Eine junge Frau nach Verkündigung der Waffenruhe in ihrem Haus in Gaza-Stadt.

Foto: AFP / Mohammed Abed

Tel Aviv / Jerusalem – Militante Palästinenser im Gazastreifen sowie Israel haben ihre gegenseitigen Angriffe Freitagfrüh vorerst eingestellt. Eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe trat um 2 Uhr (1 Uhr MESZ) in Kraft und wurde zunächst von beiden Seiten eingehalten. Der Schlagabtausch kostete bisher mehr als 230 Menschen im Gazastreifen und zwölf Menschen in Israel das Leben.

Der US-Regierung liegen nach eigenen Angaben Zusagen vor, wonach die Waffenruhe in Nahost eingehalten werden soll. Präsidialamtssprecherin Jen Psaki sagte am Freitag in Washington, "relevante Beteiligte "hätten "starke Zusicherungen" gemacht, dass sie sich zu der Feuerpause bekannten. Das Außenministerium in Kairo teilte zudem mit, Israels Außenminister Gabi Aschkenasi habe seinem ägyptischen Kollegen Sameh Schukri gesagt, Israel sei daran gelegen, dass es ruhig bleibe.

Im Gazastreifen strömten bereits zuvor, in der Nacht auf Freitag, tausende Menschen auf die Straßen und feierten. Sie machten inmitten von Ruinen ihrer Erleichterung über das Ende des Schreckens mit Feuerwerk, Schüssen in die Luft und "Allahu akbar"-Rufen Luft. In den vergangenen Tagen war der internationale Druck vor allem durch die USA für ein Ende des Blutvergießens immer größer geworden. Am Mittwoch hatte US-Präsident Joe Biden Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in einem Telefonat gesagt, dass er noch im Lauf des Tages eine "deutliche Deeskalation (...) auf dem Weg zu einer Waffenruhe" erwarte. Nach der Vereinbarung der Waffenruhe sagte Biden, nun biete sich eine "wirkliche Chance", im Nahen Osten Fortschritte hin zu einem dauerhaften Frieden zu machen.

Hamas-Vertreter: "Finger am Abzug"

Ein Sprecher Netanjahus betonte jedoch, die Waffenruhe sei ohne jegliche Vorbedingungen erfolgt. Die politische Führung habe betont, dass die Realität vor Ort das weitere Vorgehen bei den Kämpfen bestimmen werde. Sollten etwa die Palästinenser ihre Raketenangriffe fortsetzen, werde man mit aller Härte reagieren, sagte Präsident Netanjahu. Er sprach von "neuen Spielregeln" gegenüber der Hamas und präsentierte das Vorgehen der israelischen Armee als großen Erfolg, bei dem viele wichtige Stellungen der Hamas zerstört worden seien.

"Die Waffenruhe ist wechselseitig und tritt beidseitig am Freitag, 2 Uhr (1 Uhr MESZ) in Kraft", hatte auch Taher al-Nuno, ein Berater des Hamas-Chefs Ismail Haniyeh, mitgeteilt. Der "bewaffnete Widerstand" der Palästinenser werde sich so lange an sie halten, solange dies die israelische Seite tue.

Ein Vertreter der Hamas sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass Israel die Gewalt in Jerusalem nun beenden und die Schäden durch die Bombardierung beseitigen müsse. "Es ist wahr, dass die Schlacht heute endet, aber Netanjahu und die ganze Welt sollen wissen, dass unsere Finger am Abzug sind", sagte der Hamas-Vertreter in Doha. Zu ihren Forderungen gehöre außerdem der Schutz der Al-Aqsa-Moschee und die Beendigung der Vertreibung mehrerer Palästinenser aus ihren Häusern in Ostjerusalem.

Der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Shtayyeh erklärte in palästinensischen Medien, er begrüße "den Erfolg der internationalen Bemühungen, die von Ägypten angeführt werden, um die israelische Aggression gegen unser Volk im Gazastreifen zu beenden".

Neue Unruhen auf Tempelberg

Noch Minuten vor Beginn der Feuerpause hatten militante Palästinenser Raketen Richtung Israel abgeschossen, Israels Luftwaffe beschoss Ziele in dem Küstenstreifen. Über neue Opfer wurde zunächst nichts bekannt.

Rund zwölf Stunden nach Beginn der Waffenruhe im Gaza-Konflikt kam es indes es auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Sharif) in Jerusalem zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Palästinensischen Rettungskräften zufolge wurden 15 Menschen behandelt, nachdem die Polizei unter anderem Gummigeschosse eingesetzt hatte.

Nach Angaben der Polizei wurden Polizisten zuvor aus einer Menge von Hunderten jungen Menschen mit Steinen und einem Brandsatz beworfen. Daraufhin seien Polizisten aufs Gelände vorgerückt. Viele, die sich auf dem Tempelberg zum Gebet versammelt hatten, verließen die Anlage vor den Konfrontationen.

Positive Reaktionen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und das österreichische Außenministerium begrüßten indes die Ankündigung der Waffenruhe. "Die Menschen in dieser ohnehin schon volatilen Region haben sich ein Leben in Frieden und Sicherheit verdient. Nun geht es darum, die Voraussetzungen für nachhaltige Sicherheit und Stabilität zu schaffen", teilte Kanzler Kurz mit. "Israelis und Palästinenser haben das Recht, in Frieden und Sicherheit zu leben", twitterte das Außenministerium.

Auch US-Präsident Biden sagte, die USA stünden zusammen mit den Vereinten Nationen und anderen Partnern bereit, der Palästinensischen Autonomiebehörde mit humanitärer Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau zu helfen. Er zollte Netanjahu Respekt dafür, die Kampfhandlungen eingestellt zu haben.

Zudem dankte er Ägypten für seinen Einsatz bei der Vermittlung der Waffenruhe. "Ich bin der Meinung, dass Palästinenser und Israelis es gleichermaßen verdienen, sicher und geschützt zu leben und sich gleichermaßen an Freiheit, Wohlstand und Demokratie zu erfreuen." Der ägyptische Präsident Abdelfattah al-Sisi dankte dem US-Präsidenten für seine Rolle bei der Durchsetzung der ägyptischen Initiative für eine Feuerpause auf Twitter. Kairo kündigte zudem an, zwei Delegationen zur Überwachung der Waffenruhe zu entsenden.

US-Außenminister Blinken reist in den Nahen Osten

US-Außenminister Antony Blinken plant in den kommenden Tagen eine Reise in den Nahen Osten. Dies teilte er dem israelischen Außenminister Gabi Ashkenazi in einem Telefonat mit. Wie das US-Außenministerium bestätigte, will sich Blinken dort unter anderem mit seinem israelischen sowie dem palästinensischen Amtskollegen treffen.

UN-Generalsekretär António Guterres rief alle Seiten auf, sich an die Vereinbarung zu halten. Nun müsse es um einen raschen Wiederaufbau und eine Wiederaufnahme von ernsthaften Gesprächen gehen, sagte der UN-Chef weiter. Die Vereinten Nationen würden Israel und die Palästinenser dabei unterstützen.

Der Konflikt hatte sich während des Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl fortlaufend zugespitzt. Als Auslöser gelten Polizeiabsperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden. Hinzu kamen drohende Zwangsräumungen für palästinensische Familien im Jerusalemer Viertel Sheikh Jarrah. Jüdische Siedler beanspruchen ihre Häuser: Können sie nachweisen, dass die Häuser vor 1948 einmal in jüdischem Besitz waren, geben Gerichte ihnen oft recht.

Am 10. Mai begann die im Gazastreifen herrschende Hamas mit Raketenangriffen. Israel reagierte darauf mit massiven Angriffen in dem Küstengebiet. Seit Beginn des Konflikts sind dem israelischen Militär zufolge mehr als 4.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden, wobei zwölf Menschen getötet wurden und 355 weitere verletzt. Durch die mehr als tausend israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen wurden nach palästinensischen Angaben mindestens 230 Menschen getötet und 1.600 verletzt. (APA, red, 21.5.2021)