Bob Dylan feiert am 24. Mai Geburtstag: Egal, wo wir sind, wir müssen hier raus!

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Dass seine Texte im Zweifel immer mehr dem Sound verpflichtet waren als der "Botschaft", wird heute gern vergessen. Deshalb mutet es immer noch ein wenig komisch an, dass Bob Dylan, der am 24. Mai 80 Jahre alt werden wird, 2016 ausgerechnet den Literaturnobelpreis verliehen bekommen hat. Sinnvoller wäre eine prestigeträchtige Auszeichnung dafür gewesen, mit der schon sehr früh abgelebten, krächzenden, verkifften Jahrhundertstimme einer alten Seele mythische Brocken aus der Geschichte Amerikas zusammengeklaubt und mit Wandergitarre oder elektrischer Klampfe in die Mehrzweckhallen dieser Welt geklampft, gespuckt, gemurmelt und gerotzt zu haben. Mit dem Kopf hört man die Worte, aber der Bauch denkt mit. Die Lautstärke muss halt passen.

Corona mag seine niemals enden wollende Welttournee unterbrochen haben. Bezüglich eines Lebens in Hotels und Tourbussen aber kann Bob Dylan keiner etwas vormachen. Vielleicht reist der Mann gern, weil nur rollende Steine kein Moos ansetzen. Möglicherweise ist er nicht gern an einem Ort, den andere ihr Zuhause nennen. Eventuell erscheinen ihm geschlossene Räume als Gefängnis. Es kann auch sein, dass Bob Dylan lieber mit Zimmertelefon als selbst kocht – oder er hasst es, daheim seine Bude aufzuräumen.

Es ist der Song, nicht der Sänger

Abgesehen von seiner großartig verwirrten christlichen Schaffensphase Ende der 1970er-Jahre, während deren er lieber Bibellektüre betrieb als weiterhin all die alten Bluesmusiker, Folksänger und Countrybarden sowie den klassischen Rock ’n’ Roll und das Leben auf der Straße zu studieren, war bei Dylan immer Bewegung angesagt. Die Straße führt grundsätzlich immer nach Westen. Sie führt in den Sonnenuntergang. Dunkel ist der Weltraum, Genossen, sehr, sehr dunkel.

Mit den vermeintlichen Erkenntnissen daraus spann, spannte und spintisierte er einen großen, über die Zeiten währenden Erzählbogen namens Lebenswerk. Die Idee von Amerika in all seinem Glanz, der Pappmaché-Glorie und dem nicht unwesentlichen, wirklich hässlichen Teil dieses Babylandes mit einem unkontrollierbaren Hinterteil wird mit den Mitteln von Shakespeare, Robert Johnson, Hank Williams oder Chuck Berry besungen. Ob aber Bob Dylan selbst zu uns spricht oder eine aus einem Zitat- und Versatzstückstaubsauger gespeiste Autorenstimme, das muss für immer ungeklärt bleiben. Es ist der Song, nicht der Sänger. Und es ist der Sound.

Bob Dylan hat in seinem Leben viel gute, tolle, mitreißende, Gänsehaut machende und zu Tränen rührende Musik gemacht – und es gibt einige doch recht nicht so gute Alben von ihm. Die Konzerte sind durchwachsen. Wenn er allerdings mit gummiweichen Knien auf die Bühne kommt und zum Beispiel den Song Friend of the Devil von Grateful Dead raunzt, der von lebenslanger Unrast erzählt, dann wissen auch wir zumindest eines: Freunde, wir müssen hier raus. Wir müssen weiter. Egal, wo wir gerade sind. (Christian Schachinger, 23.5.2021)