Nicht oft sind Gründungsstücke einer altehrwürdigen wissenschaftlichen Sammlung umfangreich in Bezug auf ihre Geschichte dokumentiert – in den frühen Wunderkammern der europäischen Herrscherhöfe waren andere Kriterien relevant als die wissenschaftliche Akkuratesse. Ebenso selten sind frühe Meteoritenfälle in allen Details beschrieben, schließlich galt es als Mumpitz, dass Steine vom Himmel auf die Erde fallen würden. Erst im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass die merkwürdigen Gesteins- und Eisenmassen außerirdischen Ursprungs sind.

Umso bedeutender ist ein besonderes Objekt, das am Mittwoch, dem 26. Mai, ein Jubiläum feiert: Der Eisenmeteorit Hraschina ist das Gründungsstück der Meteoritensammlung des Naturhistorischen Museums in Wien, und zum Zeitpunkt seines Falls vor 270 Jahren – sozusagen die Grundsteinlegung der Kollektion – wurde die Theorie der nichtterrestrischen Herkunft der Himmelssteine noch als Aberglaube abgetan. Zum Jahrestag zeigt das NHM nun eine temporäre Installation mit Originaldokumenten.

Hraschina ist der Grundstein der Wiener Meteoritensammlung und der Meteoritenforschung.
Foto: NHM Wien / Alice Schumacher

Kanonendonner

Am 26. Mai 1751 um etwa 18 Uhr erschreckte ein außergewöhnliches Ereignis die Bewohner des nördlichen Kroatien. Unter lautem Krachen wie von Kanonen raste eine Feuerkugel aus östlicher Richtung beim Dorf Hrašćina rund 45 Kilometer nordöstlich von Zagreb zu Boden. Der Meteor war weit über hundert Kilometer zu sehen – so berichteten auch Augenzeugen aus der 110 Kilometer weiter östlich liegenden ungarischen Stadt Szigetvár von der Himmelserscheinung. Die Explosionen waren in einem Gebiet von mehr als 2.000 Quadratkilometern zu hören.

Der Vorfall sorgte für so großes Aufsehen, dass der Kaiser in Wien einen detaillierten Bericht anforderte. Franz I. Stephan von Lothringen hatte ein Faible für die Naturwissenschaften und war ein leidenschaftlicher Sammler von Naturalien, und er bediente sich der führenden Forscher seiner Zeit. In seinem Auftrag führte daher die katholische Kirche Agrams, des heutigen Zagrebs, eine Untersuchung des Ereignisses durch und nahm Aussagen von mehreren Augenzeugen auf.

Die temporäre Installation im Meteoritensaal. Im Vordergrund stehen die größten Objekte der Sammlung.
Foto: NHM Wien / Alice Schumacher

Der Generalvikar Wolfgang Kukulyevich berichtete in seinem mit 6. Juli datierten Protokoll an den Agramer Bischof Franz Xaver Klobusiczky von dem Ereignis. Georgius Marsich, der Pfarrer von Hraschina, bezeugt in der Dokumentation, "dass Er den 26ten May, jezt Lauffend 1751ten Jahrs ohngefehr umb 6 uhr nachmittag gegen aufgang der Sonnen, am Himmel eine gewisse foürige Kugel ersehen, welche Kugel, nachdeme sie sich in Zwey Theyll mit sehr grossen Knallen und Krachen, so das schüessen eines Feld-Stuckhs weit übertroffen, Zertheillet, auch in Zwei Theillen in etwas Voneinanderfallen Vermercket habe, mit solchen getümell, und Braussen, in form einer feürig-Zusamben gewickelten Ketten vom Himmel fallend; alss wann die gröste Mänge deren Wägen durch die Lufft gewälzet wurde".

Einschlag im Acker

Die Trümmer schlugen im frisch gepflügten Acker eines gewissen Michl Koturnass ein und wurden von Bediensteten des Pfarrer geborgen. Der Knecht des Pfarrers, Michl Kollar, berichtet, das Stück sei "drey ellenbogen Tielf in die Erden hinein getrungen" und habe den Boden "einen ellenbogen weith Zerspaltet". Franz Stephan ließ sich die größere Masse mit rund 39,8 Kilogramm nach Wien liefern und in seiner kaiserlichen Schatzkammer unterbringen. Das kleinere Bruchstück von etwa neun Kilogramm wurde nach dem Fall noch vor Ort zerteilt und teilweise zu Nägeln verarbeitet, heißt es. Seine Spur verliert sich in Pressburg, sein Schicksal lässt Rückschlüsse zu, was in früheren Zeiten wohl immer wieder mit Eisenmeteoriten passiert ist, die nicht das Interesse von Sammlern und Forschern erregt haben.

Die Dokumentation des Falls im Jahr 1751 enthielt auch eine Zeichnung des Ereignisses ...
NHM Wien
... nebst einer Darstellung der Rauchspuren am Himmel.
NHM Wien

Der Hraschina-Meteorit wechselte 1778 ins kaiserliche Naturalienkabinett. In der Folge wurde die Sammlung mit weiteren Meteoriten ergänzt, und mit der Eröffnung des Naturhistorischen Museums am noch heute bestehenden Standort im Jahr 1889 war die Kollektion außerirdischen Gesteins die größte der Welt. Noch heute handelt es sich um die umfangreichste Schausammlung: Im Meteoritensaal sind weit über tausend Meteorite zu sehen, die von rund 650 unterschiedlichen Fällen und Funden stammen.

Wissenschaftshistorische Bedeutung

Unter den Millionen Sammlungsstücken aus den verschiedenen Abteilungen des NHM gehört Hraschina zu den Top Ten. Das ist nicht verwunderlich, schließlich wurden bisher nur gut vier Dutzend Eisenmeteorite bei ihrem Fall beobachtet – Hraschina war der erste, der ausführlich dokumentiert wurde. Dies macht ihn für die Wissenschaft besonders wertvoll. Nicht zuletzt der ausführliche Bericht zum Fall des Hraschina-Meteoriten diente dem Naturforscher Ernst Florens Friedrich Chladni 1794 als Basis für seine Theorie, dass Meteorite aus dem Weltraum stammen. Chladni gilt damit als Begründer der modernen Meteoritenforschung.

Kristalle

Alois Beckh von Widmanstätten wiederum schnitt 1808 für Experimente Proben von der Masse Hraschinas. Dünne Plättchen polierte er und erhitzte sie über einer Flamme. Das Meteoriteneisen verfärbte sich bunt, und zur Überraschung des Forschers wurden die Strukturen der Nickel-Eisen-Kristalle sichtbar. Auch beim Ätzen der Flächen mit Säure zeigten sich diese charakteristischen Formen, die nur bei bestimmten Meteoritenklassen zu beobachten und heute unter der Bezeichnung "Widmannstätten-Figuren" bekannt sind. Die Originalobjekte der Versuche Widmanstättens sind ebenfalls im NHM ausgestellt.

Alois Beckh von Widmannstätten experimentiere mit Stücken des Hraschina-Meteoriten und stieß auf merkwürdige Kristallstrukturen. Dieses Exemplar erhitzte er ...
Foto: NHM Wien / Ludovic Ferrière
... während diese Scheibe mit Säure geätzt wurde.
Foto: NHM Wien / Ludovic Ferrière

Die Figuren entstehen durch die unterschiedlichen Eigenschaften der Nickel-Eisen-Minerale Taenit und Kamacit bei der langsamen Abkühlung im Inneren eines planetaren Körpers. Wegen der oktaederförmigen Struktur werden diese Meteoriten Oktaedriten genannt. Hraschina enthält 89 Prozent Eisen und 10,5 Prozent Nickel, der verbleibende Rest besteht hauptsächlich aus Gallium, Germanium und Iridium.

Verletzte Schönheit

Hraschina zeigt an mehreren Stellen die Spuren roher Gewalt – ihm wurden mit Hammer und Meißel Stücke abgeschlagen, schließlich war die Diamantsäge noch nicht erfunden. Auch wenn ihm in der Vergangenheit übel mitgespielt wurde, zählt er zu den besonders schönen Exemplaren. Seine Oberfläche ist überzogen von Vertiefungen, den sogenannten Regmaglypten. Diese entstehen durch das Aufschmelzen beim Eindringen in die Erdatmosphäre.

Hraschina weist zwei unterschiedliche Seiten auf: Die eine ist gewölbt und zeigt tiefe Schmelzspuren, während die andere mehr oder weniger flach ist. Dies zeigt, dass der Brocken auf seinem Weg durch die Atmosphäre nicht rotiert ist, sondern in einer stabilen Position zu Boden raste. In diesen seltenen Fällen spricht man von orientierten Meteoriten.

Auf dem kleinen Sammlungsetikett in der Bildmitte steht "Agram". Unter diesem Namen war der Meteorit bis vor rund hundert Jahren in der Wissenschaft geläufig.
Foto: NHM Wien / Alice Schumacher

Rarität

Nur wenige andere Sammlungen verfügen über Material des Hraschina-Meteoriten. Vor einiger Zeit tauchte in einer alten privaten Sammlung ein Exemplar mit 44 Gramm auf – es handelt sich um das größte Stück Hraschinas, das nicht dem NHM gehört. Das nächstgrößte Stück ist nicht einmal halb so schwer und liegt in der Berliner Sammlung. Die meisten internationalen Sammlungen verfügen – wenn überhaupt – nur über Stücke im Zehntelgrammbereich.

Schwierige Neuerwerbungen

Heutzutage ist der Erwerb neuer Meteorite für die Sammlung des NHM nicht mehr so einfach wie früher: Auf Geheiß des Kaisers kommen schon lange keine neuen Sammlungsobjekte in das Haus am Ring, und für den Kauf am überhitzten Sammlermarkt fehlt dem Bundesmuseum das Budget. Neuerwerbungen waren in den vergangenen Jahren nur aufgrund von für derartige Anschaffungen zweckgebundene Erbschaften möglich, oder aber durch Spenden von privaten Sammlern oder ausländischen Botschaften und Institutionen. Ludovic Ferriére, der Kurator der Meteoritensammlung des NHM, schafft es allen Widrigkeiten zum Trotz dennoch laufend, die Kollektion mit Exemplaren von aktuellen Fällen oder wissenschaftlich bedeutenden Funden zu komplettieren und folgt damit dem gesetzlich festgeschriebenen Auftrag, die Sammlungen zu wahren und zu mehren. Es sei wichtig, solch wertvolle Objekte für die Wissenschaft und für zukünftige Generationen zu bewahren, erklärt der Impaktforscher.

Florian Raditsch vor der neuen Installation mit seinem Werk im Meteoritensaal.
Foto: NHM Wien / Alice Schumacher

Installation zum Jahrestag

Den Jahrestag Hraschinas würdigt Ferrière mit einer Installation im Meteoritensaal: Zwei Originalzeichnungen des Falls werden bis 5. Juli ebenso präsentiert wie ein überdimensionales Kohleporträt des Meteoriten des Künstlers Florian Raditsch. Die Illustrationen wurden 1751 aufgrund der Schilderungen von Augenzeugen aus Szigetvár angefertigt und zeigen den Meteor am Himmel und die Rauchspuren nach dem Fall. Raditsch beschreibt Hraschina als ein "Objekt von außergewöhnlicher Schönheit" mit einer "äußerst poetischen Form". Darüber hinaus ist Hraschina auf der Webseite Sketchfab seit kurzem auch als 3D-Modell zu bestaunen.

Florian Raditsch bei der Arbeit an seinem Hraschina-Bild.
Foto: Florian Raditsch
Das fertige Werk ist nun im Meteoritensaal zu sehen.
Foto: Florian Raditsch

Gesamtkunstwerk

Im NHM lohnt sich jedoch nicht nur ein Blick auf die Ausstellungsstücke in den Vitrinen: Das Gebäude ist ein Gesamtkunstwerk. Insbesondere im an den Meteoritensaal angrenzenden Mineralogiesaal sollten die Augen auch nach oben gerichtet werden. Hier stützen zwischen großflächigen Gemälden mehrere Karyatiden und Atlanten die Decke.

Die vom Bildhauer Rudolf Weyr geschaffenen Skulpturen sind mit alchemistischen Symbolen ausgestattet und repräsentieren verschiedene Metalle. Neben der Karyatide, die als Allegorie für Silber ein fein gearbeitetes Tafelgefäß trägt, erhebt sich eine männliche Figur mit Sternenkrone aus den Wolken: offenbar eine Helios-Darstellung. In den Händen hält er eine Kopie des Hraschina-Meteoriten – so, als würde er ihn jeden Moment auf die Besucher herabwerfen. (Michael Vosatka, 26.5.2021)

Hraschina wurde auch in der Gestaltung des Museums verewigt.
Foto: NHM Wien / Alice Schumacher