ORF-General Alexander Wrabetz will jedenfalls noch selbst entscheiden, wie die vereinigte ORF-Information für TV, Radio und Online geführt wird. Auch wenn ihn der türkise Stiftungsrat im August nicht als Generaldirektor verlängert.

Wrabetz (61) ist seit 2007 Generaldirektor des ORF, bestellt im Sommer 2006 gegen die Kanzlerpartei ÖVP und mit den Stimmen des freiheitlichen Koalitionspartners BZÖ. Er ist der am längsten durchgehend amtierende Chef des weitaus größten österreichischen Medienkonzern. Und Wrabetz bewirbt sich um weitere fünf Jahre ab 2022.

Selbstverteidigungskünstler

Die Entscheidung am 10. August stellt den großen Selbstverteidigungskünstler vor seine bisher größte politische Herausforderung. Der Sozialdemokrat wurde 2006 schon gegen eine Kanzlerpartei ÖVP ORF-General, er überlebte mit passenden Umbesetzungen die gezielte Demontage durch SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann ebenso wie eine Koalition von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, der den ORF zerkleinern und/oder von der Gnade des Finanzministers aus dem Bundesbudget finanzieren wollte. Doch im August kann eine türkise Mehrheit allein den nächsten General bestimmen. Erstmals seit einem halben Jahrhundert.

Größter Umbau der ORF-Information

Diese bürgerliche Macht geht einher mit dem größten Umbau der ORF-Information seit zumindest so vielen Jahrzehnten. Die bisher getrennt und vielfältig berichtenden Journalistinnen und Journalisten von TV, Radio und Online mit jeweils eigenen Chefredakteuren werden 2022 in einem multimedialen Newsroom unter neuer Führung und neu ausgeschriebenen Ressortleitungen zusammengelegt. Mit den gewaltigen Reichweiten der ORF-Medien ist das noch immer eine für jede Regierung ungemein interessante Schlüsselstelle zur Information der Bevölkerung.

"Kein zentraler Chefredakteur"

Im STANDARD-Interview versichert Alexander Wrabetz: "Es wird keinen zentralen Chefredakteur geben, der inhaltlich über alle Sendungen entscheiden kann." Drei redaktionelle Führungskräfte werde es geben, je eine für Video, Audio und Digital. Aber Wrabetz will sich auf konkrete Nachfragen nicht festlegen, ob diese drei Führungskräfte gleichberechtigt führen, wer bei inhaltlichem Dissens entscheidet, was berichtenswert ist und was nicht und ob das auch ein Chefredakteur oder eine Chefredakteurin mit zwei Stellvertretern sein könnte.

Als möglicher Gegenkandidat wird ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann genannt, auch über Kandidaten von außen wie Thomas Arnoldner (A1), Günther Helm (Drogeriekette Müller), Oliver Auspitz (MR Film) oder Matthias Settele (TV Markiza in der Slowakei) wird spekuliert. Als Bewerber deklariert hat sich bis Freitag allein Alexander Wrabetz.

Wie wird man ORF-Chef, Herr Wrabetz? Das große STANDARD-Interview zur Bewerbung

ORF-General Alexander Wrabetz hat schon viele Regierungsparteien erlebt – und an der Spitze des ORF überlebt.
Regine Hendrich

STANDARD: Herr Generaldirektor, werden wir dieses Interview in dieser Konstellation im Frühjahr 2026 wieder führen – mit Ihnen als ORF-Chef?

Wrabetz: Kann gut sein, ja.

STANDARD: Sie haben schon drei Bestellungen zum ORF-Generaldirektor in einem überwiegend politisch besetzten Stiftungsrat geschafft. Wie macht man das? Wie wird man ORF-Chef?

Wrabetz: Voraussetzung war bisher in sieben von neun Fällen, dass man schon gezeigt hat, dass man’s kann. Damit kommt man in den engeren Kreis, um überhaupt als Kandidat ernst genommen zu werden.

STANDARD: Wer waren die anderen zwei? Monika Lindner und Otto Oberhammer?

Wrabetz: Ich nenne jetzt keine Namen. Aber zwei hatten vorher keine Gelegenheit, zu zeigen, dass sie ein Unternehmen führen können. Ich glaube, dass es nach den vielen Diskussionen über Bestellungen im öffentlichen Bereich noch wesentlicher wird, dass die Stiftungsräte nach bestem Wissen und Gewissen und in ihrer aktienrechtlichen Verantwortung vorgehen werden. Das wird auch beobachtet werden. Und man muss den ORF in einer politischen Sphäre führen können, um die nötigen Rahmenbedingungen für das Unternehmen und seine Entwicklung zu schaffen.

STANDARD: Und damit wird man ORF-General?

Wrabetz: Das wird man mit überzeugenden Argumenten.

STANDARD: Und Ihre sind?

Wrabetz: Ich habe gezeigt, dass ich das Unternehmen gut durch Krisen führen kann: bei der Finanzkrise 2008, bei der Abwehr der Zerschlagung des ORF durch FPÖ-Attacken und in der Zeit der Pandemie. Ich habe gezeigt, dass man unser multimediales Standortprojekt zu einem guten Ende bringen kann. Wir sind sehr weit, aber nun geht es darum, das mit Leben zu erfüllen. Das würde ich gerne tun. Die Zeit nach der Pandemie wird wirtschaftlich nicht leicht, auch wenn wir jetzt sehr gut unterwegs sind. Die Herausforderungen werden größer, etwa im Werbeumfeld. Das ist keine Zeit für Experimente. Und ich will mein Projekt, den ORF zu einer digitalen Plattform zu entwickeln, gerne umsetzen.

STANDARD: Damit überzeugt der Sozialdemokrat Wrabetz eine türkise Mehrheit im Stiftungsrat?

Wrabetz: Zuordnungen sollten da keine Rolle spielen. Der Stiftungsrat hat über die Jahre alles Wesentliche einstimmig beschlossen, und die Umsetzung war erfolgreich. Auch bürgerliche Stiftungsräte schätzen sehr, was ich gemacht habe, etwa im Kulturbereich oder bei der Forcierung der Regionalität. Deshalb glaube ich, dass eine breite Zustimmung möglich sein könnte.

"Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein versuchter Zugriff – ob real oder vermutet – den vermeintlich Zugreifenden mehr schadet als nützt."
Regine Hendrich

STANDARD: ORF-Besetzungen sind nicht nur Sachfragen, sondern auch politische Vertrauensfragen. Warum sollte Ihnen die ÖVP vertrauen, dass Sie den ORF in ihrem Sinne führen – was immer ihr Sinn da ist? Woher weiß die ÖVP, dass Sie nicht in Ihrer vermutlich letzten Funktionsperiode zum Unabhängigkeitskämpfer werden – oder sich auch mit einer nächsten Regierung rasch arrangieren, wie immer die aussehen mag?

Wrabetz: Für Unabhängigkeit und journalistische Qualität stehe ich ja seit 15 Jahren. Der ORF kann nur mit bestmöglicher journalistischer Freiheit und Unabhängigkeit überleben. Das heißt, wir verfolgen weder die Agenda einer Opposition oder der Regierung, unsere Aufgabe ist die Information der Bevölkerung. Darauf kann man sich bei mir verlassen. Information aus dem ORF erreicht ein großes Publikum, auch wenn sie kritisch ist, weil sie auf hohen Vertrauenswerten basiert – ich glaube, das schätzt auch "die" Politik. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein versuchter Zugriff – ob real oder vermutet – den vermeintlich Zugreifenden mehr schadet als nützt.

STANDARD: Weil dann zum Beispiel ein ORF-Informationsdirektor spektakulär abberufen wird wie 2010 Elmar Oberhauser, der sich gegen eine Chefredakteursbestellung querlegte, die er als SPÖ-Wunsch identifzierte?

Wrabetz: Ich sehe das im Rückblick gänzlich anders als Sie, aber das würde jetzt im Detail zu weit führen.

"Nein, das ist nicht mein Spin – aber wieso sollte es im ORF nicht gelingen, die Stiftungsräte nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden zu lassen?"

STANDARD: Ihre Argumentationslinie, seit Sie Ihre Bewerbung angekündigt haben, ist sehr deutlich: Sie verweisen auf die türkisen Chatprotokolle und die Diskussion um Postenschacher insbesondere um die Öbag-Bestellung. Der Spin: Wenn Sie nicht wiederbestellt werden, ist das eine politische Entscheidung. Meinen Sie, die Debatte nützt Ihrer Wiederbestellung?

Wrabetz: Nein, das ist nicht mein Spin – aber wieso sollte es im ORF nicht gelingen, die Stiftungsräte nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden zu lassen?

STANDARD: Ist es günstiger für eine Wiederbestellung von Alexander Wrabetz, wenn die entscheidende ÖVP gerade unter öffentlichem Druck steht wegen Chatprotokollen, Vorwürfen politischen Postenschachers, Ermittlungen wegen Falschaussagen etc., oder wär’s einfacher, wenn es ruhiger wäre? 2006 sind Sie im beginnenden Nationalratswahlkampf erstmals ORF-General geworden.

Wrabetz: Darüber will ich nicht spekulieren. Ich spreche darüber, wofür ich stehe und was für mich spricht.

STANDARD: Gehen wir von einer Wiederbestellung aus. Wäre es nicht an der Zeit, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufzubauen? Wer kann den ORF nach Alexander Wrabetz. Wer hat das Potenzial?

Wrabetz: Ich glaube, wir haben auf der zweiten, dritten Ebene gute Leute, die sich auch entwickeln können. Wenn jemand eine Abteilung erfolgreich leitet, kommt er oder sie grundsätzlich infrage, eine Hauptabteilung zu leiten. Wenn jemand eine Hauptabteilung erfolgreich geleitet hat, ist sie oder er potenziell Kandidatin oder Kandidat für eine Direktion.

STANDARD: Und wenn jemand eine Direktion leitet, kann er oder sie Generaldirektor werden. Da gäbe es vier amtierende und den einen oder anderen ehemaligen ORF-Direktor.

Wrabetz: Ich habe das allgemein gemeint, die Entscheidung über den Generaldirektor trifft der Stiftungsrat.

STANDARD: Das heißt, Ihr Vorschlag für die bis zu vier ORF-Direktionen wird eine Empfehlung für die nächste Generaldirektion sein?

Wrabetz: Das wird dann der Stiftungsrat entscheiden.

STANDARD: Und wen werden Sie bei Wiederwahl dem Stiftungsrat vorschlagen? Sie werden das den Stiftungsräten wohl vor der Bestellung des Generaldirektors verraten müssen.

Wrabetz: Da habe ich schon Namen im Kopf. Aber es ist zu früh, darüber zu spekulieren. Da gilt es auch zu klären, wie man das Unternehmen unter den Direktionen strukturiert. Das werde ich in meiner Bewerbung darlegen.

"Es wird ganz sicher in fünf Jahren eine komplett neue Technik geben."
Regine Hendrich

STANDARD: Wird es noch eine technische Direktion geben?

Wrabetz: Es wird ganz sicher in fünf Jahren eine komplett neue Technik geben. Wir haben einen Generations- und Technologiewandel. Die Technik ist da schon sehr weit. Und die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine eigene und kompetente ORF-Technik ist.

STANDARD: War der Wandel in der Technik nicht schon Teil all Ihrer Konzepte seit 2006?

Wrabetz: Natürlich, dieser Prozess läuft ja auch schon seit Jahren. Wir sind auch schon voll digital. Alle Systeme, die neu kommen, sind voll IP-basiert.

STANDARD: Das heißt, man braucht einen technischen Direktor?

Wrabetz: Man braucht eine starke Technik im ORF, im Haus, wie unsere technologiegetriebenen Wettbewerber das auch zeigen. Eine Ausgliederung oder Auslagerung wird es mit mir nicht geben. Die Produktion wird immer enger verzahnt sein mit dem Programm. Im multimedialen Newsroom wird es jedenfalls eine eigene Technik geben.

STANDARD: Ist dieses Newsroom-Universum der nächste Wrabetz'sche Bypass abseits der ORF-Organisation oder auch dagegen – wie ORF 3?

Wrabetz: Nicht gegeneinander. ORF 3 entwickelt sich extrem erfolgreich und nicht gegen etwas.

STANDARD: Wäre es nicht sinnvoller, die Gesamtorganisation zu ändern, als neue Satelliten außerhalb zu bauen?

Wrabetz: Am Beispiel ORF 3 sieht man: Wenn es außerhalb der fixen Unternehmensstruktur direkt an der Unternehmensspitze angedockt ist, kann es sich besser entwickeln. Organisationen werden in Zukunft immer schlanker sein müssen und sich agil weiterentwickeln. Der Newsroom ist dann das Herz des ORF und nicht außerhalb. Die Komplexität erfordert eingespielte Teams.

"Ich will ja niemanden abschrecken."

STANDARD: Wenn sich jemand als Generaldirektor bewirbt – kommt er oder sie dann noch als Direktor oder Direktorin infrage in Ihrem Team? 2016 dürften Sie sich mit Ihrem Gegenkandidaten Richard Grasl ja darauf verständigt haben, dass der geht, der unterliegt.

Wrabetz: Ich will ja niemanden abschrecken.

STANDARD: Wenn Sie sich ein Team der besten Köpfe vorstellen – wäre ein Oliver Auspitz (MR Film) jemand, der Ihnen einfällt, ein Matthias Settele (TV Markiza), ein Thomas Arnoldner, der allerdings als CEO von A1 vielfach mehr verdient, oder auch ein Roland Weißmann (Vizefinanzdirektor ORF)?

Wrabetz: Jetzt sollen sich einmal jene offiziell deklarieren, die sich für meine Funktion interessieren. Dann kann man in die nächste Ebene gehen. Es kommt natürlich darauf an, wie so ein Wahlkampf abläuft. Beim letzten Mal war klar, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Konstellation wie davor nicht mehr möglich ist. Und es war auch in der ORF-Geschichte immer so.

STANDARD: Ist das ein Wahlkampf?

Wrabetz: Im ORF kommt das einem Wahlkampf sehr nahe, auch wenn es eigentlich nur um die Vertragsverlängerung in einem Unternehmen geht. Das bedeutet ja auch, dass das Unternehmen auch nach 20 Jahren meiner Tätigkeit eine sehr hohe Relevanz hat. Wenn das ZDF wie derzeit einen neuen Intendanten bekommt, dann bewegt das in Deutschland nicht über Monate das ganze Land. Das spricht für den ORF, so unangenehm das für uns sein mag.

Drei Chefredakteure für den multimedialen Newsroom – ob gleichberechtigt oder ob letztlich doch einer das letzte Wort hat, will Wrabetz nicht sagen.
Regine Hendrich

STANDARD: Im multimedialen Newsroom, der 2022 bezugsfertig ist, werden die Journalistinnen und Journalisten von TV, Radio, Online zusammenarbeiten. Das wird die größte Neuorganisation der ORF-Information seit Jahrzehnten. Da geht es um eine gemeinsame Führung der Information in allen ORF-Medien. Sie werden dem Stiftungsrat vor der Abstimmung am 10. August verraten müssen, wie Sie sich das genau vorstellen – und wen Sie sich da vorstellen.

Wrabetz: Für den Newsdesk, die Ressorts, die Sendungsteams habe ich eine klare Vorstellung. Sie werden im Herbst ausgeschrieben und entschieden. Das Newsroom-Management darüber ist eine Gruppe von drei Personen, die sich, insbesondere in der Startphase, um die Information in einem der Medien speziell kümmert. Aber das möchte ich in den nächsten Wochen noch abschließend diskutieren mit den derzeitigen Verantwortlichen und sehen, wie man das in eine Organisationsanweisung gießt. Das wird ebenfalls, wie die Geschäftsverteilung der Direktionen, in der Bewerbung dargelegt und danach ausgeschrieben. Ich werde das auch noch entscheiden im heurigen Jahr – aber wenn jemand anderer bestellt werden sollte, werde ich mir schon vorher anhören, was er oder sie sich vorstellt.

STANDARD: Das heißt ein Chefredakteur oder eine Chefredakteurin für TV und Streaming …

Wrabetz: Video, Audio, Digital.

"Wichtig ist, es wird keinen zentralen Chefredakteur geben, der inhaltlich über alle Sendungen entscheiden kann."

STANDARD: Und wenn die sich bei Themen nicht einigen können – wer entscheidet? Werfen die eine Münze, ziehen Halme? Es muss doch wohl einen oder eine geben, der oder die am Ende sagt: So machen wir’s.

Wrabetz: Ja. Im Detail werde ich das nicht erläutern, wichtig ist, es wird keinen zentralen Chefredakteur geben, der inhaltlich über alle Sendungen entscheiden kann.

STANDARD: Was wurde denn aus dem Versprechen von 2016, dass künftig ORF-Redakteurinnen und -Redakteure ihre Führungskräfte nach einer bestimmten Zeit im Amt mit einer qualifizierten Mehrheit quasi abwählen können?

Wrabetz: Wenn es einen gröberen Dissens einer qualifizierten Mehrheit gibt, dann würde ich das schon sehr ernst nehmen. Aber ich sehe das momentan nicht.

STANDARD: Also braucht man das nicht als Regel festschreiben?

Wrabetz: Die Redakteursvertretung hätte das wohl gerne. Aber wir haben in den letzten Jahren nicht darüber gesprochen, schon weil die von mir bestellten Führungskräfte ein hohes Vertrauen haben – es gab dafür in den letzten Jahren keinen Anwendungsfall.

"Das war auch ein bisschen Wichtigmacherei vom ORF." Wrabetz über den Livestream.
Regine Hendrich

STANDARD: Als die TVthek am Wochenende den Bundestag der Jungen ÖVP mit Sebastian Kurz live übertragen hat, haben Sie nach vielen Jahren voller Livestreams von Parteitagen und Parteipressekonferenzen ziemlich plötzlich angeordnet, dass der Chefredakteur von ORF 2 künftig über solche Livestreams entscheidet. Warum auf einmal?

Wrabetz: Wir müssen schon bedenken, wie das am Ende des Tages im Newsroom sein wird. Natürlich wird das dann über den Newsdesk laufen, wie man Streams auf dem Player verortet. Das ist ein Vorgriff auf künftige Abläufe. An diesem Fall hat sich gezeigt, dass wir ja nach geltender Gesetzeslage Inhalte alleine für Online nicht machen dürfen. Und es kann nicht sein, dass die Online-Abteilung entscheiden kann, was in der "ZiB" kommt, weil es für den Livestream TV-Berichterstattung braucht. Kanzlerstatements zu den aktuellen Fragen gab es ohnehin, also hätte es das Parteivideo dafür nicht gebraucht.

STANDARD: Aber wer hat das entschieden, haben Sie davon gewusst?

Wrabetz: Ich habe es nicht entschieden und war nicht in die Entscheidung eingebunden. Ist das die Übertragung einer Parteikonferenz oder ist das ein Werbevideo, ist es wahrscheinlich in der Berichterstattung oder nicht: Das entscheidet nicht der Generaldirektor am Samstag kurzfristig beim Frühstück. Das hat der bis dahin zuständige Online-Abteilungsleiter entschieden. Ich habe gewusst, dass das angeboten war, von der Entscheidung habe ich nichts gewusst.

STANDARD: Haben Sie womöglich mit Sonder-"ZiBs" im Hauptabend mit 15 Minuten Kanzlergespräch ohne aktuellen Anlass vermittelt, dass so etwas erwünscht ist?

Wrabetz: Die beiden Fälle sind ja nun wirklich nicht vergleichbar. Wenn die Regierung nach viele Monaten des Pandemie-Lockdowns konkrete Öffnungsschritte beschließt und ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in den kommenden Wochen geimpft werden kann – und das als eine der ersten in Europa –, dann ist das ja wohl ein gravierender Grund für eine zudem lange vorbereitete Sonder-"ZiB" mit vertiefender, "magaziniger" Berichterstattung dazu und auch für ein Interview mit dem Regierungschef, befragt von einer ORF-Journalistin, die auch alle kritischen Fragen gestellt hat. Das kann man nicht vergleichen mit der unkommentierten Übernahme einer Veranstaltung einer Teilorganisation einer Partei. Wegen eines Streams, den 60 Leute sehen, interveniert niemand. Das war auch ein bisschen Wichtigmacherei vom ORF.

"Wir müssen in Österreich schauen, wie wir aus dieser ultrapolarisierten Situation herauskommen."

STANDARD: Ein Gegenbeispiel war das ausführliche und gründliche Interview von Sebastian Kurz zu den Ermittlungen in der "ZiB 2" und seine Fast-schon-Liebeserklärungen an Armin Wolf und dessen objektive Fragen in freundlicher Atmosphäre. Was hat der Kanzler Ihnen danach gesagt?

Wrabetz: Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir in Österreich schauen müssen, wie wir aus dieser ultrapolarisierten Situation herauskommen. Ein und dasselbe Interview wird von vielen Zuschauern völlig unterschiedlich beurteilt: einerseits wüsteste Proteste, weil das Interview zu hart geführt worden sei; und ebenso wüsteste Unterstellungen, warum Armin Wolf auf einmal zu positiv interviewt. Und Lob wie jenes des Kanzlers ist ja nur rhetorisch zu verstehen. Aber dieses Interview widerlegt die Behauptungen, die "ZiB Spezial" hätte es gegeben, weil Kurz nicht in die "ZiB 2" kommt. Dort war kurz davor der neue Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein.

STANDARD: Also keine Rede von besonderen Aufmerksamkeiten für den Bundeskanzler und ÖVP-Chef mit Blick auf die türkise Mehrheit im Stiftungsrat – sagen Sie?

Wrabetz: So ist es. Unsere Journalistinnen und Journalisten machen nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit. Da braucht man nicht hinter jedem Halbsatz – von der einen oder der anderen Seite – eine große ORF-Strategie für oder gegen jemanden sehen. Die gibt es nicht. ORF-Vorwahlzeiten sind immer Zeiten, wo selbst hinter dem Wetterbericht eine Anregung des Generaldirektors vermutet wird.

STANDARD: Endlich haben wir einen Verantwortlichen für diesen verregnet-kalten Frühling! Machen Sie so weiter bis zum 10. August, und – wenn Sie nicht wiederbestellt werden – gibt es auch noch einen frostigen Herbst und grüne Weihnachten 2021?

Wrabetz: Wir müssen nun, wenn die Pandemieberichterstattung weniger wird, unsere journalistischen Stärken ausspielen. Natürlich wird man immer berichten, was im U-Ausschuss passiert. Aber es geht schon auch darum, wie es in der Welt und in Österreich inhaltlich weitergeht. Umso mehr müssen wir sicherstellen: Bei uns wird alles berichtet, was relevant und wesentlich ist, ohne Bias, aber wir haben auch andere Themen, die für das Land wichtig sind in unseren News.

"Die Festsetzung der GIS nach gesetzlichen Kriterien wird man sich dann im Herbst, wenn es Zeit ist, anschauen."
Regine Hendrich

STANDARD: Neuwahlen als Folge von Untersuchungsausschuss, Chatprotokollen, Ermittlungen könnten auch ganz interessant sein für das Land.

Wrabetz: Natürlich. Aber die aufgeregte Interpretation von Halbsätzen aus Chats ist erzählt.

STANDARD: Gab es davon zu viel?

Wrabetz: Nein, und wenn neue kommen, die journalistisch relevant sind, werden wir das natürlich auch berichten.

STANDARD: Auch in der "ZiB 1" um 19.30? Man könnte den Eindruck gewinnen, die "ZiB 1" ist für das eine Publikum des ORF, die "ZiB 2" für das andere, regierungskritischere.

Wrabetz: Auch in der "ZiB 1". Ich habe gerade in einem Blog gelesen, die "ZiB 1" wäre linksradikal, weil Andreas Pfeifer dort die Israel-Fahne auf dem Kanzleramt kritisch kommentiert hat. Man darf sich nicht von zwei gegensätzlichen, relativ kleinen Communities auf Twitter unter Druck setzen lassen, was man hätte bringen oder nicht bringen sollen.

"Der ORF ist nie fertig."

STANDARD: Sie haben Ihre neuerliche Bewerbung damit erklärt, dass Sie noch einige große Projekte im ORF fertigbringen wollen, mit Leben erfüllen wollen. Wann sind Sie denn mit dem ORF fertig? Und wie sieht er dann aus?

Wrabetz: Der ORF ist nie fertig. Er muss in den nächsten Jahren vom Public-Service-Broadcaster zur Public-Service-Plattform werden. Nicht nur technisch, sondern auch mit neuen Produkten, neuen Erzählformen, einer weiterentwickelten Unternehmenskultur. Nach der sehr erfolgreichen "ZiB Insta" auf Instagram werden wir jetzt ein Newsformat auf Tiktok versuchen. Der ORF-Player muss funktionieren mit vertiefter, kontextualisierter Berichterstattung. Dafür brauchen wir – nach dem Abbau von 25 Prozent des Personals unter meiner Führung – in den nächsten Jahren auch 500 neue Mitarbeiter, die diejenigen ersetzen werden, die in den kommenden Jahren in Pension gehen.

STANDARD: Der ORF muss laut Gesetz alle fünf Jahre der Medienbehörde vorrechnen, wie viel Gebührengeld er braucht, um den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen – das nächste Mal im kommenden Herbst, spätestens Anfang 2022. Bisher haben Sie in den vergangenen Wochen Fragen nach der anstehenden GIS-Erhöhung weggewischt. Schließen Sie eine Gebührenerhöhung aus – oder wollen Sie einfach bis zur Generalsbestellung lieber nicht darüber reden?

Wrabetz: Wir werden das Gesetz vollziehen. Ich habe aber ausgeschlossen, dass wir für den ORF-Player eine Gebührenerhöhung beantragen. Das kann ich ausschließen. Aber die Festsetzung nach gesetzlichen Kriterien wird man sich dann im Herbst, wenn es Zeit ist, anschauen.

STANDARD: Von der Streamingplattform ORF-Player soll nun doch nichts vor der Generalsbestellung online gehen, war zu hören und zu lesen. Kein Info-Kanal, kein Sportkanal, wie zunächst geplant und zumindest intern angekündigt?

Wrabetz: Einzelelemente wohl, aber große neue Programme gibt es nicht, nein. Es könnte sein, dass der "Newsroom" in der Pilotphase schon beginnt.

STANDARD: Warum die Verschiebung nach der Wahl im August? Damit ein möglicher Mitbewerber um Ihren Job – Roland Weißmann ist ja auch Player-Projektmanager – keinen sichtbaren Erfolg hat?

Wrabetz: Nein, der sitzt ja im Fahrersitz beim Terminplan. Die Dinge brauchen ihre Zeit, und wir kommen gut voran. Wir haben das Design für den Player fertigentwickelt. Und wir sind bei der technischen Basis gut unterwegs. Aber wir müssen uns mit der Medienbehörde abstimmen, obwohl die ersten Teile im Rahmen des bestehenden Gesetzes umsetzbar sind. Ich habe kein Interesse, das zu bremsen, aber wenn wir noch nicht so weit sind, kann ich es auch nicht erzwingen.

"Wir haben ein paar Dinge zu verbessern in Tirol, aber das ist im Laufen."
Regine Hendrich

STANDARD: Wie geht denn der ORF mit Compliance-Fällen um? Wird das grundsätzlich intern geregelt oder gebügelt? Zum Beispiel, indem ein Bereich einer Abteilung in eine andere Direktion verlegt wurde?

Wrabetz: Dazu gebe ich keinen Kommentar ab. Die Verlegung hatte jedenfalls auch sachliche Gründe.

STANDARD: Im ORF Tirol wiederum gibt es offenbar eine interne Untersuchung, die auch den Stiftungsrat beschäftigen soll. Worum geht es da?

Wrabetz: Nein. Wir haben ein paar Dinge zu verbessern in Tirol, aber das ist im Laufen, den zuständigen Stiftungsrat habe ich darüber informiert.

STANDARD: Verbesserung wovon?

Wrabetz: Genehmigungsprozederes.

STANDARD: Gab es da womöglich einen Wildwuchs bei der Budgetverwendung?

Wrabetz: Nein. Man kann manches besser machen. Es ging um die Frage der Einhaltung von Genehmigungsprozederes. Nicht um nicht sachgerechte Verwendung, sondern nur um Abläufe.

"Wir werden unser Möglichstes geben."

STANDARD: Ist der neue ÖSV-Präsident gut oder schlecht für eine Verlängerung der TV-Rechte an den ÖSV-Bewerben für den ORF?

Wrabetz: Wir haben ein Angebot abgegeben, und Rechte werden noch vor der Neubestellung vergeben werden. Wir bemühen uns natürlich darum, den Wintersport nach Möglichkeit komplett zu behalten. Die Entscheidung liegt jetzt beim ÖSV.

STANDARD: Was würde es für den ORF bedeuten, wenn er diese Wintersportrechte nicht mehr hätte?

Wrabetz:. ORF 1 liegt jetzt sehr gut, weil wir eine sehr gute Wintersaison hatten, wegen des TV-Events "Starmania" und weil wir die Hälfte der Formel-1-Rennen sichern konnten. Beim Wintersport wäre das Ziel, möglichst das Ganze zu sichern.

STANDARD: Koste es, was es wolle?

Wrabetz: Wir werden unser Möglichstes geben.

STANDARD: In Ihrer Bewerbung von 2016 haben Sie für ORF 1 noch einen eigenen Informationsfokus angekündigt und eine Art Streamingplattform für ORF 1.

Wrabetz: Das hat das Channel-Management nicht realisiert. Ich habe vor drei Jahren das Channel-Management für ORF 1 und ORF 2 etabliert. Meine Idee einer großen Infoshow als Anker hat das Channel-Management abgelehnt. Und im Sport wollte ORF 1 Tennis nicht – also hat womöglich Dominic Thiem mit seinen Erfolgen dort Servus TV auf den Geschmack großer Sportrechte gebracht. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, nach drei Jahren zu schauen, was funktioniert hat und was nicht und was lernt man daraus für die Zukunft?

"Einen Plan B verfolge ich derzeit nicht."

STANDARD: Was soll in den Geschichtsbüchern über ORF-Generaldirektor Wrabetz stehen?

Wrabetz: Das ist noch zu früh. Aber dass ich einen wesentlichen Beitrag geleistet habe, dass es den ORF auch in der Welt der globalen Plattformen noch als wichtigstes Medium des Landes gibt. Den ORF vom Public-Service-Broadcaster zur Public-Service-Plattform gemacht zu haben wäre schon eine Fußnote der Geschichte wert.

STANDARD: Was machen Sie, wenn Sie doch nicht noch einmal zum ORF-Generaldirektor bestellt werden?

Wrabetz: Darüber denke ich jetzt nicht nach. Ich möchte gerne meine angefangenen Projekte im ORF umsetzen und fertigstellen, einen Plan B verfolge ich derzeit nicht. (Harald Fidler, 22.5.2021)