Alkoholismus ist vor allem männlich: 2,5 Prozent der Frauen und 7,5 Prozent der Männer gelten in Österreich als Alkoholkrank.

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Österreich liegt beim Alkoholkonsum pro Kopf über dem OECD-Durchschnitt.

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In Österreich ist der Umgang mit Alkohol nach wie vor von viel Unwissenheit geprägt und Alkoholsucht immer noch ein Tabuthema – obwohl es viele Betroffene gibt: In Österreich werden fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung ab 15 Jahren als alkoholabhängig eingestuft (2,5 Prozent der Frauen und 7,5 Prozent der Männer). Das sind ungefähr 370.000 Menschen. Weitere neun Prozent konsumieren Alkohol in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß. In Summe weisen also 14 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, also rund eine Million Menschen, ein problematisches Trinkverhalten auf.

Rechnet man auch Freunde bzw. Angehörige als indirekt Betroffene – immerhin leiden sie oft über Jahre mit den süchtigen Personen mit – ist Alkoholismus ein Thema, das sehr viele Menschen hierzulande eigentlich etwas angeht. Angesprochen wird problematisches Trinkverhalten aber kaum.

Was die Ziele sind

Die "Österreichische Dialogwoche Alkohol", die am Sonntag zu Ende geht, ist ein Instrument um das zu ändern, sachlich zu informieren und dazu motivieren, über den eigenen Alkoholkonsum nachzudenken und ins Gespräch zu kommen: Wie viel Alkohol trinke ich und ab wann ist es zu viel? Die Veranstaltungen fanden pandemiebedingt alle online statt.

Ziel müsse es laut Expertinnen und Experten sein, den Konsum nicht per se zu problematisieren, sondern riskante Konsummuster aufzuzeigen, Wissenslücken zu schließen und einen verantwortungsvollen Umgang zu fördern. Hier setzt das seit Jahren in Wien etablierte Programm "Alkohol. Leben können" an.

Mehrdimensionales Programm

Das besondere daran: Die Klientinnen und Klienten werden hier als Ganzes betrachtet, nicht nur ihr Alkoholkonsum wird thematisiert, sondern beispielsweise auch familiäre Konflikte, Schulden, die Wohnsituation oder der Arbeitsplatz werden mit einbezogen. Ziel ist nicht unbedingt eine Abstinenz, sondern dass die Betroffenen zufriedener und gesünder leben und in das gesellschaftliche Leben integriert werden können. Die Maßnahmen dafür werden individuell erarbeitet, nicht nur ÄrztInnen, sondern auch SozialarbeiterInnen und PsychologInnen sind für die Klienten da – entweder stationär, ambulant oder tagesambulant, je nach Wunsch bzw. Lebenssituation der Betroffenen.

Kosten gibt es für die Suchtkranken keine – für die Bewilligung ist nur eine Anlaufstelle aufzusuchen – Behördendschungel soll der Behandlung keiner im Weg stehen. Die Finanzierung teilen sich die Pensionsversicherungsanstalt, die österreichische Gesundheitskasse und die Stadt Wien. Zumindest bisher. Denn für die Zukunft sei eine weitere Finanzierung noch nicht gesichert, sagt Ewald Lochner, Sucht- und Drogenkoordinator der Stadt.

Wiedereinstieg jederzeit möglich

Bisher wurden rund 8000 Personen behandelt, der Großteil davon (fast 70 Prozent) sind Männer, weil sie auch viel öfter von Alkoholsucht betroffen sind. Durchschnittlich sind die Menschen 17,5 Monate in Behandlung. "Wenn die Patientinnen und Patienten der Meinung sind, die Lage ist stabil, dann wird das Programm beendet", sagt Lochner. Wichtig sei allerdings, dass man jederzeit wieder andocken könne, wenn es wieder Probleme gibt. Immerhin sei Alkoholsucht eine chronisch-rezidivierende Krankheit – eine, die immer wieder auftreten kann.

Um zu messen, wie erfolgreich der Therapieansatz ist, wurde das Institut für Höhere Studien (IHS) mit der Evaluierung betraut. Ein Hauptaugenmerkt wurde dabei auf die Jobsituation der Betroffenen gelegt. "Wir erreichen viele Menschen, die trotz problematischem Konsum noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Das ist wichtig", sagt Drogenkoordinator Lochner. Um die Menschen im Job zu halten bzw. eine Stelle für jene zu finden, die arbeitslos sind, wird mit dem Arbeitsmarktservice und dem Wiener Weiterbildungsfonds zusammengearbeitet.

Mehr Betroffene können Job halten bzw. finden

Für die Evaluierung wurden 988 Personen, die bei "Alkohol. Leben können" behandelt werden (Interventionsgruppe) und 988 Personen, die im "bisherigen System" behandelt wurden, (Kontrollgruppe) beobachtet. Das Ergebnis: Mehr erwerbstätige Personen der Interventionsgruppe konnten ihren Job halten (72 Prozent vs. 57 Prozent). Außerdem konnten auch mehr Menschen einen Job finden (14 Prozent vs. 11 Prozent). Aus der Evaluierung geht außerdem hervor, dass sich bei rund 60 Prozent der Patientinnen und Patienten von "Alkohol. Leben können" das Konsumverhalten verbessert hat.

Auch die Kosten wurden untersucht: Die Gesamtkosten des Programms beliefen sich für 988 Personen bei 24 Monaten Behandlungszeit auf 8,9 Millionen Euro, was nur 26 Prozent der Kosten einer im bisherigen System behandelten Person entspreche bzw. einer Kostenreduktion von rund € 9.000 pro Person.

Bedenklicher Gender-Gap

Dazu, wie die Pandemie die Trinkgewohnheiten verändert hat, würden derzeit sehr unterschiedliche Zahlen kursieren, sagt Lochner. Er würde sich an die OECD halten. Demnach gaben 43 Prozent der Befragten in elf OECD-Ländern – darunter Österreich – während des ersten Lockdowns an, häufiger zu trinken als vor der Krise. Österreich liegt beim Alkoholkonsum über dem Schnitt der OECD-Länder: Dem Bericht zufolge werden in Österreich exakt zwölf Liter reiner Alkohol pro Kopf und Jahr in der Bevölkerung ab 15 Jahren konsumiert. Das entspricht rund zweieinhalb Flaschen Wein oder 4,6 Litern Bier pro Woche und Person. Der OECD-Schnitt liegt bei zehn Litern, an der Spitze rangieren die Tschechen mit 14,4 Litern. "Wir liegen eklatant über dem Durchschnitt", sagt Lochner. Zum denken gebe müsse aber auch der Geschlechterunterschied: Männer würden hierzulande 18 Liter jährlich konsumieren, bei Frauen sind es sechs Liter. (Lara Hagen, 23.5.2021)