sie durch die Wohnung geschleudert und bedroht habe. "War auch von einem Messer die Rede?", bohrt der Richter nach. "Ah ja, sie hat gesagt, er hat sie mit einem Messer bedroht." Von sexuellen Übergriffen sei allerdings keine Rede gewesen.

Aufgrund der Schilderung A.s sieht der Richter am Ende den Verdacht auf eine versuchte Vergewaltigung gegeben. Dafür ist wegen der Strafdrohung von zwei bis zehn Jahren allerdings ein Schöffengericht zuständig, daher fällt Renner nicht rechtskräftig ein Unzuständigkeitsurteil. Die Staatsanwaltschaft wird eine neue Anklage einbringen, B. hat dann als Teilzeitangestellter, der 600 Euro im Monat verdient, das Recht auf einen Verfahrenshelfer. (Michael Möseneder, 20.5.2021)