Der Umbau des denkmalgeschützten Gebäudes barg manch Tücke. Keine Schraube durfte ins historische Mauerwerk gedreht werden, der originale Marmorboden keinen Schaden nehmen.

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Wien – Unter dem Glasdach des Oktogons versammelten sich einst Bankengeneräle. Nun sind im lichtdurchfluteten Herzen des einstigen Geldhauses am Wiener Schottentor Ravioli mit Trüffel und Spargel drapiert. Wo an altehrwürdigen Kassen Bündel an Geldnoten die Besitzer wechselten, kokettieren riesige Oktopusfangarme mit auf Eis gelegten Wellhornmuscheln. Wo viele Wiener jahrzehntelang ihre Geldgeschäfte regelten, brutzeln jetzt Grillhendl, Leberkäs und Süßkartoffeln. Knusprige Baguettes lehnen sich an mächtige Marmorsäulen. In historischen Bankschließfächern spiegeln sich die Einkaufswagerln.

1912 eröffnete Familie Rothschild am Ring eines der modernsten Bankengebäude Europas. Mit zentraler Warmwasserheizung, elektrisch gesteuerten Uhren und 340 Telefonanschlüssen spielte es für die damalige Zeit aller Stückln. 204 Millionen Euro flossen, an heutiger Kaufkraft gemessen, in die feudale Immobilie. Ein Gutteil des Wiener Vermögens war in den 8000 Schließfächern ihrer Tresorräume gebunkert.

Zehn Millionen Euro

Statt der Finanzwelt hält dort ab heute jedoch die Realwirtschaft Einzug. Der Handelskonzern Spar stach den Erzrivalen Rewe im Rennen um den Standort aus, nahm zehn Millionen Euro in die Hand und führt ihn der neuen Nutzung als Supermarkt und À-la-carte-Restaurant zu.

"Es war eine riesige Herausforderung", gibt Vorstand Markus Kaser mit Blick auf den Denkmalschutz und im Beisein des Wiener SP-Bürgermeisters Michael Ludwig unumwunden zu. Keine einzige Schraube durfte ins Mauerwerk gedreht werden. Kein Kratzer darf den marmornen Boden verunstalten. Dieser wurde folglich aufgedoppelt. Originalgetreu sind auch die Lampen, von LED-Technologie abgesehen. Verantwortlicher Architekt war der Wiener Heinz Neumann.

Auch Billa am Schottentor?

Es ist ein kostspieliges Prestigeprojekt, mit dem Spar seine im Corona-Jahr gewonnene und vielerorts rausposaunte Marktführung in Österreich krönt. Im Osten des Landes schwächer als Rewe, suchte Spar vor allem in der Wiener Innenstadt emsig nach Flaggschiffen, um sein Revier abzustecken. Viel Raum ließ Billa Corso dem Mitbewerb hier nicht. Ob Hoher Markt, Neuer Markt, Singerstraße, Freyung, Michaelerplatz – Spar hatte das Nachsehen.

Zudem pfeifen es Spatzen vom Dach, dass Billa eine Immobilie geradewegs vis-à-vis des "Weißen Hauses" am hochfrequentierten anderen Eck des Schottentors begehrt. Parkplätze davor soll sich das Unternehmen schon gesichert haben. Bei Rewe selbst äußert man sich dazu derzeit nicht.

Schwindelerregende Mieten

Das Ringen zwischen Spar und Rewe um die frühere Zentrale des Wiener Bankvereins endete jedenfalls vor Gericht. Immobilienentwickler Pema soll zunächst Rewe, dann Spar eine Zusage erteilt haben. Eine Zeitlang gab es offenbar zwei rechtsgültige Verträge. Kaser spricht von "unterschiedlichen Interpretationen", was bei Projekten wie diesem völlig normal sei. "Hier gibt sich keiner gern geschlagen." Mittlerweile sei alles geklärt. Ein Vergleich soll das Tauziehen beendet haben.

Auch "Mieten jenseits von Gut und Böse" trugen dazu bei, erzählen Konzernkenner. 20 bis 25 Euro pro Quadratmeter sind im Lebensmittelhandel für sehr gute Lagen monatlich üblich. Spar soll an den Eigentümer, eine Stiftung rund um die Ex-Möbelhändlerfamilie Koch, das Vielfache davon für die 1770 Quadratmeter an Fläche bezahlen.

Viel Emotion

Das lasse sich allein mit dem Verkauf von Kaviar erwirtschaften, gibt ein Branchenexperte zu bedenken. "Aber bei dieser Entscheidung ging es eher um Emotionalität als um Rentabilität." Kaser aber ist sich sicher, dass Spar am Schottentor in einigen Jahren sehr wohl profitabel arbeiten werde. Über die Höhe der Mieten sei Stillschweigen vereinbart.

Wohnbevölkerung gibt es in der Wiener Innenstadt wenig, diese ist jedoch finanzstark. Zusätzlich beleben Touristen, Studenten und eine enorme Dichte an Anwaltskanzleien das Geschäft. Als Ort des reinen Luxus will Kaser das Delikatessengeschäft in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nicht verstanden wissen. Das Gros der Lebensmittel sei nicht teurer als in anderen Filialen. "Man muss kein Scheich sein, um hier einkaufen zu können." (Verena Kainrath, 26.5.2021)