Nimmt man, um den Ernst der pandemischen Lage abzuschätzen, das Ausmaß öffentlich transportierter Besorgnis als Gradmesser, so erinnerten die vergangenen Wochen an eine Berg-und-Tal-Fahrt. Noch im März dominierten Warnungen die Äußerungen aus Wissenschaft und Politik – und damit die Medienberichte. Nun hingegen könnte man angesichts sinkender Fallzahlen und zunehmender Impfungen fast meinen, die Gefahr sei ein für alle Mal vorbei, das Virus habe an Ansteckungskraft verloren.

Auch wenn Letzteres wegen des offenbar starken saisonalen Einflusses auf den Erreger in Europa zum Teil stimmen mag – hier wird die Wirkung als Ursache missverstanden. Dass in den Theatern endlich wieder vor Publikum gespielt, in den Fitnessstudios geturnt und in den Schanigärten konsumiert wird – zumindest zwischen den Regengüssen –, ist zwar ein Grund zur Freude. Aber es sagt wenig über die pandemischen Perspektiven aus.

In den Schanigärten wird wieder konsumiert.
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Vielmehr erinnert es an die Stimmungslage vor genau einem Jahr, als die Nation nach dem initialen Corona-Schock und dem ersten strengen Lockdown die Wiederauferstehung feierte. Als der Herbst unendlich weit weg erschien.

Damals kam es zu Versäumnissen, die sich bitter rächen sollten. Statt sich auf die mögliche Wiederkehr der Seuche vorzubereiten, wartete man ab. Statt in Schulen und Betrieben konkrete Schutzmaßnahmen vorzubereiten, versprach man Normalbetrieb. Statt das Maskentragen zu propagieren, wurde es ausgesetzt. Fachleute warnten vor der Ansteckung via Aerosole. Das wurde weggeschoben. Andere fanden die Idee grenzüberschreitender Urlaubsreisen aus Gründen des damit einhergehenden Virusimports wenig angebracht: Gereist wurde trotzdem.

Technische Probleme

Kurz, damals verhielt man sich so, wie es in einem Text über die "25 größten Fehler im Covid-Missmanagement" beschrieben wird. Darin schildert Tomas Puejo, der 2020 die Strategie "Hammer and Dance" für den Umgang mit der Pandemie präsentierte, als Panne Nummer eins: "Die meisten der genannten Fehler reihen sich um ein Konzept: Regierungen haben neue Informationen nicht rasch genug aufgenommen." Und tun sie es doch, so versprechen sie vielfach mehr, als sie halten können, lässt sich hier mit Blick auf die jüngste Panne beim grünen Pass hinzufügen, der aufgrund technischer Probleme nicht wie angekündigt ab 4. Juni zur Verfügung stehen dürfte.

Bekannt aus österreichischer Perspektive liest sich ebenso Puejos Fehler Nummer 22: "Die Bereitschaft der Menschen unterschätzen, das Richtige zu tun" – Lockdown-Maßnahmen mittragen, zum Beispiel. Auch war die heimische Pandemiebewältigung bis tief in den Winter von "Nicht beachten, dass das Virus mutiert" und "Nicht verstehen, was exponentielles Wachstum ist" bestimmt. Und das Impfmanagement, das der Blogger weltweit mit einer "Zugkatastrophe in Zeitlupe" vergleicht, war auch hierzulande, in einem reichen Staat, von einer langen, pannenbetonten Anfangsphase geprägt.

All dieses Missmanagement habe dazu geführt, dass weltweit bisher drei Millionen Menschen "statt nur ein paar Tausend" an Covid-19 sterben mussten, schreibt Puejo. Vor Beginn des Sommers und der damit einhergehenden Versuchungen, die Zügel in Sachen Corona schleifen zu lassen, sollte das aus österreichischer Perspektive als Ruf verstanden werden, die Tiefe der Krise keineswegs zu unterschätzen. Sie ist noch nicht ausgestanden. (Irene Brickner, 21.5.2021)