Existenz durch Wegfall von Pflichtinseraten gefährdet: republikseigene "Wiener Zeitung".

Für Ende Mai, Anfang Juni hat die Redaktion der "Wiener Zeitung" ein eigenes Konzept zur Fortführung der republikseigenen Tageszeitung angekündigt, deren Existenz durch den Wegfall von Pflichtinseraten auf Sicht gefährdet ist. Konzepte der Geschäftsführung und des Bundeskanzleramts und Aussagen von Kanzler Sebastian Kurz gingen bisher nicht von einer Fortführung als Tageszeitung aus. Die "Wiener Zeitung" gilt als die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt.

Senat der Wirtschaft

Eine "Unternehmensorganisation" namens Senat der Wirtschaft mit ehemaligen ÖVP-Spitzenpolitikern wie Erhard Busek (Präsident), Benita Ferrero-Waldner und Wilhelm Molterer (Vizepräsidenten), hat eine Empfehlung an Kanzler Sebastian Kurz für die republikseigene "Wiener Zeitung" geschickt: zwei neue Aufsichtsräte sollten das Kontrollorgan der Wiener Zeitung GmbH künftig führen.

  • Update: Erhard Busek distanziert sich von den Vorschlägen und der Vorgangsweise: Der ehemalige ÖVP-Chef und Vizekanzler, hier angeführt als einer der ehemaligen ÖVP-Spitzenpolitiker im Präsidium des "Senats der Wirtschaft", distanziert sich in einem unter anderem an Kanzler Sebastian Kurz gerichteten Schreiben von dem Brief des Senatsvorsitzenden Harrer. Busek betont, er habe von dem Schreiben erst durch den STANDARD-Bericht erfahren. "So sehr ich für die Fortsetzung der Zeitung bin, habe ich mit diesen Vorschlägen selbst nichts zu tun."

Hans Harrer, Senatsvorsitzender, hat Kurz seine Empfehlung für die Tageszeitung im Staatsbesitz, schriftlich übermittelt: Harrer empfiehlt als "Doppelspitze" für den Aufsichtsrat der "Wiener Zeitung" Christian Pöttler (Hälfteeigentümer und Chef des Echo Medienhaus mit dem "Wiener Bezirksblatt") sowie Medienmanager Markus Posset (früher Echo, "Profil"/"Trend", Mediengruppe Österreich).

Dem Kanzler vom "Senat der Wirtschaft" empfohlen als Aufsichtsratsvorsitz für die "Wiener Zeitung": Medienmanager Markus Posset, neuerdings auch Honorarkonsul Albaniens in Österreich.
Foto: Stefan Diesner

Harrer kritisiert in dem Schreiben den Aufsichtsratsvorsitzenden Frank Hensel; mehrere von Hensel auf STANDARD-Anfrage genannte (digitale) Aktivitäten der Wiener Zeitung GmbH gebe es etwa länger als Hensel in dieser Funktion.

Mögliche neue Partner

Der Senatsvorsitzende schreibt über Pöttler, 2007 bis 2017 schon Aufsichtsrat, und Posset: "Beide Medienmanager haben bereits in der Vergangenheit erfolgreich viele Medienunternehmen geführt, strukturiert, saniert und wissen ganz genau, wie man ein bestehendes Medienunternehmen wieder auf Kurs bringt, die Mitarbeiter und die Kunden motiviert. Zusätzlich können sie vielleicht bei der Suche nach einem möglichen neuen Partner beziehungsweise Gesellschafter behilflich sein."

Sie müssten dafür nicht lange suchen: DER STANDARD berichtete bereits Mitte April vom Interesse Possets (zusammen mit Paul Swarovski als Investor) an der "Wiener Zeitung"; Pöttler wollte einen Kauf prüfen – so die "Wiener Zeitung" zum Verkauf stehe.

Harrer: "Ich bin mir sicher, wenn du, lieber Sebastian, einen wirklichen Turnaround und somit auch den weiteren Erhalt der ,Wiener Zeitung', der Marke, der Arbeitsplätze und möglichen zukünftigen Projekte etablieren möchtest, dass diese beiden Herren nicht nur objektiv sind, sondern vielmehr fachlich effektiv(er), kreativer und erfolgreicher als der bestehende Aufsichtsrat."

Die Redaktion der "Wiener Zeitung" sieht in den Plänen des Bundeskanzleramtes eine Fortführung als eine Art Regierungsagentur, die Blaupause dafür sehen sie im "Europa-Magazin", eine Art Corporate-Publishing-Zeitschrift für das Kanzleramt.

Die Redaktion unter dem bürgerlichen Chefredakteur Walter Hämmerle versucht die Fortführung der Tageszeitung mit qualitätsjournalistischem Anspruch. Die Verträge von Hämmerle und Geschäftsführer Martin Fleischhacker stünden in diesem Sommer zur Verlängerung an.

Der Presseclub Concordia schlug zuletzt eine Treuhandlösung für die Fortführung der "Wiener Zeitung" vor. (fid, 24.5.2021)