Die Nordsee! Da ist sie wieder. Weit und tintenblau wie immer, sehnsüchtig erwartet wie nie zuvor. Sanft schlagen die Wellen im schleswig-holsteinischen Dagebüll/Mole an die Kaimauer. Möwen kreischen, Erdbeereis tropft auf Kinderhände – Urlaubsidyll, wie man es kennt und sehr vermisst hat.

Doch schnell kommt die Realität zurück. "Corona-Teststation" prangt groß auf einem Haus in der Hauptstraße zum Hafen.

Endlose Strände, tolle Dünen, viel Himmel, klare Meerluft. Das bietet die Nordseeinsel Amrum unter zwei Bedingungen: Touristen müssen sich eintragen und sich täglich testen lassen.
Foto: Birgit Baumann

Natürlich. Man macht ja keinen normalen Urlaub, sondern Corona-Urlaub. "Sollen wir jetzt noch testen?", fragt Peter aus Hessen seine Reise- und Lebensbegleitung Carola. "Nein", antwortet diese, "wir müssen erst in 24 Stunden wieder. Allerdings dürfen wir dann beim Abendessen nur draußen sitzen und können nicht rein ins Lokal."

Egal, befindet Peter, "völlig egal". Er lacht und sagt, was hier alle denken: "Hauptsache wieder Urlaub. Zur Not lasse ich mir jede Stunde in der Nase bohren." Dann fügt er noch grinsend hinzu: "Danke, Nordfriesland! Danke, Schleswig-Holstein!"

Nordseeluft und Maskenpflicht

Das nördlichste Bundesland, zwischen Ost- und Nordsee, südlich von Dänemark, hat touristische Pionierarbeit in Deutschland geleistet. Während im Rest des Landes Urlaub noch tabu war, durften vier ausgewählte Modellregionen im Norden schon Anfang Mai Übernachtungen für Touristen anbieten. Der Kreis Nordfriesland mit den beliebten Inseln Amrum, Föhr und Sylt und einer Inzidenz von unter 30 war gleich einmal dabei.

Und so rollt nun in Dagebüll/Mole, noch auf dem Festland, ein Auto nach dem anderen auf die Fähre nach Föhr und Amrum. Jederzeit und "in allen Bereichen" des Schiffes sei eine Maske zu tragen, verkündet eine Lautsprecherstimme streng.

In echten Cafés auf echten Stühlen sitzen echte Menschen, essen sehr reale Kuchen und sind einfach für den Moment hochzufrieden.
Foto: Birgit Baumann

An Deck auch? Echt jetzt? Endlich frische Nordseeluft und dann Maske? Verunsicherte Blicke huschen umher. Niemand will etwas falsch machen und womöglich zurückgelassen werden. "In Gottes Namen, dann lassen wir das Ding halt auf", sagt eine Frau, "es sind ja nur zwei Stunden."

Norddeutsche Mentalität

120 Minuten Fahrzeit, so viel beträgt der Abstand zwischen Amrum und "Deutschland", wie sie auf der Insel gelegentlich spotten. Apropos Abstand. Schleswig-Holstein ist deutlich besser durch die Pandemie gekommen als andere Bundesländer. Dünn besiedelt, viel Meer als natürliche Begrenzung – das führen Experten immer wieder als Begründung an.

Auch die Mentalität der Norddeutschen spielt eine Rolle. Man ist hier nicht so überschwänglich wie im Süden. Distanz hielt man schon vor Corona, Zurückhaltung ist eine Tugend. "Moin" lautet der traditionelle Gruß, "Moin, Moin" gilt vielen schon als "Gesabbel".

Blick nach Sylt

Nach dem Anlegen der Fähre verteilen sich die Gäste rasch auf der Insel. Die Eintrittskarte für den Urlaub hat man dem Hotel oder der Pension schon vorab gemailt: einen negativen Corona-Test. Ohne den geht nichts.

Und dann liegt er da, der unendlich weite Strand mit seinen Dünen. Die Strandkörbe stehen auch schon, die Sonne scheint, die Luft ist so klar, dass man bis nach Sylt sieht.

So viel Freiheit fühlt sich nach den Monaten der Beschränkungen surreal an. Vorbei sind die Zeiten von Coffee to go und den ewig gleichen Spazierstrecken daheim. In echten Cafés auf echten Stühlen sitzen echte Menschen, essen sehr reale Kuchen und sind einfach für den Moment hochzufrieden.

Registrierung nötig

"Es ist nicht zu beschreiben, wie gut dieser Tapetenwechsel tut", sagt eine Urlauberin aus Nordrhein-Westfalen. "Wir sind ohnehin privilegiert, weil wir zu Hause einen großen Garten haben, aber man muss einfach mal raus und wieder genießen."

Die Strandkörbe stehen schon bereit.
Foto: Birgit Baumann

"Haben Sie sich registriert?", fragt in dem Moment die Bedienung am Nachbartisch. "Klar", lautet die Antwort, der Fragestellerin wird das Handy entgegengestreckt. Luca heißt ein weiterer wichtiger Bestandteil und Dauerbegleiter des Urlaubs.

Es ist jene App, mit der man vor Betreten von Restaurants und Läden eincheckt. Die Daten sollen nur von den Gesundheitsämtern ausgelesen werden können.

Befürworter feiern Luca als unkomplizierte Hilfe bei der Kontaktverfolgung und Wegbereiterin für Öffnungen. Datenschützer hingegen kritisieren die Erfassung von Bewegungs- und Kontaktdaten in großem Umfang auf einem zentralen Server.

Böhmermann nachts im Zoo

Befeuert wird die Kritik vom Satiriker Jan Böhmermann. Der hatte sich unter falschem Namen von Berlin aus mittels QR-Code nachts im Osnabrücker Zoo eingecheckt, um auf Möglichkeiten der Täuschung hinzuweisen.

Aber im Urlaub gibt es nicht viele Möglichkeiten: Entweder man kauft Verpflegung im Supermarkt, dafür braucht es keine Luca-App. Wer in Lokale will, muss einchecken. Also reiht sich im Luca-Archiv bald ein Lokalbesuch an den anderen, dokumentiert auf die Minute genau. Immerhin: Es wird nicht verzeichnet, was man alles so verzehrt.

Kirche und Friedhof auf Amrum: Das deutsche Bundesland Schleswig-Holstein ist deutlich besser durch die Pandemie gekommen als andere Bundesländer.
Foto: Birgit Baumann

Eintragen ist überhaupt wichtig. Der negative Corona-Test zur Anreise ist ja nur der erste Baustein. Alle 48 Stunden ist ein weiterer Test nötig. Möchte man in Lokalen essen und nicht nur draußen auf deren Terrassen, muss man sich täglich ins Testzentrum begeben.

Testzeiten nach dem Frühstück sind begehrt, danach kann man in Ruhe stundenlang an den Strand. Glück hat, wer in der Pension Auguste wohnt. Betreiberin Kerstin Breuer zieht vormittags Schutzkleidung an und verwandelt sich in eine "zertifizierte Fachkraft".

Hauptsache wieder offen

Nur eine solche darf den Wohnzimmer-Test an den Gästen durchführen. "Es ist ein wahnsinniger bürokratischer Aufwand, unser Drucker läuft den ganzen Tag", sagt sie. Aber: "Wir wollen diesen Service bieten."

Während sie in der Bibliothek testet, räumt ihr Mann Arne Schnoor in großer Eile das Frühstücksbuffet ab und desinfiziert Tische. "Ich könnte sofort zwei Leute mehr anstellen, bloß um all die vielen Vorschriften zu erfüllen und die Dokumentation zu erledigen", meint er. Doch beide sind sich einig: "Hauptsache, wir können wieder öffnen."

Angst vor Ausbleiben der Gäste

10.000 Gästebetten hat Amrum, viermal so viele wie Einwohner. 600 der 900 Betriebe haben sofort geöffnet, als es möglich war. Den anderen war der Versuch zu unsicher. Sie hatten Angst, dass die Gäste ausbleiben. Doch Touristikchef Frank Timpe beschreibt die Buchungslage als "sehr gut". Er hofft, dass dies das ganze Jahr anhält. Positiv getestet wurde nur eine Handvoll Gäste. Sie mussten heim.

"Ich hoffe, andere Regionen lernen von unserem Modellprojekt", sagt Timpe. Mittlerweile darf man unter ähnlichen Auflagen wieder in ganz Schleswig-Holstein Urlaub machen. In vielen anderen Teilen Deutschlands träumt man nur davon. Dort sind Hotels für nach Urlaub Lechzende noch geschlossen. (Birgit Baumann, 23.5.2021)