Wie man zu einer besseren Einschätzung der eigenen Verhandlungsposition im Bewerbungsgespräch kommt, weiß Martina Ernst.

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Laut einer Befragung denken zwar 52 Prozent der Beschäftigten, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, sich nach einer neuen Herausforderung umzusehen, doch fast ebenso viele (48 Prozent) geben den Wunsch nach höherem Gehalt als Grund für das Erwägen eines Jobwechsels an. Das ergibt eine Marketagent-Umfrage im Auftrag der Jobplattform Karriere.at, an der im Februar rund 500 Personen in Österreich zum Thema Arbeiten in Zeiten von Corona teilgenommen haben. Und vielen bleibt Corona-bedingt ohnehin keine andere Wahl, als sich eine neue Tätigkeit zu suchen: Jede und jeder Dritte gibt an, dass die Corona-Krise einen "sehr großen" bzw. "eher großen" Einfluss auf einen Wechsel des Arbeitsplatzes hat.

Also wird es Zeit, sich zu überlegen, wie man sein Gehalt im Bewerbungsprozess verhandelt. Doch wann ist der beste Zeitpunkt, über meinen Gehaltswunsch zu sprechen? Recruiter, Headhunter oder Online-Bewerbungsportale fragen meistens gleich zu Beginn des Bewerbungsprozesses nach den Gehaltsvorstellungen. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, denn wer kennt schon die genauen Rahmenbedingungen des Jobs – geschweige denn, ob man zu dem neuen Unternehmen kulturell passen würde.

Wie hoch sollte meine Gehaltsangabe sein? Die Frage nach dem Gehalt sollte man tunlichst allgemein mit dem Wunsch nach einer marktüblichen Bezahlung beantworten. Wenn die Eingabe im Online-Bewerbungsportal partout eine Zahl erfordert, dann auf keinen Fall den unteren Wert der möglichen Gehaltsbandbreite angeben, denn damit signalisiert man Arbeitgebern eigentlich nur, dass man sich die neue Aufgabe eher nicht zutraut. Warum sollte man sich sonst unter Wert schlagen? Also unbedingt hoch ankern und ruhig einen Wert, der zehn Prozent über dem marktüblichen Median liegt, nennen, wenn man auch bereit ist, sich dementsprechend in der neuen Position einzubringen.

Gehaltsband definieren

Als Erstes sollte man für sich eine Gehaltsbandbreite definieren, die sich am Marktwert der Position orientiert. Dafür gibt es drei Herangehensweisen:

  1. Wo liegt die eigene Schmerzgrenze? Bin ich bereit, für das meist kollektivvertraglich festgelegte Minimumgehalt zu arbeiten? Falls ja, Achtung: Das KV-Gehalt ist kein All-in, das muss gesondert vergütet werden.
  2. Eine weitere Möglichkeit ist der Median des Marktwerts. Vereinfacht gesagt, ein Gehalt, das am häufigsten für eine vergleichbare Position bezahlt wird. Wie schätze ich meine Fähigkeiten in Bezug auf die ausgeschriebene Stelle ein? Warum sollte ich weniger verdienen, als der Markt bereit ist zu zahlen.
  3. Oder ein Wunschgehalt, das zehn bis 20 Prozent über dem Median liegt. Denn wer bereit ist, für das Unternehmen einen deutlichen Mehrwert zu liefern, kann auch ein Gehalt über dem Median verlangen.

Die eigene Position an dem Gehaltsband zu finden ist jedoch nicht so einfach. Seit über 30 Jahren liefern die Verhandlungsempfehlungen der Harvard-Profis Roger Fisher und William Ury mit ihrem Buch "Das Harvard-Konzept: Die unschlagbare Methode für beste Verhandlungsergebnisse" eine wunderbare Anleitung für erfolgreiches Verhandeln. Aber muss jetzt ich jetzt gleich einen ganzen Kurs in Verhandlungstechnik belegen, um mich für meine nächste Verhandlung fit zu machen? Nicht unbedingt: Melanie Feldman hat zusammen mit Anna Schuliger in ihrem Onlinekurs "Get Hired" für junge Jobsuchende eines der Harvard-Verhandlungskonzepte – BATNA – neu interpretiert.

Die Vier-Punkte-Regel

Was bedeutet das genau? BATNA steht für "best alternative to a negotiated agreement" und bedeutet: Gehe nie in eine Verhandlung, ohne vorher die eigene Schmerzgrenze zu kennen und einen Plan B in petto zu haben, sollte die Forderung nicht erfüllt werden und die Verhandlung zu scheitern drohen.

Feldman und Schulinger greifen diese Idee mit ihrem Vier-Punkte-Gehalts-Aktionsplan auf.
Bevor es an die finale Verhandlung des Gehaltswunsches geht, sollten Kandidatinnen und Kandidaten sich folgende Fragen stellen und im Anschluss die eigene Punkteanzahl addieren:

  1. Sind Sie derzeit angestellt? Ja = 1, Nein = 0
  2. Haben Sie noch ein anderes Stellenangebot? Ja = 1, Nein =0
  3. Ist dieser Job Ihre erste Wahl? Ja = 1, Nein =0
  4. Könnten Sie sich eine Auszeit nehmen? Ja = 1, Nein = 0

Wenn die Summe null ergibt, raten Feldman und Schuliger den Job zum gebotenen Gehalt anzunehmen. Bei Summe eins hängt die Verhandlung davon ab, wie lange man in der aktuellen Situation bleiben kann und wie nah das Angebot an dem recherchierten Marktwert liegt. Und ich würde ergänzen: Verhandeln Sie möglichst gleich die nächste Gehaltsstufe nach einer Einarbeitungszeit von sechs bis zwölf Monaten. Bei einer Gesamtzahl von zwei gibt es Raum für Verhandlungen, und diese werden sich am Median des Marktwerts orientieren. Bei einer Gesamt-Punkte-Anzahl von drei bis vier sollte man die eigene starke Verhandlungsmacht nutzen. Außerdem: Wenn man darüber hinaus über spezifische Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt, kann man durchaus das angestrebte Wunschgehalt erreichen. (Martina Ernst, 25.5.2021)