"Topmodels" und ein Wettstreit der Allegorien in Salzburg.

Foto: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Salzburg – Als Schönheit hat man es auch nicht leicht. Kaum hat man das Finale von "World’s Next Topmodel" gecheckt, ist auch schon ein unschönes Griss um einen. Da wäre einmal ein quirliges, gern in Knallrot herumwirbelndes Energiebündel namens Vergnügen. Die lädt einen in ihre stylishe Villa zu einem Festl mit einer geilen Partycrowd ein, und der DJ, der ist ein Gott. Zum Abknutschen.

Aber dann sind da leider auch diese zwei Spaßbremsen. Der erste Typ sagt, er heißt Zeit. Ein Pater Ralph für Arme, ein Dornenvogel, der ständig nur von seiner Allmacht labert, und dass man später schon sehen wird und so. Der Zweite nennt sich Erkenntnis. Macht auch einen auf hochseriös, warnt und mahnt mit dem Priesterheini im Chor. Aber warum soll man sein Leben nicht genießen, wenn man jung und schön ist, verdammt noch mal?

Weil man die Hauptrolle in einer (nicht uncharmanten) katholischen Propagandaschrift zu spielen hat. Die wurde von Benedetto Kardinal Pamphili Anfang des 18. Jahrhunderts in Rom verfasst, und Georg Friedrich Händel, ein Jungspund aus deutschen Landen und damals gerade in der ewigen Stadt zugange, hat sie vertont. Das Oratorium hat die Pfingstfestspiele in Salzburg eröffnet – in einer Stadt, in der antihedonistische Läuterungstexte bekanntlich gerne gehört und im Sommer für Jedermann und Jederfrau volltönend vorgetragen werden.

Wettstreit der Allegorien

Weil das päpstliche Opernverbot von seinerzeit längst das Zeitliche gesegnet, konnte man "Il trionfo del Tempo e del Disinganno" im Haus für Mozart so richtig bühnenwirksam in Szene setzen: Robert Carsen hat das erledigt. Cecilia Bartoli, der Eilige Geist der Pfingstfestspiele, steht nicht nur mit Fortuna im Bunde, die ihr die terminliche Punktlandung des Festivals kurz nach Ende des halbjährigen Kultur-Lockdowns herbeigezaubert hat. Die gebürtige Römerin gibt in diesem Wettstreit der Allegorien auch noch die Partie des Piacere, des Vergnügens.

Zu einem solchen wurde Carsens szenische Umsetzung des Oratoriums. Verlegte Jürgen Flimm das Ringen um die Schönheit 2003 in Zürich noch in eine noble Brasserie (die Bartoli war mit von der Partie), so entführt der Kanadier in digitale TV-Welten. Die eröffnende Sonata wird mit einem Next-Topmodel-Trailer bebildert, es folgen Greenscreen-Landschaften von Fernsehstudios und schicke Villen (Bühne und Kostüme: Gideon Davey). Im zweiten Teil, in dem Zeit und Erkenntnis dem Vergnügen das Ruder aus der Hand reißen, bekommt dann nicht nur die Schönheit, sondern auch das Salzburger Festspielpublikum einen Spiegel vorgehalten. Ob es nach der Aufführung so wie Bellezza auch Buße tun und "treulosem, eitlem Begehren" abschwören wird? Jedenfalls applaudierten die Reichen und Schönen Carsen und seinem Team am Ende der zweieinhalb pausenlosen Stunden lautstark und hingerissen.

Ohr unerquickt

Auch Orchester, Dirigent und Sänger bekamen nur Bravos als Belohnung – dabei gelang die musikalische Umsetzung weniger souverän als die szenische. Gianluca Capuano forcierte mit den Musiciens du Prince-Monaco die Hinwendung zum Langsamen und Leisen und bot Festspiele im Flüsterton und mit Freeze-Tempi: eine riskante Gratwanderung zwischen Intimität und Spannungsabriss. Auch die eckige Hektik und der flachbrüstige, strohige Sound des Originalklangkörpers aus dem tiefen Orchestergraben erquickten das Ohr anfänglich eher weniger.

Dass die Solisten das angestrebte Höchstniveau nicht immer erreichten, dass Premierennervosität hörbar war, mag der pandemiebedingten Bühnenpause geschuldet sein. Da wird im August, wenn die Produktion bei den Sommerfestspielen wiederaufgenommen wird, wohl vieles mit einer größeren Selbstverständlichkeit daherkommen.

Mélissa Petit (Bellezza) fesselte zwar mit einem reinen, klaren Sopran, enteilte dem Orchester aber mehrmals; auch die Paarläufe mit den Holzbläsersolisten wurden nicht immer synchron absolviert. Charles Workman (Tempo) gelang es im ersten Teil nicht, seinen Tenor zu einem homogenen, glänzenden Klangbild zu verhelfen. Souveräner, facettenreicher agierte Lawrence Zazzo (als Disinganno), wenn er auch in den wenigen erregten Phasen zu blecherner Schrillheit neigte. Und die Chefin? Die demonstrierte natürlich in ihrem Lifetime-Hit "Lascia la spina" die Dehnung der Zeit sowie eine topmodeltaugliche Dynamik-Diät. Auch mit Mitte 50 versteht es die Bartoli noch, selbst einen Hauch von Ton mit schimmerndem Glanz zu ummanteln. Zumindest was ihren Mezzo anbelangt, scheint die allmächtige Zeit keinen Meter zu haben. (Stefan Ender, 22.5.2021)