Staatsanwalt Gerhard Jarosch kritisiert in seinem Gastkommentar, wie mit Auskunftspersonen in den Untersuchungsausschüssen umgegangen wird. Viel zu oft vermisse er "Anstand und den grundsätzlichen Respekt, den man jedem anderen Menschen entgegenbringen sollte. Auch wenn das ein politischer Gegner ist".

Sie hatte einfach das Pech, am ersten Tag des Untersuchungsausschusses auszusagen. Sie hatte auch das Pech, als Angestellte eines Telekombetreibers die Telefondaten eines Abgeordneten ausheben zu müssen. Auf richterliche Anordnung hin, aufgrund der Strafprozessordnung und nach den internen Regeln ihrer Firma. Sie hatte sich auch an alles gehalten, aber sie saß einer Gruppe von Menschen gegenüber, die sich profilieren, die ihren Punkt beweisen mussten. Und es war eben der erste Tag.

Auch im Ibiza-Untersuchungsausschuss herrscht oft ein sehr rauer Ton. Das sei ja auch kein Kindergeburtstag, lautet dazu eine Wortmeldung. Aber: Muss das wirklich so sein?
Foto: APA / Herbert Neubauer

Die Stimmung entsprach weder der Würde des Parlaments noch dem, was meine Großmutter als gutes Benehmen bezeichnet hätte. Nach ihr kamen noch viele andere dran, viele "Auskunftspersonen". Manche Abgeordnete behandelten diese alle anständig, anderen rutschte mitunter eine kleine Unterstellung in eine Frage, aber bei einigen hätte meine Oma nur noch den Kopf geschüttelt. Sie konnten oder wollten sich einfach nicht benehmen. Die dem ausgeliefert waren, reagierten je nach Dicke ihrer Haut, also teils zutiefst verletzt und entsetzt darüber, wie man im Hohen Haus mit ihnen umgegangen war.

Dieser "Spitzeluntersuchungsausschuss" im Jahr 2009 war mit ein Grund für die Änderung der Verfahrensordnung, wenn auch nicht für die Einsicht aller Parlamentarier, dass man sich im öffentlichen Diskurs anständig benehmen sollte. Er war auch der erste, in dem ich (und einige meiner Kollegen) selbst aussagen durfte. Und der mein Bild von diesen Ausschüssen, wenn nicht sogar vom Parlamentarismus an sich, maßgeblich prägte.

Ja, ich weiß schon, seitdem ist viel Zeit vergangen, die Abgeordneten sind andere, der Ton soll sich auch gebessert haben. Es kommt mir aber leider oft nicht so vor, wenn ich das Radio aufdrehe oder die Zeitung lese. Viel zu oft vermisse ich Anstand und den grundsätzlichen Respekt, den man jedem anderen Menschen entgegenbringen sollte. Auch wenn das ein politischer Gegner ist. Immer noch zu selten geht es sine ira et studio um die Sache und nicht um das "Fertigmachen" eines anderen.

Hart, aber sachlich

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will weder den Ibiza-Untersuchungsausschuss als Ganzes, das Benehmen einzelner seiner Abgeordneter oder die Diskussion um mögliche Falschaussagen bewerten. Mir geht es um Grundsätzliches: Ich wünsche mir Volksvertreter, die sich immer so benehmen, dass auch ihre Omas stolz auf sie wären. Die nie eine Frage mit einer Unterstellung einleiten oder gar eine einzige Unterstellung als Frage tarnen. Die eine kleine Angestellte ebenso höflich behandeln wie den Minister einer anderen Partei. Das hindert niemanden daran, durchaus harte, aber sachliche Fragen zu stellen.

Auch in der Justiz, in der Anwaltschaft, den Staatsanwaltschaften und bei Gericht erleben wir leider auch manchmal, dass jemand sein Fragerecht missbraucht, indem die Fragen "unbestimmt, mehrdeutig oder verfänglich" sind oder nicht "deutlich und klar verständlich" gestellt werden. Auch "Fragen, die eine vom Beschuldigten nicht zugestandene Tatsache als bereits zugestanden behandeln", sind nach unserer Strafprozessordnung nicht zulässig. Sehr viel öfter habe ich aber erlebt, dass ein/e vorsitzende/r Richter/in all das vorbildlich anwenden und trotz eines aufzuklärenden und vielleicht auch entsetzlichen Verbrechens in einer ruhigen Atmosphäre und in entsprechender Zeit zu einem guten Ergebnis kommen kann.

In der jüngsten Diskussion um U-Ausschüsse meinte ein Kommentator, dass diese ja keine Kindergeburtstage seien, dass also hochrangige Politiker auch einiges auszuhalten haben. Ganz abgesehen davon, dass auf Kindergeburtstagen nicht selten geweint wird, wie viel müssen wir und die alle ertragen können?

Der Ton wird rauer und das wechselseitige Herabwürdigen, Ankeifen und Beleidigen im öffentlichen Leben, das uns vom Bildschirm heraus anspringt, kann in der Welt da draußen schreckliche Konsequenzen haben. Verstärkt durch die Allgegenwärtigkeit der ungefilterten sozialen Medien und die scheinbare Narrenfreiheit im Internet führt die verbale immer mehr zu physischer Gewalt. Der Sturm auf das Kapitol in Washington oder der eben bekannt gewordene und von der Polizei verhinderte Aufstand einiger bewaffneter Covidioten in Österreich zeigen das. Wer einseitig und geifernd zum Kampf für die Freiheit aufruft, bewirkt wohl Kampf, aber kaum mehr Freiheit.

Respekt vor der Sache

Sie meinen, dass ich den Bogen jetzt aber sehr weit spanne? Nein, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein gemäßigter Tonfall und ein anständiger Umgang mit den Mitmenschen auch unseren Politikern gut anstehen. Dass deren Respekt vor der Sache unseren Respekt vor ihnen bewirken kann. Diese Sache ist die für unsere Demokratie unverzichtbare parlamentarische Kontrolle, und die kann auch so gelebt werden, dass sich unsere Omas nicht schämen.

Nur die Regeln in der Verfahrensordnung wieder zu ändern oder eine Best-Practice-Broschüre für richtige Fragestellung im Parlament aufzulegen wird nicht viel bringen. Aber eine öffentliche Fernsehübertragung der Untersuchungsausschüsse ist ein richtiger Schritt dafür. Wenn die Großmutter zuschauen kann, werden sich die Enkerln vielleicht zusammennehmen – wenn schon nicht alle, dann sicher mehr als heute. (Gerhard Jarosch, 22.5.2021)