Ein Betonzylinder von zehn Meter Höhe birgt erlesene Kunstschätze: hier der wächserne "Raub der Sabinerinnen" von Urs Fischer.

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Die Jahre des Exils sind ausgestanden, François Pinault ist zurück in Paris. Jahrelang hatte sich der 84-jährige Unternehmer und Kunstmäzen mit seiner Stadt überworfen und seine Sammlung im Zorn nach Venedig ausgelagert. Am Pfingstwochenende hat er in Bestlage in Paris die Bourse de Commerce – Pinault Collection eingeweiht. 50 Jahre lang wird er dort das Sagen haben. Und: Das Unternehmen ist geglückt.

Pinault hat mit Marken wie Yves Saint-Laurent, Gucci oder Puma selber ein globalisiertes Vermögen gemacht – und das Unternehmen Kering längst an seinen Sohn François-Henri abgetreten. Die 45 Milliarden Dollar, die er laut Forbes daraus gezogen hat, investiert er heute in zeitgenössische Kunst. Als er sie vor zwanzig Jahren in Paris zeigen wollte, brüskierte ihn die Stadt so lange, bis er seinem Land den Rücken kehrte und Sammlerstücke nach Venedig verfrachtete: 2006 kaufte er dort den Palazzo Grassi in Venedig, 2009 die Punta della Dogana.

160 Millionen Euro Baukosten

Aber so ganz glücklich war keine Seite. Pinault umso weniger, als sein großer Rivale in Sachen Geld und Kunst, der LVMH-Gründer Bernard Arnault, am Rand von Paris 2014 die Fondation Louis Vuitton eröffnete. Vielleicht brachte dies den französischen Exil-Venetier dazu, wieder Kontakt mit Paris aufzunehmen. Bald verfiel man jedenfalls auf die Idee der Handelsbörse, die meist leer war, außer wenn sie an Sonntagen als Wahllokal diente.

Die Idee war gut. Zumal Pinault für die Baukosten von 160 Millionen Euro allein aufkam. Weniger megaloman als die Vuitton-Stiftung im Stadtwald von Boulogne ist die Bourse de Commerce ein markanter Teil des historischen Stadtzentrums. Heute liegt die Pinault-Börse auf einer Linie vom Musée du Quai Branly (außereuropäische Kunst) und dem Musée d’Orsay (Impressionismus) über die Seine bis zum Louvre und Centre Pompidou (Moderne). Und Pinault leistet mit seiner Handelsbörse einen gewichtigen zeitgenössischen Beitrag dazu.

Kreisstruktur und Glas

Dass die Ausstellungsfläche auf 13.000 Quadratmeter ausgedehnt wurde, ohne dass der Rundbau seinen Charakter verliert, ist Pinaults Lieblingsarchitekten Tadao Ando zu verdanken. Der 79-jährige Japaner pflanzte in die leere Rotunde einen knapp zehn Meter hohen, nach oben offenen Betonzylinder von etwas kleinerem Durchmesser. Damit schafft er unauffällig Raum und Klarheit; zugleich wahrt er die Kreisstruktur und den Lichteinfall durch die Glaskuppel.

In diesem Licht prangt im Mittelpunkt des zentrierten Raums eine Skulptur von Urs Fischer. Ihre Eigenheit besteht darin, aus Wachs zu sein, weshalb sie mit der Zeit und mithilfe einiger Dochte schmelzen wird. Der dargestellte Raub der Sabinerinnen war zwar schon in Venedig zu sehen gewesen, doch Fischers Monument ist der gemeinsame Nenner, der Magnet der Kollektion. Danach geht es aufwärts über die Treppen zwischen den Zylinderschalen. Auf drei Stockwerken warten sieben Galerien. Sie zeigen insgesamt nur 200 Objekte, weshalb man sich nach dem Besuch auch nicht erschlagen fühlt. Ein Einheitsthema gibt es nicht, die Galerien führen ein eigenständiges Leben und greifen flexibel auf Pinaults gewaltigen Fundus von 10.000 Sammlerstücken zurück.

"His Master’s Choice"

Die Gestaltung ist so frei, dass man meinen könnte, das einzige Konzept laute "His Master’s Choice". Immerhin ist Chefkonservator Pinault einer der einflussreichsten Händler zeitgenössischer Kunst, wie das Magazin Art Review einmal befand. Er scheut auch vor der politischen Aktualität nicht zurück – und schafft einen scharfen Kontrast zum alten Gemäldepanorama der Börse, das auch die Missionierung halbnackter Dunkelhäutiger zeigt. Mehr Platz als je in Europa räumt Pinault den Werken von David Hammons ein. Der 78-jährige Afroamerikaner aus Chicago zerlegt schwarze wie weiße Alltagsobjekte vom Basketball über eine Haftzelle bis hin zum Fahrrad im Central Park.

Auch das heimliche Meisterwerk der Ausstellung kommt aus Amerika: Sesta des Brasilianers Antonio Obá erinnert an van Goghs Weizenfelder, nur sind die Hauptpersonen im Mondlicht erstens ein junger Schwarzer mit einer Schere und zweitens eine verstörend dunkle Scharte im Korn, die sich bei näherem Hinschauen als Katze entpuppt. (Stefan Brändle aus Paris, 26.5.2021)