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Foto: reuters / Lisi Niesner

PRO: Noch etwas durchhalten!

von Lisa Nimmervoll

Wir sehnen es alle herbei: das "alte" Leben, das postpandemisch neue Leben, möglichst so wie früher. Ein Leben ohne Masken, ohne permanente Selbst- und Fremderinnerung: Abstand halten! Komm mir nicht zu nah! Ohne den Verlust von Freiheiten, die selbstverständlich schienen. Wir wollen wieder Gesicht zeigen, einander unbeschwert nahe sein, miteinander essen, den Zauber durchfeierter Nächte erleben. Je früher, umso lieber. Je früher, umso besser?

Vorsicht! Zu viel Tempo auf den letzten Metern der Pandemie, die so oft als Marathon beschrieben wurde, kann verhängnisvoll enden. Warum jetzt, da wir ohnehin große Öffnungsschritte machen und vieles zurückerobert haben, was uns das Coronavirus genommen hatte, unnötig schnell gleich noch auf weitere Schutzmaßnahmen wie die Masken verzichten? Sie sind ein vergleichsweise lässlicher Eingriff in unseren Alltag – und ein hocheffektiver Schutz für die Ungeschützten.

Um sie geht es jetzt. Die Sommereuphorie des Vorjahres, mit der auch die Masken gefallen waren, endete verhängnisvoll – im Herbst rollte eine mächtige Infektionswelle heran. Sie lauert auch jetzt wieder. Für die glücklichen Geschützten, die Geimpften oder die (oft Long-Covid-geplagten) Genesenen, ist sie weniger bedrohlich. Für alle anderen umso mehr, wenn jetzt ein paar Gruppen "Nach uns die Sintflut!" rufen, anstatt noch ein bisschen länger gemeinsam durchzuhalten, bis wirklich alle im "Licht am Ende des Tunnels" angekommen sind.(Lisa Nimmervoll, 21.5.2021)

KONTRA: Zu viel Vorsicht ist falsch

von Eric Frey

Nach mehr als einem Jahr Pandemie kann man leicht vergessen, dass der Normalzustand unserer Gesellschaft einer ist, in dem es keine Ausgangsbeschränkungen, Abstandsregeln oder Maskenpflicht gibt. All diese Maßnahmen waren nie dazu gedacht, dass jede Covid-Infektion und jeder Todesfall verhindert werden muss – das wäre gar nicht möglich –, sondern nur der explosionsartige Anstieg und eine Überlastung des Gesundheitssystems.

Die Lockerungen vor einem Jahr haben mit einigen Monaten Verspätung genau dazu geführt. Aber die Lage war damals anders als heute: Es wurde kaum getestet, niemand war geimpft, und die Eigenheiten des Virus waren weniger erforscht. Heute hat fast die Hälfte der Bevölkerung die erste Impfung erhalten, und es werden täglich mehr. Selbst im schlechtesten Fall ist keine Welle wie im letzten Winter zu erwarten.

In die Abwägung der Risiken müssen deshalb neben dem Virus auch andere Aspekte einfließen: wirtschaftliche Nöte, psychische Gesundheit und das Grundrecht der Menschen auf ein normales Leben. Wir betreten eine Phase, in der auch zu viel Vorsicht ein Fehler sein kann: So sind die anhaltenden Einschränkungen in Altersheimen, wo praktisch jeder geimpft ist, reine Schikanen. Die Politik muss stets für eine Notbremsung bereit sein, aber jetzt den Menschen möglichst viel Normalität zu geben, ist nicht Populismus, sondern ganz normal.(Eric Frey, 21.5.2021)