Ein RSS-basierter Feed-Reader im Google Chrome. Die wohl unerwartetste Neuerung im Jahr 2021.

Grafik: Google

Es klingt nach einer Idee, die ebenso simpel wie genial ist. Wie wäre es denn, wenn man, statt auf Facebook oder Apple News nach aktuellen Nachrichten zu suchen, einfach gesamten Websites folgen könnte? Und dann vielleicht irgendwo zentral über sämtliche Artikel informiert wird? Genau das hat man sich offenbar auch bei Google gedacht und kann im Rahmen der Entwicklerkonferenz I/O mit einer interessanten Neuerung aufwarten.

Abos

Im Browser Chrome soll es künftig möglich sein, einzelnen Websites zu folgen. Der daraus resultierende "Newsfeed" soll dann einfach immer beim Öffnen eines neuen Tabs angezeigt werden – man könnte das Ganze insofern als eine Art "Feed Reader" bezeichnen. Um dies zu ermöglichen, greift man auf einen wenig beachteten Webstandard namens RSS (Really Simple Syndication) zurück. Über einen Einstellungsdialog können dann die eigenen Seiten-Abos verwaltet werden.

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Wer sich angesichts dieser Einleitung fragt "Hatten wird das nicht schon mal?", hat natürlich recht. Acht Jahre nach der Einstellung des Google-Readers scheint sich der Softwarehersteller alter Stärken des offenen Webs zu besinnen. Vorerst ist das Ganze zwar nur als ein Experiment in der Android-Version von Chrome – und hier auch nur für zufällig ausgewählte Nutzer in den USA – gedacht. Google machte aber bei einem Gespräch am Rande der I/O schnell klar, dass dies nur einen Anfang darstellen soll.

"Unsere Vision ist es, den Menschen dabei zu helfen, eine direkte Verbindung mit ihren Lieblingsautoren und -seiten aufzubauen", formuliert es Google. Und dazu solle RSS revitalisiert werden – mit dem Blick auf die nächsten 20 Jahre des offenen Webs. Der Wunsch nach solchen Lösungen sei ein Feedback, das man von Usern zuletzt immer stärker bekommen habe.

Reader-Erinnerungen

Große Versprechen also, die angesichts der Vorgeschichte allerdings wohl bei so manchen Beobachtern auf Misstrauen stoßen werden. Immerhin ist das Ende des Google-Readers bis heute bei vielen ein wunder Punkt. Denn selbst wenn dessen Nutzungszahlen niemals auch nur annähernd mit sozialen Netzwerken mithalten konnten, so hatte sein Ende eine große Symbolkraft: weg vom offenen Web, wo die Nutzer selbst auswählen, hin zu algorithmisch ausgewählten Nachrichten-Feeds.

Dass Facebook und Co aber nicht nur bequem sind, sondern auch einen ziemlich problematischen Nebeneffekt haben, sollten die folgenden Jahre auf unerfreuliche Weise belegen. Da es gilt, die Nutzer möglichst lange auf den eigenen Seiten zu halten, wurden die Algorithmen auf Interaktion optimiert – was wiederum Inhalte bevorzugt, die bei den Nutzern für Aufregung sorgen. Eine Art Empörungsspirale, der Kritiker gar eine Mitschuld an aktuellen gesellschaftlichen Problemen geben.

Dass sich die Geschichte wirklich anders entwickelt hätte, hätte Google den Reader damals nicht eingestellt, darf natürlich bezweifelt werden. Immerhin hatten sich die Trends in diese Richtung – weg vom offenen Web hin zu zentralen Plattformen – schon Jahre zuvor abgezeichnet. Für viele stellte Google damals aber einen der letzten großen Verfechter des offenen Webs dar, einen, der dann den Reader lieber einem eigenen sozialen Netzwerk geopfert hat: Google+. Dass dieses zu einem der größten Reinfälle in der Geschichte von Google wurde, machte die Angelegenheit auch nicht mehr besser.

Zarte Hoffnung

Bleibt also abzuwarten, ob die Google-Initiative je mehr als eine Fußnote der Geschichte wird. In den vergangenen Jahren befand sich RSS – parallel zum offenen Web als Ganzes – auf einem unübersehbaren Rückzug. Auch bei der neuen Google-Lösung ist RSS übrigens genau genommen nicht verpflichtend, Chrome könne an dieser Stelle auch Seiten einbinden, die keinen solchen Feed haben, betont das Unternehmen auf Nachfrage. Allerdings wären dann die Updates erheblich langsamer, als wenn sie direkt über einen RSS-Feed angekündigt werden. (Andreas Proschofsky, 20.5.2021)