Roberta P. hatte ihrer Schwester eben noch eine Nachricht geschickt: "Wir fahren jetzt mit der Seilbahn hinauf, es ist ein Paradies hier", schrieb die 40-jährige Ärztin aus Süditalien auf Whatsapp. Wenige Minuten später waren sie und ihr Mann Angelo tot: abgestürzt mit der Seilbahn, die vom mondänen Ferienort Stresa am Lago Maggiore auf den rund 1400 Meter hohen Monte Mottarone führt.

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Schwierige Bergungsarbeiten im steilen Gelände, unweit der Bergstation der Seilbahn, die seit 1970 hunderttausende Touristen auf den Monte Mottarone transportiert hat.
Foto: AP / Vigili del Fuoco (Feuerwehr)

Italien und insbesondere das Piemont, wo Stresa liegt, standen nach dem Unfall unter Schock. Regionalpräsident Alberto Cirio, der am Pfingstsonntag umgehend zum Unglücksort gefahren war, zeigte sich erschüttert: "Dieses Wochenende sollte der Tag des Neubeginns und des Lächelns werden. Stattdessen habe ich zerstörte Leben und zerstörte Hoffnungen gesehen."

Tatsächlich ereignete sich die Tragödie am ersten Wochenende nach den Corona-Lockerungen – das Wetter war strahlend schön, die Luft klar. Der Mottarone gilt als einer der schönsten Aussichtsberge Italiens: Von seinem Gipfel aus sieht man neun Seen, den Monte Rosa, die Po-Ebene. Auf den zahlreichen Wanderwegen tummelten sich unzählige Touristen, die Cafés an den Uferpromenaden der Städtchen entlang des Lago Maggiore waren voll – überall genossen die Menschen am Pfingstwochenende die Rückkehr in eine Art von Normalität.

Doch dann kam die Nachricht von dem Unfall. In der abgestürzten Gondel, die für den Transport von maximal 40 Personen zugelassen war, befanden sich beim Absturz wegen der Covid-Schutzregeln nur 15 Personen aus vier italienischen und einer israelischen Familie.

Nur Fünfjähriger überlebte

Unter den Toten befinden sich auch die Urgroßeltern der Israelis, die den Bomben- und Raketenhagel in der Heimat hinter sich lassen wollten, um mit ihrer Familie ein paar unbeschwerte Tage in Italien zu verbringen. Ihr fünfjähriger Urenkel ist der einzige Überlebende des Unglücks; er liegt nun als schwerverletztes Waisenkind in einer Turiner Kinderklinik.

Der Vorgang des Unfalls ist laut Staatsanwältin Olimpia Bossi inzwischen weitgehend klar: Die Kabine befand sich kurz vor 13 Uhr wenige Meter vor der Bergstation, als offenbar das Zugseil riss. Weil aber die Bremsen nicht funktionierten, die automatisch in das Tragseil greifen und die Kabine blockieren sollten, raste die Gondel mit rasch steigender Geschwindigkeit talwärts, sprang beim Passieren eines Pfeilers, der wie eine Schanze wirkte, aus dem Tragseil und stürzte rund 20 Meter in die Tiefe.

Nach dem Aufprall überschlug sich die Kabine mehrmals und wurde erst einige Hundert Meter unterhalb der Aufprallstelle von Bäumen aufgefangen. Mehrere Opfer wurden aus der Gondel geschleudert.

Weitgehend ungeklärt ist hingegen die Frage, wie es zur fatalen und äußerst unwahrscheinlichen Kombination der beiden Unfallursachen – Riss des Zugseils und gleichzeitiger Ausfall der Bremse – hatte kommen können. Die Seilbahn war zwar alt – sie wurde 1970 anstelle einer zuvor bestehenden Zahnradbahn in Betrieb genommen –, aber sie wurde regelmäßig generalüberholt, zuletzt zwischen 2014 und 2016.

Kontrolle im Herbst 2020

Die letzte Kontrolle des Trag- und des Zugseils erfolgte im vergangenen Herbst; laut der mit der Überprüfung beauftragten Firma wurden damals keine Schäden festgestellt. Wegen der Pandemie war die Seilbahn im Winter und Frühling mehrere Monate stillgestanden; sie hatte ihren Betrieb erst am 26. April wiederaufgenommen.

Die Vermutung steht im Raum, dass letztlich eine veraltete und nicht mehr den modernen KonstruktionsStandards entsprechende Anlage für den Tod der 14 Passagiere verantwortlich ist. Eine ähnliche Tragödie ereignete sich in Italien am 14. August 2018, als beim Einsturz des 50 Jahre alten Morandi-Viadukts in Genua 43 Menschen starben. Er wolle den Ermittlungen zur Unfallursache nicht vorgreifen, erklärte der Mailänder Professor für Technikkonstruktion Gianpaolo Rosati am Sonntag in der Zeitung La Stampa – allerdings: "Wir haben in Italien generell sehr viele alte technische Anlagen, und diese weisen naturgemäß andere Eigenschaften auf als neue. Nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch konzeptionell und bezüglich ihrer Konstruktion. Das kann zum Problem werden." Rosati war auch Mitglied der Expertenkommission bei der Untersuchung des Brückeneinsturzes in Genua.

Wie das Morandi-Viadukt wird nun auch die Seilbahn auf den Monte Mottarone zum Fall für die Justiz: Staatsanwältin Bossi kündigte an, ein Ermittlungsverfahren wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung oder wegen fahrlässiger Verursachung eines Desasters einzuleiten. Italiens Infrastrukturminister Enrico Giovannini kündigte die Einsetzung einer ministeriellen Untersuchungskommission an. (Dominik Straub, 24.5.2021)