MISTGABEL DES SCHRECKENS nennt sich der Fleischberg, die Spezialität der Leopoldauer Alm, die Kellner "Silly" nun endlich wieder an den Gast bringt.

Foto: Christian Fischer

Christoph Komzak sagt, er habe im Leben schon alles gesehen. Es klingt, als komme er aus dem Krieg, aber er kommt nur aus der Küche. Er bringt seinen Gästen drei riesige Schnitzel, einen der Teller balanciert er auf seinem Unterarm. Komzak steckt in einer Lederhose, ein weiß-blau kariertes Hemd schlackert ihm um die Schultern.

Der hagere Mann ist Oberkellner in der Leopoldauer Alm, dem größten unter den sogenannten XXL-Restaurants in Wien. "Die Körperfülle eines Gastes bedeutet nicht viel", sinniert der 40-Jährige später in einer Pause: "Es gibt Dicke, die nicht viel essen können, und Dünne, die eine Schnitzelplatte wegputzen."

Bei ihren Stammgästen ist die Leopoldauer Alm für zwei Dinge berühmt: die gewaltigen Portionen und das urige Ambiente, das an ein bayrisches Bräuhaus erinnert. An den Wänden hängen Hirschgeweihe, alte Holzskier und bemalte Porzellanteller, aus den Lautsprechern trieft Schlagermusik.

Am Donnerstagabend, dem zweiten Abend seit der Öffnung der Wiener Gastronomie, bleibt es noch relativ ruhig, die Tische der Leopoldauer Alm sind rund zur Hälfte besetzt.

Christoph Komzak ist einer von 36 Mitarbeitern, die nach dem Lockdown noch übrig sind.
Foto: Christian Fischer

Diejenigen, die gekommen sind, finden auf der Speisekarte etwa ein XXL-Schweinsschnitzel "für richtige Stallknechte", ein 900 Gramm schweres Cordon bleu oder den "Big-Mama-Burger" mit zirka 1500 Gramm Rindfleisch, um sich für ihren monatelangen Gastro-Entzug zu entschädigen. Das größte Gericht auf der Speisekarte heißt "Mistgabel des Schreckens" – ein gigantischer Fleischspieß "für vier Personen" mit Schnitzeln, Spareribs, Koteletts und Würsteln.

Beef Tatar

Heinrich Peham, Arbeiter in einer Lkw-Fabrik, ist an diesem Donnerstag auch da und will den harten Tag mit seiner Frau und seiner Tochter bei einem Beef Tatar beschließen. "Beim McDonald’s habe ich nach einer halben Stunde schon wieder Hunger, da würde ich schon zehn Fisch-Mäcs brauchen", erzählt Peham, noch in seiner Arbeitshose, "aber aus der Alm gehe ich raus und bin satt."

Seine Familie sei bis zu den Lockdowns mindestens einmal wöchentlich hier eingekehrt. Schon am Tag zuvor hätten seine Frau und er sich an der "Schnitzelplatte für zwei" versucht. "Unmöglich!", sagt er und grinst. Er zeigt auf seinem Handy Fotos vom Scheitern am Vortag, das er genau dokumentiert hat.

Die Freude am Schnitzel

Es ist diese Lust der Gäste an der zu großen Portion, die den Erfolg der Leopoldauer Alm und anderer XXL-Restaurants ausmacht. Die kindliche Freude am Schnitzel, das über den Teller hängt, oder am Burger, der die Grundfläche einer Autofelge hat.

Den Vorwurf der Lebensmittelverschwendung weisen die Kellner der Leopoldauer Alm zurück: Die Gäste würden die Speisen ja oft zu zweit oder zu dritt bestellen oder das Übriggebliebene im Tuppergeschirr mitnehmen.

Heinrich Peham und Familie freuen sich, endlich wieder auswärts zu essen.
Foto: Christian Fischer

Wenn Kellner Komzak zum Beispiel die "Mistgabel des Schreckens" serviert, zieht er diese am Tisch mithilfe einer Grillzange publikumswirksam aus dem Fleischberg heraus. Kommt er eine halbe Stunde später zum Abräumen, ahnt er schon, dass die Gäste nicht aufgegessen haben. "Das nächste Mal teilts euch ein Kinderschnitzel", sagt er dann, und die Augen über seiner FFP2-Maske werden zu Schlitzen, weil er selbst lachen muss.

Echte Institution

Die Leopoldauer Alm liegt an der Grenze zwischen der Donaustadt und Floridsdorf. Auf dieser Alm rauscht kein Gebirgsbach, sondern nur der Autolärm der Wagramer Straße. In unmittelbarer Nachbarschaft des XXL-Restaurants verspricht das Laufhaus "Paris Ici" mit einem auf die Fassade gepinselten Eiffelturm erotische Abenteuer, sonst prägen Möbelhäuser, Supermärkte und Wohntürme das Bild.

Die Leopoldauer Alm gilt im Grätzel und darüber hinaus allerdings als echte Institution, Restaurantbesitzer Christian Pircher gewann schon mehrere Bezirksblatt-Wahlen zum "beliebtesten Wirt" der Stadt und schneidet auch bei Bewertungsportalen gut ab.

Die Leopoldauer Alm gilt im Grätzel und darüber hinaus allerdings als echte Institution.
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Am Mittwoch, dem Tag der Wiederöffnung, sitzt der XXL-Gastronom im Wintergarten seines Restaurants und hatte schon einmal bessere Laune. Pircher, ein energiegeladener Mann mit kahlem Kopf und tätowierten Armen, hätte gerne viel früher als am 19. Mai wieder aufgesperrt.

Stattdessen habe er beobachten müssen, "wie die Regierung die Feiern und Familienessen ins Private verlagert hat". Seine Einnahmequelle der vergangenen Monate, das Abholen der Speisen, habe ihm das vor Augen geführt: "Wenn sich ein Gast drei ‚Mistgabeln des Schreckens‘ abholt, kannst du dir ausrechnen, wie viele Leute daheim zusammen essen."

Vom Beisl zum Großbetrieb

Die Zahl der Mitarbeiter sank durch die erzwungene Schließung von 50 auf 36. XXL-Gastwirt Pircher sieht seinen Betrieb nur ungern schrumpfen. Seit 1996 hat der gelernte Koch die Leopoldauer Alm vom kleinen Beisl zum Großbetrieb ausgebaut. Mehr als 800 Gäste völlerten an guten Tagen am Wiener Stadtrand.

Vor der Pandemie war Pircher im Radio mit "den größten Schnitzeln der Stadt", sogar der Wettkampfesser Piotr Czerwinski, besser bekannt als "Furious Pete", reiste aus Kanada an, um die "Mistgabel des Schreckens" zu bezwingen. "Drei Viertel hat er geschafft", erzählt Pircher anerkennend.

Wie viele Kilogramm Fleisch er pro Woche brät und paniert, das will der Gastronom lieber nicht sagen. Er wolle keine Diskussionen über Vergeudung, man könne sich schließlich alles einpacken lassen.

Drinnen in der Küche steht Balázs Mellar, der ungarische Koch mit Armen so kräftig, dass er auch mit bloßen Händen Schnitzel klopfen könnte. Der Ungar gibt zumindest eine Kennzahl preis: Tausend Kilogramm Spareribs habe er mit seinem Team in den guten Zeiten in einer Woche zubereitet, sagt er. Dort will er wieder hin.

Michael Nemeth und Freund haben sich dafür extra Urlaub genommen.
Foto: Christian Fischer

Während Mellar in der Küche sein Fleisch grillt, bleibt der Andrang draußen eher medium. Zumindest Michael Nemeth ließ es sich nicht nehmen, schon vor drei Wochen einen Tisch zu reservieren, um am Mittwoch um punkt zwölf Uhr in der Leopoldauer Alm eine Grillplatte zu bestellen. Gemeinsam mit einem Freund ist er extra aus Baden bei Wien angereist. Die zwei Niederösterreicher haben sich dafür sogar einen Urlaubstag genommen.

Urlaub auf der XXL-Alm

"Wir haben vorher schon beim McDonald’s gefrühstückt", erzählt der 53-jährige Nemeth. Nun sitzen die zwei Männer im Gastgarten, blicken aufs gegenüberliegende Kika-Möbelhaus und irgendwie auch in eine bessere Zukunft. Nur warum fiel die Wahl nicht auf einen XXL-Burger oder eine "Mistgabel des Schreckens"? "Dafür müssten schon unsere Frauen mitkommen", sagt Nemeth und lacht, "aber die sind aus Thailand, die sind keine großen Esserinnen."

Almwirt Pircher wünscht sich von der Regierung, dass bald weitere Erleichterungen folgen. Er denkt an ein Ende der Testpflicht für Gäste wie auch schon in anderen EU-Ländern. Oberkellner Komzak hofft ebenfalls, dass die Almhütte bald wieder voll ist. Denn eine Erfahrung habe er in seinem Beruf gemacht: "Gehen ist besser als stehen." (Lukas Kapeller, 24.5.2021)