Auf Draht: Regina Fritsch, Marcel Heuperman, Tim Werths (v. li.).

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In seiner Komödie The Importance of Being Earnest alias Bunbury verpflichtet Oscar Wilde anno 1895 zwei Müßiggänger auf ein schicksalhaftes Prinzip: Sie müssen, schon weil sie sexuell ausschweifend leben, doppelt Buch führen. Wenn sich Jack und Algernon zu vergnügen wünschen, schützen sie Freundespflichten vor. Der eine bleibt unabkömmlich, weil er einen gewissen "Bunbury" gesund pflegt. Der andere bewahrt "Ernst", seinen fiktiven Bruder, vor den Anfechtungen der Großstadt.

Beiden gemeinsam hingegen ist ein Faible für vergnügliche Bonmots, in denen sie die Gesetze der gesellschaftlichen Schwerkraft vorsätzlich auf den Kopf stellen. Wilde versteckte die Hinweise auf die homosexuelle Kultur sorgfältig an der Oberfläche.

Im Wiener Akademietheater wird man recht unsanft mit der Nase auf das Naheliegende gestoßen. Ein Butler im Frack (Marcel Heuperman) klimpert nicht nur auf einem Pianino herum. Der leutselige Riese grinst in Antonio Latellas furchtbar aufgekratzter Bunbury-Inszenierung auch einverständnisheischend ins Publikum. Oder er liest Anweisungen aus dem Regie-Buch vor: "Gay moment – erster Akt". Ein Service für alle, die Wilde für eine harmlose Salonschlange gehalten hatten.

Jack (Florian Teichtmeister) und Algy (Tim Werths) sind einander nicht nur in verpönter Liebe verfallen. Zweiterer besitzt darüber hinaus ein Bedürfnis nach Gurkensandwiches, der andere nach Butterbroten. Vor der leeren Brandmauer entstehen Andeutungen eines Handgemenges. Handschuhe legt Jack alias "Ernst" ab, indem er nacheinander fünf kunterbunte Exemplare von den Fingern abstreift.

Eine Scheibe abschneiden

Natürlich muss man Wilde für seine Kulinarik ins Herz schließen. Die angeblich gute Gesellschaft rächte sich an ihm, der ein sexuelles Doppelleben führte, bekanntlich mit sozialer Ächtung. Hatte er ihr doch vorgeführt, dass er den besseren Geschmack besaß. Latella hingegen hat Bunbury jetzt in eine Theater-Mortadella verwandelt. Das bedeutet: Von Wildes Witz können sich acht wundervolle Schauspielerinnen und Schauspieler jeweils eine Scheibe abschneiden. Diese dürfen sie hernach so lange drehen und wenden, bis alle schmutzige Finger haben und sonst mit leeren Händen dastehen.

Lady Bracknell (Regina Fritsch) taucht in Algernons Junggesellenbude als Trauerfasan auf (Kostüme: Graziella Pepe). Mit Auf- und Abtritten geben sich die Verursacher des Massakers nicht zufrieden. Jeder Satz, jede Wendung wird nicht etwa verdoppelt, sondern versieben- bis verzehnfacht. Die Faulenzer dehnen und strecken ihre Gliedmaßen am Holm einer Pferdehürde. Wildes Dialoge geben unter dem Druck der Körper irgendwann klein bei.

Gwendolen Fairfax (Mavie Hörbiger) hat dann ihre Ansichten über Männernamen in exzentrische Bodenübungen verwandelt. Umgekehrt wird auf dem Land, auf Jacks Gut, unter lauter Mündeln, Gouvernanten und Pastoren, eine Art Cabaret unterhalten. Miss Prism (Mehmet Ateşçi) tanzt ihr Begehren. Gwendolen und Cecily (Andrea Wenzl), die im Grunde erotische Konkurrentinnen wären, tauschen miteinander schüchtern Küsse. Alle haben sich furchtbar lieb in dieser Inszenierung. Und doch scheint eine unhörbare Stimme lauthals zu rufen: Habt uns alle gern! Kein Wilde, kein Witz. Nur lauter furchtbar ungeschlachte Komödiendilettanten. (Ronald Pohl, 25.5.2021)