Konzerthaus-Chef Matthias Naske setzt auf Programmvielfalt.

Corn

Die kommende Saison ist geplant, das Angebot steht: Das Wiener Konzerthaus bietet rund 570 Veranstaltungen, 450 davon in 60 Abonnementzyklen. Wie viel Unsicherheit noch da ist, bezüglich der kommenden Saison? "Zu Beginn der Pandemie war die zeitliche Dimension dieses Geschehens für uns nicht abschätzbar und ich gestehe, dass wir viel lernen mussten. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit den Erfahrungen der laufenden Saison besser gewappnet für Unwägbarkeiten der Zukunft sind", sagt Konzerthaus-Chef Mathias Naske.

Folglich ist er bezüglich der Reisebeschränkungen (auch für Künstler) eher "gelassen. Wenn es notwendig ist, werden wir improvisieren. Mit etwas gutem Willen und der Bereitschaft zur Flexibilität lassen sich auch Herausforderungen rund um Reisebeschränkungen bewältigen." Am Mittwoch spielt in diesen Sinne übriges im Konzerthaus US-Jazzpianist Brad Mehldau im Trio, der nächstes Jahr wiederkommt – allerdings mit dem Prague Radio Symphony Orchestra.

STANDARD: Dem Programm der nächsten Saison merkt man gar nicht an, dass die Konzerthäuser eine einzigartige Situation durchmachen oder erst langsam abstreifen. Aber es war wohl sehr viel schon vor der Krisen so geplant?

Naske: Die künstlerische Planung ist ein dynamischer Prozess, der gewissen zeitlichen Vorgaben folgen muss, aber im Grunde kontinuierlich passiert. Neben anderen Themen haben wir durch die Krise gelernt, dass Flexibilität ein hohes Gut ist und sich die Qualität von Partnerschaften, aber auch von Beziehungen mit Musikerinnen und Musikern, Agenturen oder anderen Veranstaltern, durchaus auch an Parametern, wie rasch man sich mit veränderten Konstellationen zurechtfindet, messen lassen kann.

STANDARD: Wie viel der letzten Saison ist durch Verschiebungen in die kommende eingeflossen? Muss logistisch anspruchsvoll gewesen sein…

Naske: Durch die Verlängerung der laufenden Saison um einen Monat, also bis Ende Juli 2021 und unzählige Neu- und Umplanungen von Terminen wurden nur 22 Veranstaltungen in die Saison 2021/22 verschoben. Darunter Konzerte mit Meute, Dianne Reeves, Herbert Pixner, Roland Neuwirth und ein Rezital von Lang Lang.

STANDARD: Wie kam es zur Auswahl der Portraitkünstler?

Naske: Die Porträtkünstlerinnen und -künstler sind Ausdruck der persönlichen Verbundenheit und spiegeln die Vielfalt der im Haus präsentierten musikalischen Genres wider. Die Auswahl ist mit Cellist Gautier Capuçon, dem Hagen Quartett, Vokalistin Mira Lu Kovacs und Dirigent und Cellist Klaus Mäkelä durchaus subjektiv, aber sie muss sich im Mix des Programms bewähren.

STANDARD: Wird die Pandemie das Kulturverhalten ändern? Vom Konzerthaus her betrachtet, sieht man, außer da und dort frühere Beginnzeiten, keine markanten Veränderungen. Die Normalität kehrt also zurück?

Naske: Die lange Unterbrechung dessen, was wir als "normal" gelebt haben, hat natürlich etwas mit uns gemacht. Wir haben gelernt, dass wir achtsam miteinander umgehen müssen und dass manches, was wir als selbstverständlich voraussetzen, so selbstverständlich nicht ist. Vielleicht bin ich Optimist, aber ich glaube sehr wohl, dass wir das, was schützenswert ist und – das ist auch die Musik und die Kunst – als solches erkannt haben, in der Fragilität, die uns die Krise gelehrt hat.

STANDARD: Wird das Streaming bleiben?

Naske: Ich denke schon. Wobei auch hier der emotionale Wert einer direkten Begegnung in einer Live-Performance mit all dem, was die Begegnung ausmacht, für alle Beteiligten noch bewusster, noch wertvoller geworden ist. Wir dürfen uns nach Begegnung sehnen, nach Resonanz, nach Austausch.

STANDARD: Die 50-Prozent-Marke bei der Auslastung wird wohl ab Beginn der neuen Saison nicht mehr sein müssen, aber was dann?

Naske: Solange es vernünftig ist, dass wir aus Gründen der Sicherheit etwas mehr Abstand zu einander halten, werden wir das tun. Sobald wir alle geimpft sind, wird das nicht mehr notwendig sein.

STANDARD: Wie geht man mit der Testpflicht um?

Naske: Die Sicherheit aller Personen im Wiener Konzerthaus ist ein wertvolles Gut und wir gehen verantwortlich damit um. Dazu gehört, dass wir sowohl alle Personen auf den Bühnen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Besucherinnen und Besucher dazu bewegen, die Schutzbestimmungen ernst zu nehmen und anzuwenden. Der Preis, den wir bezahlen würden, wenn uns die Epidemie wieder in hohem Maß zu schaffen machen würde, wäre höher als der, die Empfehlungen zur allgemeinen Sicherheit einzuhalten.

STANDARD: Wen soll man im Konzerthaus entdecken, der noch nicht so bekannt ist?

Naske: Einer unserer Porträtkünstler, der junge finnische Dirigent Klaus Mäkelä, ist ein gutes Beispiel. Obwohl er erst 25 Jahre alt ist, ist er Chefdirigent des traditionsreichen Oslo Philharmonic und wird in einem drei Abende umfassenden Gastspiel alle Symphonien seines Landsmanns Jean Sibelius zur Aufführung bringen. Davor debütiert er als Gastdirigent bei den Wiener Symphonikern, übrigens mit der Cellistin Sol Gabetta, und wird zu Saisonbeginn als Kammermusikpartner von Julian Rachlin, Boris Brovtsyn und anderen im Mozart-Saal selbst als Cellist zu erleben sein. Tatsächlich gibt es aber jeden Abend etwas Neues im Konzerthaus zu entdecken. Statistisch sind das 232 Rollendebuts ganz verschiedener Künstlerinnen und Künstler, darunter große Namen, wie dem französisch-libanesischen Trompeter Ibrahim Maalouf, der zum ersten Mal im Wiener Konzerthaus auftritt, der jungen französischen Singer-Songwriterin Pomme, der russischen Pianistin Yulianna Avdeeva, oder dem italienischen Pianisten Stefano Bollani.

STANDARD: Der Zyklus Cuvée ist sehr breit angelegt, Startenor und Big Band in einem – da muss der Hörer schon ein sehr breites Interesse mitbringen. Andererseits spiegelt so eine Kombination fast den Grundcharakter, die angestrebte Vielfalt des Konzerthauses an sich wieder.

Naske: Was haben Wynton Marsalis, Juan Diego Flórez, Valery Gergiev und die Fadista Carminho gemeinsam? Musikalische Exzellenz verbindet sie und diese zu erleben, ist ein ebenso sinnliches wie intellektuelles Vergnügen, das sich durchaus mit einem exzellenten Glas Wein kombinieren lässt.

STANDARD: Konzerthaus-Scouts? Was werden diese konkret tun?

Naske: Die Konzerthaus-Scouts sind Mitglieder, Fördererinnen und Förderer des Hauses oder auch Konzerthaus-Fans sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in ihrem persönlichen Umfeld andere Menschen, für die die direkte Begegnung mit der Musik noch Neuland ist, mit persönlichem Einsatz und der damit verbundenen Glaubwürdigkeit und Authentizität zu verschiedenen Veranstaltungen einladen. Für mich ist dieses Projekt ein wichtiger Baustein, kulturelle Teilhabe zu fördern und von institutioneller Seite einen Beitrag für ein gutes soziales Miteinander in dieser Stadt zu gewährleisten. Ich glaube an die Kraft der Musik und möchte, dass möglichst viele Menschen diese ungeheuer stimulierende Kraft wirklich exzellenter Konzerte erleben können.

STANDARD: Im Musikverein hieß es oft: große Symphoniekonzerte gehen immer gut, aber Kammermusik ist schwer zu füllen. Wie ist das im Konzerthaus?

Naske: Im Wiener Konzerthaus stehen elf Orchesterzyklen zehn Kammermusikzyklen gegenüber. Wobei die akustische Qualität des Mozart-Saals als idealer Kammermusik- und Recitalsaal diesem Haus seit 108 Jahren einen wunderbaren Dienst erweist. Die reduzierte, aber zugleich präzise und hochenergetische Form ein international führendes Streichquartett im Mozart-Saal zu erleben, gehört für mich zu den besten Gelegenheiten.

STANDARD: Welche Folgen wird längerfristig haben, das, was wir an Lockdowns und Konzertpausen erlebt haben?

Naske: Die Dimension der Unterbrechung der Spielbetriebe hat die Verletzlichkeit des Systems gezeigt. Dabei waren die Institutionen, abhängig vom Grad des Finanzierungsanteils der öffentlichen Hand natürlich unterschiedlich betroffen. Zu großen betriebswirtschaftlichen Schäden hat es bei systemrelevanten Hilfsbetrieben, wie Künstleragenturen, geführt. Wenn wir die gegebene Konstellation und die Erfahrungen des vergangenen Jahres ganzheitlich betrachten, werden wir unschwer erkennen, dass wir zum Beispiel auch mehr Bedacht auf die ökologischen Dimensionen des Tourneebetriebs nehmen müssen. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind auch im Kulturbereich eine Voraussetzung für die Agilität der Strukturen. Und dabei darf man den Faktor Mensch mit dem, was wir an Sicherheit und Vertrauen in die Zukunft brauchen, nicht außer Acht lassen. Das Bewältigen der Krise wird uns noch vor komplexe Aufgaben stellen, aber so bleibt es spannend. Wir werden erkennen müssen, dass öffentliche Investitionen mehrdimensionaler evaluiert werden. Dass zum Beispiel soziale und kulturelle Durchlässigkeit, weit über die Repräsentationskultur hinaus, als konkreter Mehrwert für die Gesellschaft Anerkennung finden wird. (Ljubisa Tosic, 25.5.2021)