Im Labor des Wiener Biologen Sasha Mendjan entstehen aus Stammzellen pulsierende kleine Menschenherzen.
Foto: Mendjan/IMBA

2013 gelang einer Gruppe um Madeline Lancaster und Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien ein spektakulärer Durchbruch: Die Forscher züchteten aus pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) erstmals so etwas wie ein menschliches Minigehirn. Die Gehirn-Organoide, die seither im Labor entwickelt werden können, helfen den Wissenschaftern dabei, mehr über Krankheiten wie Epilepsie herauszufinden.

Die etwa erbsengroßen Zellhaufen entstanden, indem die Stammzellen durch spezielle Zellkulturverfahren dazu gebracht wurden, die embryonale Gehirnentwicklung in der Petrischale gleichsam nachzuahmen und sich zu Nervenzellen auszudifferenzieren. Im Verlauf weniger Monaten bildete sich auf diese Weise ein Gewebeverband, der einem embryonalen Gehirn entspricht.

Pulsierende embryonale Herzen

Nun hat ein Team um Sasha Mendjan, ebenfalls IMBA, dasselbe Kunststück mit einem anderen, nicht minder wichtigen Organ vollbracht: Die Wissenschafter animierten aus Blut und Haut gewonnene Stammzellen dazu, unterschiedliche kardiale Zellenarten auszubilden. Diese entwickelten sich schließlich zu einem realistischen Herz-Organoid mit Herzwand und Herzkammern weiter, das sogar pulsierte. Die praktischen Anwendungsmöglichkeiten dieses lebendigen Modells konnten die Forscher auch gleich selbst demonstrieren: Anhand der Miniherzen entdeckten sie eine Ursache von vererbten Herzfehlern und simulierten Herzinfarktfolgen.

Die am IMBA entwickelte Stammzelltechnologie ermöglicht bessere Einblicke in die menschliche Herzentwicklung, denn sie bedient sich einer neuen Methode: Bisher hatte man versucht, Herz-Organoide auf einem Gerüst aus Polymeren zusammenzusetzen, indem man es mit verschiedenen Herzzellen besiedelt. Experten nennen dieses Verfahren "Tissue Engineering". Dies hat sich als Modell für die Erforschung von Krankheiten aber nur als bedingt brauchbar erwiesen. "Wir haben den Stammzellen einfach nur die richtigen Informationen gegeben, und sie haben sich selber zu einem kleinen Herz mit Kammer entwickelt", erklärte Mendjan. Es sei im Grunde das Gleiche, was in der Entwicklung beim Menschen passiert.

Vier Herz-Organoide in der Petrischale.
Foto: The Mendjan Lab

Aus Blut oder Haut

"Wenn man von 'Tissue Engineering' spricht, dann ist es so, als würde man einen Baum aus verschiedenen Teilen zusammenbauen. Mit unserer Methode versuchen wir, den Baum von selber wachsen zu lassen, so wie es der Natur entspricht. Gerade für die Entstehung von Krankheiten können wir enorm viel lernen, wenn es uns gelingt, das Zusammenspiel der Zellen während der Entwicklung zu verstehen", so Mendjan. Um ein Herz-Organoid wachsen zu lassen, verwenden die Wissenschafter wie schon beim Minigehirn pluripotente Stammzellen, die ethisch unbedenklich aus Blut oder Hautproben gewonnen werden können.

Im Nährmedium können sie sich zu drei Zellschichten, den Keimblättern, formieren. Für die Entwicklung von Herz-Organoiden ist die mittlere Keimschicht, auch Mesoderm genannt, relevant, aus der fast alle unterschiedlichen Zelltypen im Herzen hervorgehen. Das Zusammenspiel dieser Zellarten im heranwachsenden Herz ist einzigartig: Über verschiedene biochemische Signale "sprechen" die Zellen miteinander. Diese Informationen sind gerade für die Entwicklung des Herzens ganz wesentlich, damit die Zellen sich in einem bestimmten Zeitfenster so spezialisieren, dass sie schlussendlich die richtige Funktion am richtigen Ort im Herzen erfüllen können.

Miniherz löst über 50 Jahre altes Rätsel

Ein entscheidender Punkt für die Entwicklung des Herzens ist die Ausbildung der Herzkammern, deren Missbildungen zu angeborenen Herzfehlern führen. Wie das Team im Fachjournal "Cell" nachweisen konnte, führen Mutationen eines bestimmten Gens namens Hand1 zu Missbildungen der linken Herzkammer, einem der am häufigsten angeborenen Herzdefekte. "Wir konnten dank unserer Technologie ein Rätsel lösen, das Entwicklungsbiologen seit über 50 Jahren beschäftigt, nämlich welche biochemischen Signale der verschiedenen Zellen die Herzentwicklung steuern", sagt Mendjan. "Die Herz-Organoide spiegeln typisch menschliche genetische Eigenschaften wider und erlauben uns, Krankheitsentstehung am Herzen bereits während der Entwicklung zu untersuchen, was bisher nicht möglich war."

Auch Herzinfarkte stimulierten die Wissenschafter, indem sie die Herz-Organoide durch Einfrieren schädigten. Dabei entstanden dieselben Krankheitszeichen wie bei Patienten nach einem Infarkt oder mit fibrotischen Herzerkrankungen, bei denen vermehrt Bindegewebe eingebaut wird. Hier war eine Anhäufung bestimmter Eiweißstoffe zu beobachten. "Es ist uns also erstmals gelungen, die Effekte im Labor zu beobachten, wie das Herz versucht, den Schaden zu reparieren", sagte Mendjan. "Aktuell setzen wir die Herz-Organoide dazu ein, um zu erforschen, wie das Sars-CoV-2-Virus das Herz infizieren und schädigen kann", so die Forscher.

Viele Anwendungen möglich

Die möglichen medizinischen Anwendungen sind breitgefächert. Für das gezielte Testen von Medikamenten wären die Herz-Organoide etwa ein großer Schritt in Richtung personalisierte Medizin, da sie von den Stammzellen jedes beliebigen Patienten hergestellt werden können. Dafür hat Mendjan mit Kollegen eine Spin-off-Firma namens HeartBeat.bio gegründet. Während er dort nur als Berater fungiert und in seinem Labor weiter die Krankheitseffekte studieren will, soll die Firma mit den Herz-Organoiden neue Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen finden.

Ein großes medizinisches Ziel sei es, einen Weg zu finden, Herzen nach einem Infarkt zu heilen, so Mendjan. Eine derartige Selbstheilung des Herzens ist aus dem Tierreich bekannt und wurde sogar in Einzelfällen bei neugeborenen Babys medizinisch beschrieben. Jedoch scheint diese Regenerationsfähigkeit bei erwachsenen Menschen verlorengegangen zu sein. "Unsere Herz-Organoide könnte man einsetzen, um gezielt nach diesem Mechanismus zu suchen." (tberg, red, 20.5.2021)