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Wien – Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach in einem Video-Statement auf Facebook am Freitagabend eine deutliche Mahnung aus. "Wenn die Stimmung aufgewühlt ist und Emotionen im Spiel sind, ist es meistens richtig, tief durchzuatmen und Abstand zu gewinnen", setzte der Präsident an, um dann – in aller Ruhe – vor allem ÖVP-Regierungspolitiker an die Bedeutung von Rechtsstaat und Anstand zu erinnern.

Man müsse die Institutionen des Rechtsstaats ernst nehmen, sagte Van der Bellen. "Sie sind sozusagen das Immunsystem unseres Staates, und wir dürfen nicht dulden, dass dieses geschwächt wird." Der Versuch etwa, den Ibiza-Untersuchungsausschuss "lächerlich zu machen, ist entbehrlich". Aber auch die Abgeordneten, die dort Fragen stellen, "müssen ihre Funktion im Umgang mit dem Gegenüber und auch im Tonfall respektvoll wahrnehmen".

Für die Befragten gelte: "Einen Auftrag des Verfassungsgerichtshofes erst zu befolgen, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, ist entbehrlich." Gemeint sind hier offensichtlich Kanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP), die Aktenlieferungen auch nach eindeutigen Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) noch weiter zu verzögern versuchten.

Erinnerung an politischen Anstand

Van der Bellen betonte die Bedeutung der Unschuldsvermutung: "Das ist ein fundamentales Menschenrecht, das auch ausdrücklich in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist. Und auch das haben wir alle ernst zu nehmen." Gleichzeitig gelte "neben den nackten Paragrafen" aber auch der politische Anstand, "eine Kombination aus moralischer Überzeugung und ordentlichen Umgangsformen, der wir freiwillig nachkommen sollten".

Van der Bellen legte allen "Verantwortlichen aufseiten der Regierung und aufseiten der Opposition" nahe, "hier ihr eigenes Gewissen zu erforschen": "Niemand wird Sie verhaften, wenn Sie beim Essen die Füße auf den Tisch legen. Aber tun Sie es lieber nicht. Ich jedenfalls wünsche mir mehr Respekt und Höflichkeit im Umgang miteinander."

Nicht die erste Mahnung

Es war bereits das zweite Mal, dass sich der Bundespräsident öffentlich in die türkis-grüne Koalitionskrise einschaltete: Anfang Mai hatte sich Van der Bellen an die Öffentlichkeit gewandt, als der VfGH ihn zur Exekution einer Aktenlieferung aus dem Finanzministerium aufforderte. (red, 21.5.2021)