Die Pandemie war und ist ein Stresstest für den Sozialstaat.

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Bildung, Gesundheit, Sicherheit – der Sozialstaat hat viele Aufgaben. Eine davon ist, Einkommen zu stützen, etwa wenn eine Pandemie hunderttausende Menschen arbeitslos macht. Mit dem ersten Lockdown begann für den österreichischen Sozialstaat ein gewaltiger Stresstest. Im April 2020 waren fast 40 Prozent aller Arbeitsmarktteilnehmer arbeitslos oder in Kurzarbeit. Die Regierung gab Milliarden für Wirtschaftshilfen aus, die Wirtschaftsleistung ging im vergangenen Jahr trotzdem um 6,6 Prozent zurück. Aber die Haushaltseinkommen schrumpften nur um rund ein Prozent. Haben die Hilfen den Kollaps des Sozialstaats verhindert?

In einem am Donnerstag vorgestellten Papier rechnen Ökonomen des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria durch, wie stark der Sozialstaat Einkommensverluste abgefedert hätte, wenn die Bundesregierung nicht mit Hilfsmaßnahmen wie Kurzarbeit oder Einmalzahlungen an Arbeitslose nachgelegt hätte. Das Ergebnis: Ohne Corona-Hilfen hätten sich die Einkommensverluste auf rund drei Prozent summiert. Das ist immer noch deutlich weniger als der Einbruch der Wirtschaftsleistung. Der österreichische Sozialstaat hat Corona "relativ souverän" gemeistert, sagt Hanno Lorenz, Ökonom bei der Agenda Austria. Der Sozialstaat funktioniert.

Ohne Sozialstaat und ohne Hilfen wäre das Einkommen der österreichischen Haushalte um rund zehn Prozent gesunken, die ärmsten Haushalte hätten mit rund zwölf Prozent die größten Verluste erlitten.

Wie die Hilfen griffen

Arbeitslosengeld und ein progressives Steuersystem sind zwei wichtige Einkommensstabilisatoren und Kernelemente des Sozialstaats. Das Arbeitslosengeld, weil es einen Teil des Einkommens eine Zeitlang ersetzt. Das Steuersystem, weil mit sinkendem Einkommen die Steuerbelastung relativ stärker sinkt.

Während der Corona-Pandemie brachte Türkis-Grün zusätzliche Stabilisatoren auf den Weg. Der wirksamste davon ist laut Agenda Austria die Kurzarbeit, die besonders im mittleren Einkommenssegment – also mit einem Jahresbruttoeinkommen für einen Singlehaushalt zwischen rund 37.800 und 49.500 Euro brutto – griff. "Die Corona-Kurzarbeit konnte hier zwischen 30 und 38 Prozent des krisenbedingten Einkommensverlusts auffangen", schreiben die Ökonomen.

In den einkommensschwächsten zehn Prozent glichen Sonderzahlungen laut Berechnungen rund 67 Prozent des Einkommensverlusts aus. Für die nächstreicheren zehn Prozent waren es noch rund 34 Prozent, während diese Hilfen für die höheren Einkommen kaum einen Effekt hatten, wie die Autoren schreiben. Zweimal gab es Sonderzahlungen von 450 Euro für Arbeitslose, Familien bekamen 360 Euro pro Kind.

Ungleichheit gesunken

Zusammen mit den bereits bestehenden Stabilisatoren konnten die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen ihre Einkommen in der Corona-Krise um knapp zwei Prozent steigern. Bei den reichsten Haushalten war der Verlust mit rund zehn Prozent am größten. Unterm Strich ging die Einkommensungleichheit in der Krise also zurück, ohne Eingreifen des Sozialstaats und Hilfspolitik wäre die Ungleichheit gestiegen.

Die Agenda-Austria-Ökonomen merken nicht zuletzt deshalb auch an, dass die Ungleichheit mit Auslaufen der Hilfen wieder steigen könnte, sofern sich der Arbeitsmarkt nicht merkbar erholt.

Arbeitsmarktpolitik

Bis die Beschäftigung in Österreich wieder Vorkrisenniveau erreicht, könnten noch mehr als zwei Jahre vergehen, sagt Ökonom Lorenz. Zuerst müsse der wirtschaftliche Aufschwung kommen, der Arbeitsmarkt reagiere dann etwas zeitversetzt.

Um möglichst viele Menschen möglichst rasch in Beschäftigung zu bekommen, spricht man sich bei der Agenda Austria auch für Anreize wie ein degressives Arbeitslosengeld aus. Nicht nur weil dadurch der Druck auf Arbeitslose mit der Zeit steigt, sich einen Job zu suchen. Studien zeigen ja, dass ein degressives Arbeitslosengeld die Arbeitslosigkeit im Schnitt ein bisschen verkürzt.

Wichtig sei auch, dass das Arbeitslosengeld zu Beginn der Arbeitslosigkeit deutlich höher ausfällt als bisher, sagt Lorenz. Bei einer vergleichsweise geringen Ersatzrate sei von Anfang an Druck da, schnellstmöglich wieder in Beschäftigung zu kommen. Bei einer großzügigen Ersatzrate zu Beginn der Arbeitslosigkeit könnten sich Arbeitslose etwas Zeit nehmen, um frei von zu großem finanziellem Druck eine passende Arbeit zu finden. Menschen, die etwas länger Arbeitslosengeld beziehen, nehmen danach mitunter Jobs an, die etwas besser bezahlt sind. (luis, 21.5.2021)